Der 25. November ist der internationale Aktionstag gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Eine davon besonders betroffene Gruppe sind Sexarbeiter*innen, denen nicht nur der Schutz vor Diskriminierung fehlt, sondern Kund*innenkriminalisierung droht – von vermeintlich feministischer Seite. Nadja Zillken, DAH-Referentin für Sexarbeit und Frauen, fordert rechtliche Sicherheit.

(Inhaltswarnung: Femizid)

Stell dir vor, du bist verliebt und hast zwei Kinder mit deinem Partner, aber er schlägt dich. Du realisierst bald, dass du dich und deine Kinder in Sicherheit bringen musst. Trotz all der Hürden und Schwierigkeiten schaffst du es – aber das Geld reicht nicht aus. Also fängst du an, als Escort zu arbeiten.

So erging es Eva Marree Kullander Smith. Sie lebte in der Stadt Västerås in Schweden. Sie machte diesen Job zwei Wochen lang, bis sie als Sexarbeiterin zwangsgeoutet wurde. Das Jugendamt nahm ihr die Kinder weg und brachte sie zu ihrem Ex, weil sie einen Beruf ausübte, der gesellschaftlich geächtet ist. Jahrelang kämpfte sie dafür, doch als gute Mutter anerkannt zu werden – trotz jener zwei Wochen – und ihre Kinder endlich wiedersehen zu dürfen. Bei einem der wenigen Male, als sie ihre Kinder nach den schlimmsten Jahren ihres Lebens schließlich treffen durfte, war auch ihr Ex da. Er tötete sie mit über 30 Messerstichen.


Für den Großteil der Sexarbeiter*innen bedeutet ihre Arbeit Kompensation für gesellschaftliche Missstände.

Es gibt Tausende Gründe, weshalb Menschen sexuelle Dienstleistungen gegen Geld anbieten. Manche Gründe werden gesellschaftlich eher akzeptiert, andere sind schwer zu ertragen. Für den Großteil der Sexarbeiter*innen bedeutet diese Arbeit Kompensation für strukturelle Missstände in der Gesellschaft und ist Teil ihrer Überlebensstrategie. Jenseits sowohl vom Luxus der High-Class-Escorts als auch der Brutalität von Menschenhandel findet Sexarbeit in der Realität in vielen Nuancen zwischen diesen Extremen statt. Und genau wie Schwangerschaftsabbrüche oder Substanzkonsum findet Sexarbeit auch dann statt, wenn sie kriminalisiert wird. Nur prekärer und verborgener.

Ein geächteter Beruf wird zum Risiko gemacht

Die Kund*innenkriminalisierung (verharmlosend auch Nordisches/Schwedisches Modell oder Sexkaufverbot genannt) wird immer wieder diskutiert – in Deutschland wie in anderen Ländern. Dabei wird Sexarbeit bzw. Prostitution mit sexualisierter Gewalt gleichgesetzt. Gesetzlich machen sich nach dem Modell nicht die Personen strafbar, die die sexuellen Dienstleistungen anbieten, sondern deren Kund*innen und auch alle Menschen, die an Sexarbeit indirekt verdienen.

An Sexarbeit zu verdienen, trifft beispielsweise in Schweden auch auf folgende Situationen zu: Wenn du eine Wohnung vermietest und die Miete durch Sexarbeit bezahlt wird – egal, ob sie in der Wohnung stattfindet oder nicht. Wenn du mit eine*m Sexarbeiter*in einen Haushalt führst. Wenn du einem Menschen in der Sexarbeit ein Bankkonto, eine Steuererklärung, eine Taxifahrt oder sonstiges verkaufst. Wenn du eine*n Sexarbeiter*in bezahlst oder von ihr*ihm Geld bekommst, bist du in der Logik der Kund*innenkriminalisierung ein*e Täter*in. Als Elternteil in der Sexarbeit kann es dir passieren, dass du das Sorgerecht für dein Kind verlierst – da du nicht nur als Opfer gesehen, sondern außerdem als Gefahr verstanden wirst.

Auch in Deutschland sprechen sich Aktivist*innen und Politiker*innen für das „Schwedische Modell“ aus. Viele Sexarbeitsgegner*innen geben dabei vor, dass die Kriminalisierung feministisch und im Interesse der Frauen sei, oder sprechen von moralischen Bedenken.

