PRO/CONTRA: Brauchen wir noch Aids-Buddies?
Heute hat Aids den Schrecken verloren, dank neuer Therapien führen die meisten Positiven ein fast normales Leben.Stellt sich die Frage: Brauchen wir die Aids-Buddies noch?
Markus Wickert von der Berliner AIDS-Hilfe und Karl Lemmen von der Deutschen AIDS-Hilfe argumentieren das „Für und Wider“.
PRO: Abschaffung wäre Irrwitz
Markus Wickert, Ehrenamtlerkoordinator der Beliner Aids-Hilfe
Die emotionale Begleitung für Menschen mit HIV und Aids muss weitergehen! Sie muss sogar ausgebaut werden. Dieses zentrale Angebot der Aidshilfe abzuschaffen, wäre ein Irrwitz.
Längst hat sich Aidshilfe aus dem Dunstkreis der Hospizarbeit entfernt. Sie ist im Leben verankert und kennt die Bedürfnisse von Menschen mit HIV und Aids. Wenn aber die Deutsche AIDS-Hilfe bis ins Jahr 2010 die Ausbildung von Begleitern/Begleiterinnen noch „Betreuerschulung“ nennt und so schon durch seine Sprache ausdrückt, dass sich Begleiter und „Betreute“ nicht auf Augenhöhe begegnen. Stellt sich die Frage: Was weiß der Dachverband über die wertvolle Arbeit seiner regionalen Aidshilfen in Deutschland?
Denn vor Ort hat sich viel getan: Die Begleitung orientiert sich sehr klar an den Bedürfnissen von Menschen mit HIV und Aids. Oft begleiten wir Menschen, die sich in Krisen hinein- oder aus Krisen herausbewegen. Wir bieten punktuelle Unterstützung, helfen bei situationsbedingten Depressionen und suchen gemeinsam Auswegen aus der Isolation. Und diese Begleitungsangebote sind notwendig. Denn wie alle schweren Erkrankungen kann auch eine HIV-Infektion Krisen auslösen.
Eine HIV-Infektion im Jahre 2010 sieht völlig anders aus und hat mit den Anfängen nichts zu tun. Das stimmt. Wir profitieren von den Erfolgen der modernen Behandlungsmethoden. HIV-Positive nehmen aktiv am „Leben“ teil – im Alltag und im Beruf. Heute heißen die Herausforderungen: gesund leben mit dem Virus, Therapiebegleitung und Unterstützung, Umgang mit Armut und sozialer Not. Die Unterstützung hat sich professionalisiert und verändert. Sie reicht vom Betreuten Einzelwohnen, über verschiedenste Beratungsangebote bis hin zur Einzelfallhilfe.
Aber nicht immer verläuft eine HIV-Infektion nach dem Lehrbuch der Schulmedizin. Nicht jede Behandlung erreicht das Ziel, gut und beschwerdefrei zu leben. Noch immer gibt es Bedarf für eine nicht professionalisierten Begleitung von Menschen, die mit [KURSIV] dem HIV-Virus gesund leben wollen. Waren die Begleitungen früher ausgelegt auf die Unterstützung von schwerstkranken Menschen, die bald verstarben, so leisten wir heute Hilfe zum Leben, zumeist für einen bestimmten Lebensabschnitt.
Voraussetzung für eine gute Begleitung ist ein intensives Zusammenspiel von Klienten, haupt- und ehrenamtlichen Begleitern, von Aidshilfen und anderen Institutionen wie Pflegediensten, Arztpraxen, Gesundheitsämtern und Hospizen. Und genau dieser Austausch findet bereits statt: Zielvereinbarungen, die alle sechs Monate aktualisiert werden, binden alle Beteiligten – Klienten, Ehrenamtliche und Hauptamtliche.
Ja, die meisten HIV-Positiven führen heute ein fast normales Leben und sind nicht auf unsere Versorgungsangebote angewiesen. Aber was ist mit den Menschen in Heimen, Pflegeeirichtungen und Haftanstalten? Was ist mit Menschen, die mit einer Behinderung oder einer weiteren Krankheit leben müssen? Die ihre berechtigten Anliegen nicht formulieren können? Die kaum sichtbar sind oder weit weg von einer unterstützenden Community? Diese Menschen brauchen Begleitung, auch ehrenamtliche. Fällt das Angebot der emotionalen Begleitung weg, verlieren sie eines ihrer wichtigsten Sprachrohre, um ihre Bedürfnisse so zu formulieren, dass sie auch von der Mehrheit wahrgenommen werden.
