HIV ist in der schwulen Szene kaum noch sichtbar, sagt Matthew Hodson von GMFA. Um das zu ändern, zog er mit schwulen positiven Männern durch die Londoner Pubs – beim  ersten „Positive Pub Crawl“. Im Interview mit Holger Sweers erzählt er, wie’s war

Matthew Hodson
Matthew Hodson will HIV in der schwulen Szene wieder sichtbarer machen (Foto: privat)

Matthew, könntest du uns zunächst kurz erklären, was GMFA ist und was du dort machst?

GMFA ist eine britische Organisation für schwule Gesundheit, die 1992 unter dem Namen Gay Men Fight AIDS gegründet wurde. Bei uns entwickeln schwule Männer HIV-Präventionsmaterialien und -kampagnen für schwule Männer – in einer Sprache, in der wir auch sonst über Sex sprechen. Und ich bin der Geschäftsführer von GMFA – weitere Infos findet man auf unserer Website.

Vielen Dank. Wie seid ihr auf die Idee zum Pub Crawl gekommen?

Ich bin Mitglied in einem HIV-Think-Tank namens ReShape. Unser Ziel ist, der HIV-Prävention neuen Schwung zu verleihen und die Unterstützung für Menschen mit HIV sicherzustellen. Und bei einem unserer Treffen kam die Idee zum Positive Pub Crawl auf – als eine Möglichkeit, HIV in der Szene wieder sichtbarer zu machen. Und weil sich bei GMFA immer alles darum dreht, dass schwule Männer sich gemeinsam für die Verbesserung der Gesundheit schwuler Männer einsetzen und zusammen neue Sachen ausprobieren, schien mir das ein tolles Projekt für uns zu sein.

Viele junge Schwule kennen keinen HIV-Positiven

Seit wann und warum nimmt die Sichtbarkeit von HIV in der schwulen Szene ab, und woran merkst du das? Durch Umfragen oder persönliche Erfahrungen?

Vor ein paar Jahren ergab der UK Gay Men’s Sex Survey, dass immer weniger schwule Männer HIV-Positive „kennen“, obwohl die Zahl der HIV-positiven Männer immer weiter steigt. Ich denke, das ist eine Folge der guten Behandlungsmöglichkeiten – die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch mit HIV sichtbare Symptome entwickelt, ist heute sehr gering. In den GMFA-Fokusgruppen für jüngere schwule Männer kennen viele keinen einzigen Menschen mit HIV und denken, dass HIV nur ältere Schwule betrifft.

Welche Mythen oder falschen Vorstellungen über HIV oder Menschen mit HIV begegnen euch sonst noch so?

Ziemlich verbreitet ist der Irrglaube, dass man es jemandem ansehen kann, wenn er infiziert ist, oder dass Menschen mit HIV vor dem Sex ihre Infektion offenlegen. Aber jeder einzelne Positive, den ich kenne, ist schon zurückgewiesen oder beschimpft und beleidigt worden, nachdem er sein Gegenüber über seine HIV-Infektion informiert hatte, und da ist es kein Wunder, wenn die meisten schwulen positiven Männer nicht immer über ihren HIV-Status reden. Und dass viele HIV-Positive nicht offen mit ihrer Infektion umgehen, trägt wiederum dazu bei, dass Mythen und falsche Vorstellungen über HIV weiter prächtig gedeihen. Viele schwule Männer wissen immer noch nicht, dass HIV nicht gleich Aids ist oder dass Aids in Ländern mit allgemeinem Zugang zur Gesundheitsversorgung heute relativ selten ist. Die Leute denken immer noch, dass HIV tödlich ist, aber das muss es dank der Behandlungsmöglichkeiten nicht sein. Schwule Männer mit HIV können eine normale Lebenserwartung haben, und wenn die Behandlung ihre Viruslast unter die Nachweisgrenze senkt, ist es unwahrscheinlich, dass sie das Virus an ihre Sexpartner weitergeben.

Poz Pub Crawl: Mit Rot gegen die Unsichtbarkeit von HIV (Foto: Matthew Hodson)
Poz Pub Crawl: Mit Rot gegen die Unsichtbarkeit von HIV (Foto: Tom Hayes)

Wie erleben schwule Männer mit HIV Stigmatisierung? Vor allem, indem sie als Sexpartner zurückgewiesen werden? Oder indem man ihnen die Schuld an ihrer Infektion gibt?

Die sexuelle Zurückweisung von Männern, die offen mit ihrem HIV-Status umgehen, ist weit verbreitet. Außerdem fällen die Leute jede Menge Urteile und treffen jede Menge Annahmen über dich. Und einige gefallen sich offenbar darin, HIV-Positiven die Schuld an ihrer Infektion zu geben, was man bei Gesprächen über Diabetes oder Krebs so nie erwarten würde.

Kommen wir zurück zum Pub Crawl. Was ist das Hauptziel? Die Leute ins Gespräch über ihr Risikoverhalten und über HIV bringen, ihnen Informationen bieten, etwas gegen Mythen und fehlendes oder falsches Wissen unternehmen?

Der Poz Pub Crawl hat zwei Ziele. Das erste ist, die Sichtbarkeit von Menschen mit HIV in der Szene zu erhöhen. Etwa jeder zwölfte schwule Mann in London ist HIV-positiv, und deshalb ist es wichtig, dass wir uns das bewusst machen, wenn wir über die schwule Community oder die Szene hier sprechen, dass wir anerkennen, dass Männer mit HIV ein wichtiger Teil des Ganzen sind. Das zweite Ziel ist, schwulen Männern mit HIV soziale Unterstützung anzubieten, eine Gelegenheit, sich mit anderen außerhalb einer Praxis oder einer Beratungsstelle zu treffen und einfach mal Spaß miteinander zu haben.

