Deutschland disst den Superstar
Von einem offen positiven Prominenten haben Aids-Aktivisten immer geträumt. Aber so wie es jetzt im Fall von Nadja Benaissa gekommen ist, hatte sich das wohl niemand vorgestellt.
Nein, das denke ich auch. So ein Zwangsouting kann niemand wollen.
Nun ist die Sängerin raus aus dem Gefängnis, aber der Fall ist in der Welt. Ist aus AIDS-Hilfe-Sicht Schaden entstanden?
Das Verhalten der Staatsanwaltschaft und der Medien war auf jeden Fall erst mal schädlich. Wie das Ganze auf lange Sicht zu beurteilen ist, kann man noch gar nicht sagen. Manchmal führen solche Anlässe dann ja am Ende doch noch zu positiven Folgen. Vielleicht kommen manche Leute auf diese Weise zum Nachdenken. Vielleicht werden die Hintergründe aufgearbeitet und Gerichte befassen sich noch mal intensiv mit der Frage von Infektion und Strafrecht. Aber das ist bislang nur eine Hoffnung.
„Das Strafrecht ist kein Mittel der HIV-Prävention!“
Was hat die Justiz falsch gemacht?
Es geht um den alten Grundsatz, dass bis zur Verurteilung jeder als unschuldig zu gelten hat. Es gab keinen legitimen Grund dafür, mit diesem Fall so massiv an die Öffentlichkeit zu gehen. Für die Betroffene hat das gravierende Folgen. Dann kommt noch hinzu, dass das Argument für den Haftbefehl Wiederholungsgefahr lautete – obwohl die Begebenheiten, auf die er sich bezog, Jahre zurücklagen.
Die Verantwortung für die angebliche Infektion des ehemaligen Partners von Nadja Benaissa wurde vor allem ihr zugeschrieben. Menschen mit HIV befürchten jetzt, durch die reißerische Berichterstattung in der Öffentlichkeit wieder verstärkt als Alleinverantwortliche und Schuldige dazustehen.
Stigmatisierung ist das große Problem, das wir als AIDS-Hilfe generell haben. Der aktuelle Fall ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Leute sagen ja aus guten Gründen am Arbeitsplatz eben nicht, dass sie HIV-positiv sind, und nehmen ihre Medikamente versteckt ein. Die Angst vor Stigmatisierung ist leider allzu oft berechtigt.
Eigentlich erstaunlich. Schließlich leben wir in einer Gesellschaft, die gerne Solidarität mit HIV-Positiven demonstriert.
Die ist leider ziemlich brüchig. Mit Menschen, die fern sind, kann man leicht solidarisch sein. Die Probleme tauchen auf, wenn sie plötzlich in der Nähe oder sichtbar sind. Dann muss es sich beweisen. Man hat auch eine Chance dazu, oft sind die Reaktionen letztlich positiver als man erwartet hat. Aber das herauszufinden erfordert natürlich Mut, auch seitens der Positiven.
Der dürfte einigen gerade wieder abhanden gekommen sein. Und wenn die sozialen Folgen so gravierend sind, werden sich in Zukunft viele Leute nicht nur zweimal überlegen, ob sie sich testen lassen.
Diese Befürchtung haben wir. Wir sind ja gerade dabei, HIV-Testwochen vorzubereiten, eine Kampagne, die im Herbst dieses Jahres stattfinden soll. Ein frühzeitiges Erkennen der Infektion bringt bessere Möglichkeiten der Behandlung und senkt das Risiko, dass HIV weitergegeben wird. Da ist es sehr kontraproduktiv, wenn es zu solchen Geschichten kommt. Auch deswegen sind wir ja gerade so darum bemüht, Stigmatisierungen entgegen zu wirken.
„Angst ist immer
ein schlechter Ratgeber“
Ist die AIDS-Hilfe generell gegen strafrechtliche Maßnahmen?
