Untauglich: Mit HIV kein Polizeidienst

Ungeachtet der medizinischen Realität und eindeutiger Gerichtsurteile gelten bei der Polizei Menschen wegen ihrer HIV-Infektion als nicht diensttauglich. Das hat Folgen sowohl für Bewerber*innen als auch für die Verbeamtung von ausgebildeten Polizist*innen.
Der Beitrag ist Teil einer Artikelserie zu Formen und Dimensionen von Diskriminierung bei der Polizei.
2019 fällte das Verwaltungsgericht Hannover ein Urteil mit Signalwirkung: Die niedersächsische Polizeiakademie darf einen Bewerber nicht aufgrund dessen HIV-Infektion ablehnen. Drei Jahre hatte Christof T.* auf die Entscheidung warten müssen und schon nicht mehr daran geglaubt, dass die Klage zu seinen Gunsten ausgehen würde. Er hoffte aber, dass eine richterliche Entscheidung nicht nur ihn persönlich weiterbringe, sondern, wie er im DAH-Gespräch damals sagte, „auch all die anderen, die in einer ähnlichen Situation sind“.
Nach wie vor werden Menschen mit HIV sowohl von der Bundespolizei als auch von Landespolizeibehörden als Bewerber*innen abgelehnt
Seit diesem Urteil müssen Menschen mit HIV also nicht mehr damit rechnen, dass sie allein wegen ihrer HIV-Infektion als Polizeianwärter*innen abgelehnt werden. Davon zumindest könnte man ausgehen. Doch Jacob Hösl dämpft diese Erwartung. Der Kölner Anwalt hatte diesen juristischen Sieg errungen, aber kann sich darüber nur bedingt freuen. Denn bei der Entscheidung handelt es sich um ein erstinstanzliches Urteil und die damalige Polizeiakademie Niedersachsen ist nicht in die Berufung gegangen. Dies sei mit Kalkül geschehen, mutmaßt Jacob Hösl. Man habe wohl keine obergerichtliche Entscheidung haben wollen, „um weiterhin die diskriminierende Praxis der Ablehnung von Anwärter*innen mit HIV begründen zu können und sich nicht obergerichtliche Entscheidungen entgegenhalten lassen zu müssen“. Und so werden nach wie vor Menschen mit HIV sowohl von der Bundespolizei als auch von Landespolizeibehörden als Bewerber*innen abgelehnt – oder ihnen wird die Verbeamtung verweigert.
Verbeamtung verweigert wegen HIV
Eine Ernennung ins Beamtenverhältnis auf Lebenszeit ist nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen. Bei Bewerber*innen und Anwärter*innen muss die*der Arbeitgebende bzw. Ausbildende daher auf Basis des aktuellen Gesundheitszustandes eine Prognose der Dienstfähigkeit in Bezug auf die künftige Tätigkeit bis zur Pensionszeit erstellen. So ist es im Verwaltungsrecht geregelt. Eine Ablehnung ist damit nur dann rechtens, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass Bewerber*innen vor der Pensionszeit krankheitsbedingt dienstunfähig werden oder erhebliche Ausfallzeiten zu erwarten sind.
Dies mag für manche chronischen Erkrankungen gelten, nicht aber pauschal für HIV-Infektionen. Durch die seit Jahren eingesetzten wirkungsvollen Medikamente sind Menschen mit HIV ebenso leistungsfähig wie Kolleg*innen ohne HIV. Auch die Aussichten, bis zur Pensionszeit beruflich tätig sein zu können, unterscheiden sich faktisch nicht. Nicht zuletzt ist auch die Angst, dass Polizist*innen durch ihre Infektion im Arbeitsalltag eine Gefahr für Mitmenschen darstellen könnten, unbegründet. Zum einen sinkt durch die Behandlung die Viruslast unter die Nachweisgrenze und eine Übertragung ist damit ausgeschlossen; zum anderen ist selbst bei Biss- oder Schnittwunden, zu denen es bei körperlichen Auseinandersetzungen im Berufsalltag kommen kann, eine Blut-zu-Blut-Übertragung des HI-Virus lediglich hypothetisch, wissenschaftlich aber unwahrscheinlich ist.
