Transfeinde stressen – und die Community stresst zurück
  Die „Society for Evidence based Gender Medicine“ veranstaltete im September in Berlin eine Konferenz mit Akteur*innen der internationalen Anti-trans-Bewegung. Aktuelle Standards der Transgesundheit wurden dort unter dem Gesichtspunkt „ethischer Bedenken” besprochen. Das Bündnis „Transfeinde stressen“ mobilisierte Protest. Aber auch große Medien übernahmen transfeindliche Positionen und der Präsident der Bundesärztekammer hielt eine Rede zur Eröffnung.
Keine Verschnaufpause für trans und nicht-binäre Menschen in Deutschland. Während im Parlament die Rücknahme des sogenannten Selbstbestimmungsgesetzes in den Raum gestellt wird und die Angst vor „Rosa Listen“ durch die Debatte um Einrichtung eines Sonderregisters für trans, inter* und nicht-binäre Personen ein Revival erlebt, stattete die Society for Evidence based Gender Medicine (SEGM) Berlin einen Besuch ab. Vom 11. bis 14. September veranstaltete sie eine Konferenz in den Räumen des Radisson Collection Hotel in der Karl-Liebknecht-Straße.
Die Prämisse der Konferenz folgte der pathologisierenden Annahme von Transgeschlechtlichkeit als psychischer Störung.
Hinter dem unverfänglichen Namen SEGM verbirgt sich in der Tat ein tendenziöser Thinktank mit weitreichenden Verbindungen in die Anti-trans-Bewegung. Übertitelt wurde die Konferenz mit „Youth Gender Distress” – zu Deutsch „Geschlechtsidentitätsstörung bei Jugendlichen”. Die Prämisse der Konferenz folgte also der pathologisierenden Annahme von Transgeschlechtlichkeit als psychischer Störung. Welchen Umgang SEGM mit dieser angenommenen Störung vorschlägt, verrät ein Blick in das Programm der Konferenz. Mehrere Sprecher*innen thematisierten Studien, deren Methodik und Wissenschaftlichkeit gemeinhin als fraglich angesehen werden, als wären sie der allgemeine Forschungsstand in Sachen Transgesundheit. Als „Ursachenforschung” wurden Vorträge angekündigt, die Trans- und Nichtbinärsein als Trend und soziale Ansteckung ansehen. Aktuelle Standards der Transgesundheit wurden unter dem Gesichtspunkt „ethischer Bedenken” besprochen und über alternative Behandlungsoptionen referierten beispielsweise ein Verfechter der sogenannten „Gender Exploratory Therapy” – ein Euphemismus für Konversionstherapie –, mit der Kinder und Jugendliche cis werden sollen, um die „Störung” ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen.
Transfeindliches Who is Who
Als Sprecher*innen geladen war ein internationales „genderkritisches“ Who‘s Who. Vertreten war beispielsweise die Philosophin Kathleen Stock, die ihren Lehrstuhl an der University of Sussex aufgab, nachdem ihre transfeindlichen Veröffentlichungen sowie ihr erklärter Unwillen, trans Frauen anzuerkennen, massive Proteste der Studierendenschaft sowie den Widerspruch von 600 Kolleg*innen ausgelöst hatte. Über die Verbreitung von Transgeschlechtlichkeit als soziale Ansteckung und Trend referierte Riitakerttu Kaltiala, eine finnische Psychiaterin und eines der SEGM-Mitglieder, die die sogenannte Cass Studie beeinflussten. Diese fragwürdige Studie wurde bereits in Großbritannien zur Grundlage für die Einstellung der Transitionsversorgung für Jugendliche durch den britischen Nationalen Gesundheitsdienst (NHS).
Ebenfalls zur Konferenz geladen war der kanadischer Psychologe Kenneth Zucker, dessen Klinik für trans Kinder und Jugendliche in Toronto nach Einführung eines Gesetzes zum Schutz vor Konversionstherapien geschlossen werden musste. Unter dem Model „Living in Your Own Skin” propagiert Zucker eine Aussöhnung transgeschlechtlicher und nicht-binärer Jugendlicher mit ihrer „eigenen Haut”, um sie vom Transitionieren abzuhalten. Zuspruch bekam Zucker während der Konferenz sicher durch den ebenfalls anwesenden Anastassis Spiliadis, dem Urheber des „Gender Exploratory Therapy“-Modells.
Als bekannter deutscher Vertreter des transfeindlichen Unfugs im weißen Kittel war zum einen Tobias Banaschewski geladen, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Mannheim, der die adäquate Versorgung junger trans und nicht-binärer Personen für einen der größten Medizinskandale unserer Zeit hält. Außerdem zu Gast war Alexander Korte, der bereits den Ethikrat davon zu überreden versuchte, die Hürden für die Gesundheitsversorgung für junge trans Personen zu erhöhen. Grund zur Sorge schließlich gab die Anwesenheit eines bestimmten Gastes bei der Konferenz: Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, hielt eine Rede zur Eröffnung des Programms am Donnerstag.
Anti-Gender-Lobby vernetzt sich
Queere Verbände wie die Deutsche Gesellschaft für Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit (dgti) warnten vorab vor einer Teilnahme an der Konferenz. Die dgti stellte heraus, dass die Konferenz in Berlin nur die jüngste in einer Reihe von Konferenzen der SEGM sei, die in den USA und Großbritannien bereits erprobte „genderkritische“ politische Strategien in Europa zu etablieren versuchten, wie auch z. B. 2024 in Athen. Die Psychotherapeutin und dgti-Vorständin Cornelia Kost gibt sich daher zufrieden, dass bereits frühzeitig ein entschiedener Gegenwind auf die Veranstaltung aufmerksam gemacht und ihre Inhalte problematisiert hatte, da vergleichbare Veranstaltungen in der Vergangenheit unkritisch im Verborgenen hätten stattfinden können.