Männer mit HIV sind ein wichtiger Teil der schwulen Szene

Wie viele schwule Positive waren denn beim ersten Crawl dabei, und wie war die Gruppe zusammengesetzt? Eher homogen oder eher unterschiedlich, was zum Beispiel das Alter oder den Hintergrund angeht?

Am ersten Positive Pub Crawl haben ungefähr 35 Männer von Anfang 20 bis über 70 teilgenommen. Das war ein ziemlich bunter Haufen – wenn wir nicht alle unsere roten T-Shirts getragen hätten, wäre man wahrscheinlich nicht auf die Idee gekommen, dass wir als Gruppe unterwegs waren.

Kannten sich die Teilnehmer vorher schon?

Nun, weil wir den Event breit über die Sozialen Medien wie zum Beispiel Twitter beworben haben, gab es einige, die sich schon vorher kannten, aber auf die meisten Leute traf das nicht zu. Aber alle haben sich wunderbar miteinander unterhalten, und ich bin sicher, dass jeder einzelne mit Leuten gesprochen hat, die er noch nie zuvor gesehen hatte.

Gehörte für die Leute denn viel Mut dazu, öffentlich als HIV-Positive aufzutreten? Oder hat sie das vielleicht sogar gestärkt?

Einigen hat es offenbar richtig Spaß gemacht, T-Shirts mit dem Aufdruck HIV-positiv zu tragen, während andere da ein bisschen schüchterner waren.

Positive Pub Crawl
Positiv und mit Spaß in der schwulen Szene unterwegs (Foto: Tom Hayes)

Warum habt ihr eigentlich rote T-Shirts angezogen? Hat das mit der Roten Schleife zu tun?

Klar, wegen der Roten Schleife gibt es natürlich eine Verbindung zwischen HIV und der Farbe Rot, aber der Hauptgrund war, dass wir uns so erkennen konnten. Ich habe Rot ausgesucht, weil ich dachte, dass jeder irgendetwas Rotes in seinem Kleiderschrank hat, und weil Rot trotzdem eher ungewöhnlich ist und in einem vollen Pub heraussticht. In einer der Bars, in der wir waren, stand ich oben auf der Empore und blickte auf ein ganzes rotes Meer herab. Ich bin sicher, dass die Gäste, die nichts von dem Event wussten, mitbekommen haben, dass da irgendwas läuft.

Haben  die anderen Gäste auf euch reagiert und wenn ja, wie? Waren sie interessiert, gleichgültig, ablehnend – und haben sie überhaupt mitbekommen, dass da gerade ein Positive Pub Crawl unterwegs war?

Nein, ablehnend hat niemand reagiert, soweit ich das sehen konnte. Ich denke mal, die meisten Leute wussten nicht, was da abging, aber einige sind auch auf uns zugekommen und haben gefragt, und die meisten fanden die Aktion gut. Einer der Männer, mit dem ich sprach und der auch nicht wusste, worum es ging, schloss sich uns sogar an, als ich es ihm erzählte.

Habt ihr mit den Gästen auch über das Thema Schutz durch Therapie gesprochen, und welche Rolle spielt dieses Thema für das (Sex-)Leben schwuler Positiver in London?

Die meisten fanden die Aktion gut

Nein, darüber habe ich nicht gesprochen, aber ich finde es sehr wichtig, dass schwule Männer über die Senkung der Übertragungswahrscheinlichkeit durch die HIV-Therapie Bescheid wissen. HIV holst du dir eher von jemandem, der gar nichts von seiner Infektion weiß (und sie deshalb auch nicht offenlegen könnte), als von jemandem, der seinen HIV-Status offenlegt – Männer als Sexpartner abzulehnen, die offen mit ihrer Infektion umgehen, ergibt eigentlich überhaupt keinen Sinn.

War der Crawl eigentlich Teil deiner Arbeit oder Vergnügen?

Auch wenn GMFA das jetzt organisiert hat, wünsche ich mir, dass die Community das übernimmt. Schauen wir mal, wie sich das so entwickelt und was die Leute daraus machen. Wir hatten überhaupt keine Ahnung, ob überhaupt jemand kommen würde. Am Anfang waren wir nur zwei aus der GMFA-Geschäftsstelle, aber nach 15 Minuten waren wir schon 20 und am Ende des Abends sogar 35. Ich habe mich mit vielen, vielen Leuten unterhalten und Männer kennengelernt, die ich vorher nur über Twitter kannte – das hat echt Spaß gemacht.

Also bleibt das keine einmalige Aktion, und es wird noch weitere Events geben?

Ja, wir wollen das künftig einmal im Monat machen. Der nächste Poz Pub Crawl ist am 20. Februar – wer gerade in London ist, soll einfach vorbeikommen.

 

Weitere Informationen:

Zurück

Aids-Kunst in den Zeiten der HAART

Weiter

Mit Charisma, Herz und Verstand wider den „Horrrorrr“

Über

Holger Sweers

Holger Sweers, seit 1999 als Lektor, Autor und Redakteur bei der Deutschen Aidshilfe, kümmert sich um die Redaktionsplanung des Magazins.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

64 + = 73

Das könnte dich auch interessieren