Erst seit 1997 steht die Vergewaltigung in der Ehe in Deutschland unter Strafe. Davor gab es nur die ehelichen Pflichten. Friedrich Merz stellte sich damals gegen ihre Abschaffung, gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion, ebenso so wie die FDP.
Ein Ehemann hat immens mehr Macht und potenzielle Gewalt über seine Ehefrau als ein*e übliche Kund*in über eine sexarbeitende Person. Heute positioniert sich Friedrich Merz, dass die Sexarbeit ein moralisches Problem sei.

Ein Sexkaufverbot schützt nicht, sondern befördert Gewalt

Menschen in der Sexarbeit haben keine Lobby. Die Erfahrungen zeigen, dass sich das Stigma in den Ländern des „Nordischen Modells“ nur vergrößert und die gesellschaftliche Ächtung verstärkt. In der Folge haben Sexarbeiter*innen dort faktisch keine Rechte – denn in der Logik der Kund*innenkriminalisierung dürften sie nicht existieren. Sie können sich kaum wehren, wenn ihnen die Kinder weggenommen werden. Sie werden nicht gehört, wenn ihr Partner sie schlägt. Sie können nicht für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen. Würden Sexarbeiter*innen auch in Deutschland ihrer Rechte beraubt, fände Sexarbeit nur noch im Dunkelfeld statt – unter großen Gefahren für ihre Sicherheit und Gesundheit.

Würden Sexarbeiter*innen auch in Deutschland ihrer Rechte beraubt, fände Sexarbeit unter großen Gefahren für ihre Sicherheit und Gesundheit statt.

Menschen, die ohnehin Marginalisierung ausgesetzt sind, wären von einem Sexkaufverbot besonders betroffen. Denn unsichere Lebenssituationen können in illegalen Settings leichter ausgenutzt werden, Diskriminierungen können in unkontrollierbaren Räumen zunehmen. Die Lage für Migrant*innen, trans* Personen und Drogenkonsument*innen in der Sexarbeit würde sich massiv verschlechtern.

Kund*innenkriminalisierung ist menschenverachtend

Menschen, die migriert sind und weniger bis gar keine Zugänge zum Arbeitsmarkt und Hilfeleistungen haben, werden vermehrt abgeschoben. Der weiße Feminismus der vermeintlich feministischen Sexarbeitsgegner*innen und die explizite Xenophobie unter konservativen Strömungen gegen die Sexarbeit möchte nicht anerkennen, dass Sexarbeiter*innenrechte auch Menschenrechte und somit auch Frauen*rechte und Migrant*innenrechte sind.

Die staatliche Kontrolle und Bestrafung von konsensuellen sexuellen Handlungen zwischen erwachsenen Menschen verstößt gegen die Grund- und Menschenrechte.
Eine sexarbeitende Person wird als zu rettendes Opfer gesehen, aber zum Beispiel nicht als Mutter, die sich und ihre Kinder durchbringen und schützen will, nicht als fürsorgende*r Partner*in oder marginalisierter Mensch. Diese Sicht ist inkonsequent.

Nur mehr Rechte wirken gegen bestehendes Unrecht

Befürworter*innen der Kund*innenkriminalisierung sehen es als die zentrale Notwendigkeit an, Frauen vor Sexarbeit zu schützen. Die Notwendigkeiten liegen aber woanders: In dem Schutz vor häuslicher Gewalt und Femiziden, vor dem Patriarchat, vor Rassismus, Antisemitismus, vor Queerfeindlichkeit und Trans-Misogynie, vor Ausbeutung im Kapitalismus, vor Behindertenfeindlichkeit und Altersdiskriminierung oder einem menschenunwürdigen, neokolonialen Migrationsregime.

Wer Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen abbauen will, muss also vielmehr die Rechte von Sexarbeiter*innen stärken. Die DAH fordert daher im Positionspapier „Unterstützung statt Sexkaufverbot“, für Sexarbeit einen schützenden rechtlichen Rahmen zu schaffen und den Zugang zu medizinischer Versorgung sowie Präventions-, Beratungs- und Hilfsangeboten zu sichern.

Only rights can stop the wrongs!


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Über

Nadja Zillken

Nadja Zillken ist seit Januar 2023 DAH-Referentin für weibliche Sexarbeit und für Frauen im Kontext von HIV und STIs. Zuvor arbeitete sie bei Hydra e. V. – Treffpunkt und Beratungsstelle zu Sexarbeit und Prostitution.

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