Ich will nicht das Strafrecht angreifen. Unser Einwand lautet: Das Strafrecht ist kein geeignetes Mittel der HIV-Prävention. Für uns als AIDS-Hilfe geht es immer um die Frage, was der Prävention dient und was das Beste für Menschen mit HIV ist.
Ist das immer das Gleiche oder gibt es da auch ein Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden Ansprüchen?
Ich sehe keinen. Was sollte das sein?
Es gibt Leute, die sagen, man brauche das Strafrecht zur Abschreckung.
So etwas kann nur zu Verängstigung führen, vielleicht eben auch dazu, dass sich Leute gar nicht erst testen lassen oder erst recht nicht offen mit ihrer Infektion umgehen. Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Aufklärung, Informationen und Absprachen sind hilfreich.
In den letzten Jahren haben weltweit immer mehr Länder die HIV-Übertragung unter Strafe gestellt oder wenden bestehende Gesetze verstärkt an. Gibt es diesen Trend auch in Deutschland?
Nein, den sehe ich im Moment nicht. Einzelne Fälle hat es immer gegeben, seit wir HIV kennen. Wir werden weiterhin alles dafür tun, dass es nicht mehr werden. Es ist auch gut, dass es in Deutschland keinen Sonderstraftatbestand für HIV gibt. Die Anklagen lauten in solchen Fällen meistens auf versuchte gefährliche Körperverletzung.
Nadja Benaissa und der Öffentlichkeit steht nun noch ihr Prozess bevor. Zugleich nimmt sie aber gerade mit den No Angels eine neue Platte auf und wird wohl bald wieder auf der Bühne stehen. Könnte sie vielleicht doch noch ein positives Role-Model werden?
Da habe ich auch schon drüber nachgedacht. Aber ich kenne sie nicht persönlich und kann das nicht beurteilen. Aus strategischer Sicht wäre es sicher das Beste, mit der Situation offensiv umzugehen.
Winfried Holz ist Jurist und lebt in Berlin. Dem Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe gehört er seit Oktober 2008 an.
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3 Kommentare
ondamaris 15. Mai 2009 11:35
für Menschen mit HIV, aber auch für viele andere chronisch Kranke, stellt sich nach den Aktionen der Staatsanwaltschaft unter anderem die Frage, wie sicher ist denn nun die Krankenakte? Wie vertraulich ist das Arzt-Patient-Verhältnis? Kann jeder Staatsanwalt eine Patientensakte im Verdachtsfall beschlagnahmen lassen?
StefN 26. Mai 2009 11:24
bisher ist noch vieles unklar, insbesondere die Frage, ob die Staatsanwaltschaft tatsächlich gegen die Strafprozessordnung ( § 97 StPo) verstoßen hat und Patientenakten beschlagnahmt hat. Vielleicht gab es im Fall der Sängerin auch eine Erlaubnis der Klientin oder ihres Anwaltes, dass medizinische Daten weitergeben werden durften…
Die DAH wird einen Juristen beauftragen, genauer zu recherchiern und herauszufinden, ob es eine Tendenz bei Richtern und Staatsanwälten gibt, die ärztliche Schweigepflicht und den Beschlagnahmeschutz aufzuweichen.
Dennis 15. Mai 2009 13:40
Da Ondamaris diesen Aspekt aufgegriffen hat, (Hallo Ulli) wende ich mich mal einem anderen Aspekt zu den diese „Aktion“ offenbart hat.
Schließlich leben wir in einer Gesellschaft, die gerne Solidarität mit HIV-Positiven demonstriert.
Das dies nicht so ist hat dieser Fall wohl aufgezeigt. Das Echo – die zahlreichen abgegebenen Kommentare in den Medien, Foren etc. zu vielen Berichten haben sehr wenig „Solidarität“ erkennen lassen. Meine Wahrnehmung war – ist, was das Wissen um HIV wie auch im besonderen die Haltung gegenüber HIV Positiven betrifft, bezeichnend dafür das die Botschaft nicht in dem Maß angekommen ist wie man es sich erhofft hat.