Fundiwatch, ein Rechercheprojekt zu den Netzwerken von Anti-Gender-Akteur*innen und christlichen Fundamentalist*innen, zeigte sich auf Anfrage besorgt angesichts der Verbindungen zwischen SEGMs Bestrebungen und anderen Vorstößen gegen die Gesundheitsversorgung junger trans Menschen in Deutschland, wie auf dem 128. Deutschen Ärztetag im letzten Jahr. Diese Ereignisse seien laut Fundiwatch Hinweise, dass sich gezielte Vorhaben ähnlich dem britischen Verschreibungsverbot für Pubertätsblocker in der Vorbereitung befinden. Hierfür würde versucht, im wissenschaftlichen Diskurs zu Recht marginalisierte transfeindliche und andere konservative Positionen unter dem Label der Wissenschaftsfreiheit zu legitimieren.
In Deutschland fällt in diesem Zusammenhang das 2020 gegründete Netzwerk Wissenschaftsfreiheit ins Auge, zu dessen Mitgliedern unter anderem der zur Konferenz in Berlin geladene Alexander Korte zählt. International gehört die Alliance Defending Freedom (ADF) zu den Knotenpunkten für diese tendenziöse Form der wissenschaftlichen Freiheit. Die christlich-fundamentalistisch geprägte Lobbygruppe und Anwaltsfirma ist einflussreich in queerfeindlichen und Anti-Abtreibungskampagnen, und baut auch in der deutschen Politik Brücken bis weit ins konservative Lager. Recherchen des Southern Poverty Law Centers enthüllen finanzielle Verbindungen zwischen SEGM und der ADF. Weltweit ist die Lage der Transgesundheitsversorgung angespannt, weswegen sich zuletzt der Weltärztebund zu Wort meldete, mit einer Aktualisierung seines 2015 veröffentlichten „Statement on Trans People“, das die Wichtigkeit betont, gegen konversionstherapeutische Ansätze, wie sie von SEGM vertreten werden, vorzugehen.
Nicht ohne Gegenwind
Gegen all das formierte sich aber auch Protest. Seit dem ersten Konferenztag machten Banner und auf Gehwegen mit Kreide hinterlassenen Nachrichten in der direkten Umgebung des Veranstaltungsortes klar, dass die Konferenz nicht widerspruchsfrei stattfinden würde. Zur Demonstration gegen die Konferenz rief Transfeinde stressen auf, ein Bündnis linker, queerer und feministischer Gruppen. Am 13. September versammelten sich dem Aufruf folgend mehrere hundert insbesondere junge trans und queere Menschen für eine Demonstration, die durch die Innenstadt und vorbei am Veranstaltungsort der Konferenz störungsfrei verlief. Nicht nur die Konferenz wartete mit internationaler Beteiligung auf, auch die Gegendemonstration unterstrich die internationale Tragweite transfeindlicher Politik, zum Beispiel mit einem Redebeitrag von Aktivist*innen der britischen Gruppe Trans Kids Deserve Better. Gleich mehrere Beiträge ordneten die Angriffe auf queere Lebensentwürfe ein in den Kontext aus Sozialabbau, Militarisierung und autoritärem Gesellschaftsumbau, in deren Fahrwasser queere Zentren, Gesundheitsversorgung wie HIV-Prävention und Angeboten für trans und nicht-binäre Jugendliche die Mittel entzogen werden.
Reichweitenstarke Blätter wie FAZ und Welt fantasierten ein von „Transaktivisten” ausgehendes Bedrohungsszenario herbei und übernahmen das tendenziöse Framing der „Wissenschaftsfreiheit”.
Das Echo auf den Gegenprotest fiel erschütternd aus. Wenig überraschend hatte die EMMA als Sprachrohr der deutschen TERF-Szene wenig Gutes über Transfeinde stressen zu sagen. Bedeutsamer ist jedoch, dass auch reichweitenstarke Blätter wie FAZ und Welt ein von „Transaktivisten” ausgehendes Bedrohungsszenario für „renommierte Wissenschaftler” herbei fantasierten. Dabei wurde das oben genannte tendenziöse Framing der „Wissenschaftsfreiheit” unkritisch übernommen und somit zur Legitimation wissenschaftlich randständiger, menschenfeindlicher Positionen beigetragen. Vergleichbar mit der medialen Hetze, die dem systematischen Angriff auf Transrechte in den USA oder dem Verschreibungsverbot von Pubertätsblockern in Großbritannien voranging, beteiligten sich so auch deutsche Medien daran, einen Kulturkampf gegen trans und queere Menschen auszuweiten. Die FAZ ging dabei so weit, einen Zusammenhang zwischen dem Attentat auf den US-amerikanischen Rechtsradikalen Charlie Kirk und dem Bündnis Transfeinde stressen anzunehmen. Damit griff sie eine mittlerweile widerlegte Fehlinformation auf, nach der der Attentäter queer und links gewesen sei.
Im umkämpften Diskurs um körperliche Selbstbestimmung und Gesundheitsversorgung trans und queerer Menschen rüsten konservative Kräfte auch in Deutschland mit medialer Rückendeckung auf. Passenderweise setzte sich eine Gruppe Aktivist*innen, von der Demonstration am 13. September ab, um den Eingangsbereich der Konferenz mit einem Die-In zu blockieren: eine gezielte Referenz auf den Widerstand von ACT UP gegen die politisch gewollte Aidskrise, die deutlich macht, dass wissenschaftliche Evidenz nie unumkämpft ist – besonders wenn es um queere Leben geht.
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