Fehleinschätzungen durch veraltetes Wissen bei Amtsärzt*innen
All dies ist kein Geheimwissen, sondern basiert auf seit vielen Jahren durch Studien und medizinische Erfahrungen belegten Erkenntnissen. Allerdings sind sie ganz offenkundig noch nicht überall durchgedrungen, zum Beispiel zu allen Amtsärzt*innen, die für die Prüfung der gesundheitlichen Eignung als Sachverständige hinzugezogen werden. „Tatsächlich müssen wir immer wieder feststellen, dass auch Ärzt*innen zuweilen noch ein ‚altes Bild‘ von HIV im Kopf haben“, bestätigt der DGB-Mitarbeiter Matthias Schlenzka, der als Leiter der Abteilung Öffentlicher Dienst und Beamtenpolitik immer wieder auch Anfragen von verunsicherten Berufseinsteiger*innen mit HIV erhält. Insbesondere bei der Polizei beobachtet Schlenzka immer noch grundsätzliche Vorbehalte gegen die Einstellung von Bewerber*innen mit HIV.
Sie geraten dadurch unnötig in ein belastendes Dilemma. Geben sie ihre HIV-Infektion bereits bei der Bewerbung an, müssen sie damit rechnen, gleich zu Beginn abgelehnt zu werden, ohne dass sie ihre Befähigung unter Beweis stellen können. Verschweigen sie hingegen ihre Infektion, kommt diese durch einen HIV-Test im Rahmen des Bewerbungsverfahren zu Tage und wird zu ihren Ungunsten ausgelegt.
Einen solchen Fall hatte Jacob Hösl unlängst bei einem seiner Klienten. Bis zum Testergebnis hatte der Anwärter alle Prüfungen und auch die medizinischen Untersuchungen durchlaufen und es wurden keinerlei Hindernisse für die Verbeamtung festgestellt – mit Ausnahme des noch ausstehenden Ergebnisses des HIV-Tests. Die Einstellung in den Polizeidienst war dem Mann – unter Vorbehalt des Testergebnisses – bereits zugesichert. Da der Anwärter jedoch wusste, wie der Test ausfallen würde, offenbarte er vorab bereits seinen Immunstatus. „Daraufhin hat der Dienstherr, in diesem Fall das Land Sachsen-Anhalt, die Verbeamtung abgelehnt“, berichtet Jacob Hösl. Die Begründung lautete „mangelnde charakterliche Eignung“, weil der Bewerber die ihm bekannte HIV-Infektion zunächst verschwiegen habe. Dagegen hat der Mann geklagt, die Entscheidung des Verwaltungsgericht Magdeburg steht noch aus.
Selbst im Innendienst gilt ein Polizist mit HIV als Gesundheitsgefahr
Etwas anders ist der Fall eines Polizisten gelagert. Er wurde anlässlich seiner Verbeamtung auf Probe nicht auf HIV getestet. Ein Jahr später informierte er seine Dienststelle aus eigenen Stücken über seine Infektion, das schien für seine Vorgesetzten kein Problem zu sein. Der Polizist konnte seinen Dienst über Monate ohne Veränderungen fortsetzen.
Doch dann wurde er überraschend zu einer Begutachtung einbestellt, mit dem Ergebnis: Der Anwärter sei angeblich wegen Infektionsgefahr für Dritte und wegen vermeintlicher psychischer Probleme nicht polizeidienstfähig im Sinne des Polizeivollzugsdienstes. Dass er zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als ein Jahr sowie viele Monate nach Bekanntgabe der HIV-Infektion im Polizeivollzugsdienst ohne jegliche gesundheitliche Einschränkung und ohne Fehlzeiten tätig war, sogar außerordentlich viele Überstunden ansammelte, schien dabei keine Rolle zu spielen.
Der Beamtenanwärter wurde daraufhin in den Innendienst versetzt und es wurde schließlich ein Verfahren auf Widerruf des Beamtenverhältnisses in die Wege geleitet. Die Begründung hier: Der Anwärter habe den Dienstherrn über wesentliche Umstände seiner Dienstfähigkeit, nämlich über seine HIV-Infektion und die dadurch mangelnde Polizeidiensttauglichkeit, arglistig getäuscht. Selbst die Diensttauglichkeit im Verwaltungsinnendienst wurde durch den Dienststellenleiter – entgegen des Gutachtens – in Zweifel gestellt. Denn auch dort könnten ja Infektionsgefahren bestehen. Wie diese genau aussehen sollen, ist auch für Jacob Hösl rätselhaft. Derzeit läuft in diesem Fall ein Widerspruchsverfahren.