CONTRA: Geld besser anders verwenden
Karl Lemmen, Referent für Psychosoziales und Qualitätsentwicklung der Deutschen AIDS-Hilfe
Es ist an der Zeit, sich von Angeboten zu verabschieden, die ihren ursprünglichen Sinn verloren haben und an den heutigen Bedürfnissen vorbeigehen. Das gilt auch für Angebote, die einmal ein Herzstück der Aidshilfe-Arbeit waren – so wie die emotionale Begleitung von Menschen mit HIV.
Zur Erinnerung: Mit dem Slogan „Zuwendung statt Ablehnung“ wollten wir in den 80er Jahren auf die Herausforderung durch Aids und die massive Ausgrenzung der Betroffenen reagieren. Aidspatienten wurden nicht selten von ihrer Familie oder dem Freundeskreis gemieden und mussten ihre tödliche Erkrankung isoliert verarbeiten. Für diese Menschen wollten wir damals einen Familienersatz schaffen, der dem Schrecken von Aids standhielt.
Dabei waren wir selbst am wenigsten auf das Thema Sterben vorbereitet! Hospize gab es damals nur in England, bei uns in Deutschland hatten die „Sterbehäuser“ einen schlechten Ruf. Groß war die Abwehr, sich mit dem Sterben zu beschäftigen. Wer mit einer tödlichen Diagnose konfrontiert wurde, sah sich mit einer Umwelt konfrontiert, die dieser Auseinandersetzung ausweichen wollte.
All dies waren Gründe, warum wir damals Betreuung als „emotionale Begleitung von Menschen mit HIV“ verstanden haben. In Anlehnung an das amerikanische Buddy-Konzept sollten die Buddies eine Lücke schließen, die Aids ins Leben der Betroffenen gerissen hatte: Sie boten Kontakt, wo andere aus Angst vor Ansteckung flüchteten. Sie öffneten ihr Ohr für Themen, bei denen andere weghörten. Und sie blieben auch dann bei der Stange, wenn andere angesichts des nahen Todes das Weite suchten.
Buddies wurden damals von den Aidshilfen sorfältig ausgesucht und gründlich auf die Arbeit vorbereitet. Sterbemeditationen waren fester Bestandteil der Ausbildung. Sie gaben den Buddies einen Eindruck davon, welche seelische Dynamik die Konfrontation mit einer tödlichen Diagnose auslösen kann. Regelmäßige Supervision sollte sicherstellen, dass die Betreuung nicht aus dem Ruder lief. Zurückblickend kann man sagen, dass hier großartige Pionierarbeit geleistet wurde. Es ging immer auch darum, ein Zeichen gegen Ausgrenzung zu setzen.
Aber das Buddy-Konzept hat sein Verfallsdatum überschritten. Heute haben wir es mit einer anderen Situation zu tun, die andere Angebote von Aidshilfen erfordert. Aids ist nicht mehr die tödliche Erkrankung, die sie bis Mitte der 90er Jahre war. Die Gesellschaft hat zu einem normaleren Umgang mit den Positiven gefunden. Darüber hinaus sind neue Angebote entstanden, die im Einzelfall auch die Begleitung von sterbenden Aidspatienten übernehmen können, zum Beispiel aus der Hospizbewegung heraus.
Die Aidshilfen brauchen dafür keine Mitarbeiter/innen mehr zu schulen, sondern können ihre Energien in neue Projekte investieren, die dem veränderten Bild von HIV entsprechen – und zum Beispiel die Frage beantworten, wie man Menschen dazu befähigt, das Leben mit und trotz HIV (wieder) in die eigene Hand zu nehmen und für die eigenen Interessen einzutreten.
Ist es nicht an der Zeit, sich als Aidshilfe aus dem Dunstkreis der Hospizbewegung zu entfernen und sich stärker den Verbänden chronisch Kranker anzunähern? Ist es nicht an der Zeit, eine Einrichtung zu werden wie etwa die Rheuma-Liga? Wäre dies nicht der nächste erforderliche Schritt hin zur Normalisierung von HIV?
Sollten wir uns nicht viel stärker von der Betonung der „Todesnähe“ verabschieden, auch wenn diese die Aidshilfen in der Vergangenheit mit großer Bedeutung ausgestattet hat?
