„Schwule Sau“ ist das beliebteste Schimpfwort an deutschen Schulen, behauptet die Bildungsgewerkschaft GEW. Philip Eicker befrage dazu Alexander Lotz.

Alexander Lotz: Engagement gegen Homophopie. Foto: privat

Der 29-Jährige unterrichtet Biologie und Chemie an einem Gymnasium in Frankfurt/Main und engagiert sich im GEW-Netzwerk Schwule Lehrer. Schon als Student machte er sich gegen Homophobie an Schulen stark, unter anderem als Vorstand des Berliner Vereins Abqueer, der mit Jugendlichen Bildungsarbeit zu schwulen, lesbischen und transidenten Lebensweisen macht.

Alexander, ist „schwule Sau“ wirklich das beliebteste Schimpfwort an deutschen Schulen?

Ja, ich denke schon. „Spast“ und „Opfer“ holen auf, aber „schwule Sau“ wirkt als Schimpfwort immer noch am besten.

Wann fällt das Wort?

Vor allem Schüler benutzen das Wort, Schülerinnen sehr viel seltener. Jungen ist es offensichtlich sehr wichtig, sich als männlich zu präsentierten. Deshalb wird alles, was als unmännlich gilt, abgewertet. Die Schüler machen das häufig gar nicht bewusst, sondern haben die in der Gesellschaft vorhandene Homophobie internalisiert. Schwul wird gleichbedeutend mit „schlecht“ oder „doof“ verwendet. Als „schwul“ werden Sachen wie etwa Hausaufgaben, Taschen oder Handys bezeichnet. Aber auch Personen werden so gezielt abgewertet – weil sie irgendetwas an sich haben, was den Beschimpfern nicht gefällt, oder weil man ihnen unterstellt, schwul zu sein.

Auch ungeliebte Hausaufgaben sind „schwul“. Foto: schemmi, pixelio.de

Wann hast du das zuletzt erlebt?

Gerade letzte Woche im Biologieunterricht in einer 8. Klasse. Das Thema waren eigentlich Moose im Wald. In einer Gruppenarbeitsphase redeten ein paar Schüler über Tokio Hotel und stellten unüberhörbar fest, dass Bill Kaulitz „eine Schwuchtel“ sei.

Hast du eingegriffen?

Ich habe erst mal nur ernst in die Richtung der Gruppe geguckt, um zu verdeutlichen, dass ich es gehört habe. Später hab ich dann den Schüler, der das geäußert hat, zur Seite genommen und mit ihm darüber geredet. Seine Reaktion war typisch: Es war ihm unheimlich peinlich, darüber zu reden. Die Jugendlichen gebrauchen zwar andauernd „schwul“ als Schimpfwort, aber wenn man sie dann anspricht, ist ihnen das sehr unangenehm. Mir geht es ja nicht ums Bestrafen, sondern um Einsicht mit dem Ziel, eine Verhaltensänderung zu bewirken. Allerdings ist häufig schon die Vorstellung von gleichgeschlechtlicher Liebe derart mit Peinlichkeit besetzt, dass Sprachlosigkeit herrscht.

„Die Vorstellung von gleichgeschlechtlicher Liebe ist derart mit Peinlichkeit besetzt, dass Sprachlosigkeit herrscht“

Bist du selbst schon einmal homophob angegriffen worden?

Ja. Es hat in letzter Zeit etwas nachgelassen und passiert vielleicht alle zwei Monate. Die Schülerinnen und Schüler wissen, dass ich mit einem Mann verheiratet bin und rufen mir im Vorbeigehen Bemerkungen hinterher. Oder sie machen eindeutige Gesten. Vor allem solche Schüler, die ich nicht unterrichte. Ich habe auch schon eine anonyme E-Mail bekommen, in der ich als „schwule Sau“ beschimpft wurde.

Gemobbt wird oft per anonymer E-Mail. Foto: Wolfgang Dirscherl/Gerd Altmann, pixelio.de

Die E-Mail könnte natürlich von überall her kommen.

Im Prinzip schon. Aber diese ging an meine Schuladresse, die nur Schülern, Eltern und Lehrern bekannt ist. Der Absender hatte sogar einen E-Mail-Account im Namen meines Schulleiters angelegt und die Mail in dessen Namen verschickt. Die Polizei konnte das leider nicht zurückverfolgen.

Wie hast du dich denn an deiner Schule geoutet?

Als ich 2010 nach Frankfurt kam, wollte ich erst austesten, wie die Atmosphäre an der Schule ist. Ich wollte mich auf jeden Fall outen, hatte aber noch überlegt, welcher Weg sinnvoll ist. Aber dann hat gleich in einer meiner ersten Stunden ein Schüler gesagt, dass der Unterricht „voll schwul“ sei. Dann habe ich klargestellt, dass ich solche Ausdrücke in meiner Klasse nicht möchte, unter anderem, weil ich selbst schwul und sicherlich nicht der Einzige an dieser Schule bin. Das hat dann schnell die Runde unter den Schülerinnen und Schülern gemacht. Nach dieser Erfahrung habe ich es in allen anderen Klassen jeweils in der ersten Stunde gesagt.

Bist du auch im Kollegium offiziell geoutet?