AGG gilt auch für Polizeibeamt*innen
Es ist längst an der Zeit, dass auch die Einstellungsbehörden der Polizei den aktuellen Stand zu HIV zur Kenntnis nehmen und Polizeiärzt*innen in ihren Begutachtungen einfließen lassen. Bei Beamtenanwärter*innen mit HIV müsse vorurteilsfrei und individuell geprüft werden, ob durch ihre Infektion tatsächlich eine Polizeidienstuntauglichkeit vorliegt.
„In wahrscheinlich mehr oder weniger 99,9 % der Fälle, in denen sich zumindest junge Bewerber*innen für den Polizeidienst entscheiden, wird die gesundheitliche Situation so sein, dass diese einer Polizeidiensttauglichkeit nicht widerspricht“, sagt Jacob Hösl. „Eine Person, die schon gesundheitliche Einschränkungen hat, wird sich kaum bei der Polizei bewerben. Die Vorstellung, dass sich dort Leute einschleichen, die in Wahrheit gesundheitlich den Dienst gar nicht ableisten können, ist abwegig.“
Die Ablehnung einer Verbeamtung pauschal aufgrund einer HIV-Infektion ist eine Diskriminierung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes
Die Ablehnung einer Verbeamtung pauschal aufgrund einer HIV-Infektion ist zudem eine Diskriminierung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Das hat das Verwaltungsgericht Berlin 2022 im Fall eines Beamtenanwärters festgestellt. Denn das AGG gilt auch im öffentlichen Dienstrecht und schützt selbstverständlich auch Beamt*innen und Anwärter*innen vor Diskriminierung. „Schließlich ist der Staat in einem Rechtsstaat naturgemäß der letzte, der diskriminieren darf“, betont Jacob Hösl.
Der Jurist sieht allerdings auch noch eine andere wichtige Problemstelle bei der Polizei: den Datenschutz bzw. die Verschwiegenheitspflicht. „Mir ist aus mehreren Mandatsverhältnissen von Polizeibeamt*innen bekannt geworden, dass dienstintern und behördenintern persönliche Verhältnisse der Beamt*innen und auch Gesundheitsdaten nicht geheim bzw. geschützt bleiben. Bei HIV wird immer mitgedacht, dass Risiken für Kolleg*innen und andere Personen bestehen könnten.“ Das ist, wie Jacob Hösl betont, komplett unsinnig und abwegig, umso wichtiger ist es, die Rechte von Polizeibeamt*innen mit HIV zu schützen.
Die für die Polizei zuständigen Innenministerien der Länder und des Bundes müssen innerhalb ihrer Behörden endlich für ein Umdenken sorgen
Veränderungen müssen aber nicht allein auf juristischem Weg erzwungen werden, auch die für die Polizei zuständigen Innenministerien der Länder und des Bundes müssen innerhalb ihrer Behörden endlich für ein Umdenken sorgen. Seit zwei Jahren befasst sich der Unterausschuss Recht und Verwaltung des Arbeitskreises Innere Sicherheit der Innenministerkonferenz mit der Eignung von HIV-positiven Bewerber*innen für den Polizeidienst. Nachdem eine eigens begründete Bund-Länder-Arbeitsgruppe der Polizeiärztlichen Dienste sich den medizinischen Aspekten widmete, soll nun ein Arbeitskreis verfassungs-, beamten- und haftungsrechtliche Fragenstellungen zum Polizeidienst mit HIV abklären. Ein Abschlussbericht ist für dieses Frühjahr angekündigt.
„Es bleibt festzuhalten, dass dem medizinischen Fortschritt in der polizeiärztlichen Begutachtung bei allen Erkrankungen weiterhin große Beachtung geschenkt wird“, versicherte das rheinland-pfälzischen Innenministerium gegenüber der DAH. Neue Aspekte, die sich auch auf die beamtenrechtliche Bewertung durchschlügen, würden im Gremienbeschluss selbstverständlich berücksichtigt werden.
Das bleibt abzuwarten, denn die Wege, auf denen das Wissen zum heutigen Leben mit HIV bis zur Polizei vordringt, sind offensichtlich sehr lang. „Es ist längst an der Zeit, dass diese systematischen Diskriminierungen und die damit einhergehenden Verstöße gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ein Ende finden“, so Anka Hellauer von der Kontaktstelle zu HIV-bezogenen Diskriminierung der Deutschen Aidshilfe.
* Name von der Redaktion geändert
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