Diesen Beitrag teilen
11 Kommentare
alivenkickn 20. Dezember 2010 15:27
Das ist wieder mal ein typisches Beispiel für Betriebsblindheit, die typische Abgehobenheit auf Grund einer entstandenen Distanz zwischen Verbands Funktioären und Betroffenen. Beide Kommentatoren pro und contra befinden sich in einer „privilegierten Situation“.
Möglicherweise sind sie selbst HIV +, auf alle Fälle stehen sie in einem Arbeistverhältnis das ihnen ein Einkommen ermöglicht, das weit über das hinaus geht was man als Minimum zum Unterhalt für das tägliche Leben benötigt. Dies ermöglicht und eröffnet Ihnen Möglichkeiten die Menschen mit HIV und AIDS deren Einkommen sich auf Höhe der Grundsicherung oder einer Rente – Sicherung des Lebensunterhaltes nach SGB I – XII bzw ALG in ähnlicher Höhe bewegt verschlossen ist und bleibt.
Das HIV heute eine chronische, behandelbare Krankheit geworden ist steht außer Frage. Nichtsdestoweniger hat es nach wie vor seinen Schrecken nicht verloren. Gerade wenn man von seiner Erst Diagnose – seiner Infizierung zum ersten Mal erfahren hat, sind die Ängste, Sorgen und Nöte nach wie vor so präsent wie vor 30 Jahren. An den emotionale Prozessen die der Einzelne nach der Konfrontation „Sie sind HIV+“ durchläuft, haben die Medikamente wie auch die Tatsache das es viele Longtimer, 50, 60 jährige gibt die zum Teil 20, 28 Jahre mit dem Virus dank der Medis leben auch heute nichts geändert.
Psychotherapeutische Angebote, gute Therapeuten sind so dünn gesät wie das Haupthaar eines Mannes der kurz vor einer Vollglatze steht. Hier tut der Zuspruch und die Unterstützung durch Mitarbeiter einer AH, die einen gemessen an dem Bedarf wie er sich zur Zeit darstellt, nur geringen Zeitlichen Rahmen zur Verfügung haben bzw. der Buddies nach wie vor Not.
Nicht jeder ist in ein dichtes soziales Netzwerk von Freunden, Familie und/oderPartnerIn eingebunden, nicht Jeder ist in der Lage sich Menschen anzuvertrauen, über seine Ängste und Nöte zu kommunizieren. HIV Foren geben davon ein beredtes Zeugnis ab. Sie sind es auch die eine neue Art der Selbsthilfe in Form von Bewältigungsstrategien durch gegenseitige Unterstützung praktizieren.
Eine Umfrage aus einem Forum die nur die Oberfläche eines Eisbegrges darstellt:
Wie beurteilst Du in Bezug auf HIV/HepC/Aids deinen Gesundheitszustand körperlich und/oder psychisch in folgender Skala?
38% – Mir geht es sehr gut, ich fühle mich gesund und leistungsfähig (15)
33% – Ich fühle mich gesundheitlich und /oder seelisch leicht beeinträchtigt, nicht mehr voll leistungsfähig, komme aber noch zurecht. (13)
10% – Ich bin angeschlagen, durch die Infektionen beeinträchtigt und kann einiges noch, anderes nicht mehr machen. (4)
10% – Ich bin wiederholt oder chronisch krank und fühle mich in meiner Kraft stark gemindert. (4)
8% – Ich bin schwer krank, im Alltag auf Hilfe angewiesen. (3)
Akute Situationen können oder werden kaum in dem Maß von AH´s Rechnung getragen wie es itunter notwendig ist. Die Gründe sind mannigfaltig. Die einen wollen nicht, anderen wiederum mangelt es schlicht und einfach an den notwendigen Ressourcen wie Ehrenamtlichen MitarbeiterInnen bzw es fehlt an den notwendigen finanziellen Mittel um Ehrenamtlichen zumindst ihre Auslagen zu erstatten.
Michael St. 20. Dezember 2010 16:00
Ich bin doch mehr als erstaunt: die ‚Contra‘-Position des Herrn Lemmen geht m.E. an der Realität vorbei. Umso verwunderlicher, dass es sich dabei um den Fachreferenten ‚Psychosoziales‘ handelt. Hat er noch Einblicke in die Praxis, Kontakt zu Betroffenen und Begleitern? Die Person, die ich emotional begleite wäre beinahe an Aids und den Folgeerkrankungen gestorben (hier hat mich die Supervision sehr gut aufgefangen und getragen). Aber selbst wenn Aids nicht mehr tödlich wäre, sondern ’nur‘ chronisch, bedarf es einer gesonderten Betreuung und Begleitung. Denn nach wie vor werden AIDS-Kranke ausgegrenzt (sogar seitens des Personals in Krankenhäusern)und vereinsamen aufgrund der Krankheit! Dies mit Rheuma zu vergleichen läßt m.E. den Verfasser der ‚Contra‘-Thesen, besonders in seiner Funktion, in seltsamen Lichte erscheinen….