Ja. Von meinen Kolleginnen und Kollegen habe ich nie etwas Negatives gehört. Wir haben zu meiner Hochzeit auch ganz normal mit Sekt angestoßen, und meine Fachkolleginnen und -kollegen haben mir ein Geschenk gemacht. Allerdings höre ich schon auch Unverständnis oder Vorbehalte, was meinen offenen Umgang angeht.

Großer Redebedarf zu einem peinlichen Thema. Foto: Helene Souza, pixelio.de

Wie verhalten sich die Eltern?

Ihr Verhalten lässt sich nicht verallgemeinern – ich erfahre ja nur von den negativen Reaktionen. Zum Beispiel gab es eine Beschwerde bei der Schulleitung, ich hätte im Biologieunterricht explizit homosexuelle Handlungen gezeigt. Dabei ging es aber nur um die HIV-Infektion und wie man sich davor schützen kann. Eine zweite Beschwerde kam, weil ich in einer Vertretungsstunde bei Siebtklässlern über Homosexualität gesprochen habe. Das kam so: Ein Schüler hatte mich schon beim Aufschließen des Klassenzimmers ständig gefragt, ob ich schwul sei. Nach Stundenbeginn beantwortete ich seine Frage knapp für alle und fragte, ob dazu Redebedarf bestehe. Bestimmt zwanzig Finger gingen hoch! Wir führten dann ein sehr gutes, sachliches Gespräch. Die Schülerinnen und Schüler hatten unglaublich viele Fragen zu Homosexualität.

Der Kollegin, die ich vertreten hatte, erzählte ich am nächsten Tag, dass es großen Redebedarf gab und sie das Thema, wenn sie wolle, ja auch noch mal aufgreifen könne. Sie sagte mir daraufhin, das Thema stehe nicht so richtig im Lehrplan, und in Ethik spreche man eher aus philosophischer Sicht über Liebe.

Auch Schulbücher machen in Sachen Homosexualität nicht schlau. Foto: Michael Andre May, pixelio.de

Eine typische Reaktion?

Ich erlebe immer wieder, dass sich Kolleginnen und Kollegen beim Thema Homosexualität unsicher fühlen, weil man dazu leider immer noch nicht ausgebildet wird. Und wie eine aktuelle Schulbuchstudie zeigt, sind Lehrbücher auch keine Hilfe. Im Gegenteil: Die Sprach- und Bildlosigkeit der Lehrbücher fördert das Schweigen zu Homosexualität in Schule und Unterricht. Dadurch bleibt Heterosexualität die unhinterfragte Norm, positiv besetzte Homosexualität muss sich rechtfertigen.

Was wissen denn deine Schülerinnen und Schüler über Schwule und Lesben?

Mir scheint, eher wenig. Die meisten kennen nicht einmal Lesben und Schwule aus dem öffentlichen Leben. Häufig wissen sie auch nicht, dass Homo- und Bisexualität genau wie die unhinterfragte Heterosexualität natürliche Formen sexueller Orientierung sind. Sie haben auch ein verzerrtes Bild von Homosexuellen, vor allem von schwulen Männern. Es ist geprägt von vermeintlicher Weiblichkeit und zugeschriebener Sexualisierung. Damit reproduzieren sie das, was ihnen Erwachsene vorleben. Mir zum Beispiel wird auch vorgeworfen, ich würde die Schülerinnen und Schüler ständig mit meiner Homosexualität konfrontieren. Dieses Vorurteil reproduzieren die Schüler.

„Du musst das ja auch nicht vor dir hertragen“

Hast du vorher geahnt, wie stark die Homophobie an einer Schule sein kann?

Ich dachte schon, dass es eine entsprechende Reaktion auf mein Outing geben würde. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass es immer wieder zu abfälligen Kommentaren führt. Das Schlimme ist: Wenn ich Kolleginnen und Kollegen sage, dass ich diese Reaktionen nicht gut finde, unterstützen mich einige, aber dann heißt es leider auch: „Du musst das ja auch nicht vor dir hertragen.“ Ich habe auch schon gehört: „Du hast eben diesen Weg gewählt.“ Nur wenige sagen von sich aus: „Wir müssen hier ein anderes Klima schaffen!“

Vielfalt muss alltäglich werden. Foto: M.E., pixelio.de

Wie könnte man das angehen?

Indem man das Thema ganz alltäglich behandelt, sodass allen klar ist: An unserer Schule gibt es Lesben und Schwule – genauso wie es hier Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Glaubens gibt. Wenn klar ist, dass zur Heterogenität einer Schule auch Lesben und Schwule gehören, dann ändert sich da was. Aber dazu müssen sie sichtbar werden. Die Erwachsenen, die Vorbilder der Jugendlichen, sind hier häufig leider sprachlos. Aber man sollte die Verantwortung nicht allein den Lehrerinnen und Lehrern zuschieben. Im Schulbereich braucht es dazu auch die Unterstützung von Politik und Schulverwaltung.

Zweifelst du manchmal an deiner Berufswahl?

Nein, nie. Lehrer zu sein, ist mein Traumberuf. Das Tolle ist, dass ich – gerade in den Naturwissenschaften – bei den Schülerinnen und Schülern sehr leicht Interesse wecken kann. Zu sehen, wie Kinder und Jugendliche lernen und kompetenter werden, ist sehr beeindruckend!

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