Sybille Förschner-Delling 20. Dezember 2010 19:10
Folgendes fällt mir (seit 10 Jahren in der Berliner Aidshilfe als Emotionale Begleiterin aktiv) auf:
Bei Karl Lemmen hat man den Eindruck, dass er von „moderner“ Begleitungsarbeit nicht viel weis. Man merkt, dass er wirklich nur an die Sterbebegleitung früherer Zeiten denkt und dass ihm die vielseitigen heutigen Modelle, wie die BAH sie ja anbietet, total fremd sind. Wüsste er von „Begleitung auf Zeit“, von Zielvereinbarungen, die alle 6 Monate angepasst werden (das ist nämlich wirklich eine echt hilfreiche und an die heutigen Verhältnisse angepasste Verbesserung) und würde er ein paar Einzelschicksale z.B. von unseren Zubegleitenden kennen, dann wäre er sicher nicht so eindeutig contra Emotionale Begleitung. Man sollte ihn mal zu einem Teamtag einladen!
Die Argumente pro Begleitung kann ich als aktiver Begleiter nur bejahen. Irgendwie hat man ja den Eindruck von eine gewissen „Abgehobenheit“ der Arbeit der DAH, die sich von der Basisarbeit (regionale Aidshilfen) ziemlich entfernt hat. Theorie und Praxis liegen da ja meilenweit auseinander!
Gefilderado 21. Dezember 2010 22:05
Man könnte ja auch mal umgekehrt fragen, ob die Buddies uns Positive/ Aidskranke brauchen. Die meisten, die sich ehrenamtlich engagieren, stammen aus der Mittelschicht und kommen so mal mit anderen sozialen Gruppen in Kontakt, z.B. Junkies oder Schwulen, die so ganz anders sind, als die lieben Kulturfreunde.
So wichtig, wie in den Zeiten der Krise sind Buddies nicht mehr, aber wenn die „emotionale Begleitung“, wie sich das in der BAH nennt, kostengünstig organisiert wird, warum nicht?
Peter 3. Januar 2011 10:28
Eine gute Idee!
Der Gedanke – Menschen zu begleiten – gefällt mir.
Dieses Angebot müßte es viel öfters geben!!!
Andere Organisationen sollten auch darüber nachdenken und sich ein Beispiel nehmen.
Ich verstehe den „kritischen Blick“ der Deutschen Aidshilfe nicht, entwerde hat der Schreiber keine Ahnung, oder er will provozieren.
Wenn es eine Provokation ist, verstehe ich auch nicht warum.
Bitte laßt euch nicht entmutigen, eure emotionale Begleitung ist wichtig und gut!
UNBEDINGT WEITERMACHEN !!!
Manuel 4. Januar 2011 13:06
Allein die Bezeichnung „Aids-Buddy“ finde ich gruselig und ziemlich überholt.
Und ansonsten ist das die Denke von vorgestern, die heute wohl nur noch dazu dient, dass man sich seine Klienten so machen kann, wie man es als Einrichtung braucht. Schönes altes Aids!
Ich stimme Karl Lemmen zu! Besser wäre es, die Ressourcen in neue Ideen und Projekte zu investieren.
Andreas Rau 1. Februar 2011 15:31
Ein entschiedenes „Vielleicht“.
Ein „Kumpel“ ist jemand, der dann da ist, wenn er gebraucht wird, bei dem ich mich nicht verstellen muss, der vor allem nicht so tief reinguckt, wie ein intimer „bester“ Freund und der einfach mal mitgeht…
Finde ich gut. Auch oder gerade in AIDS-Hilfe. Das hat mit altem AIDS gar nix zu tun.
Wir in Hagen nennen die nicht „Buddys“, sondern Begleitungsteam (klingt auch nicht besser), aber sie werden in Anspruch genommen und gebraucht. Sie beginnen ihr Werk oft schon in der Testberatung, bzw. zur Ergebnismitteilung. Sie sind (manchmal) selber HIV-positiv oder kennen sich sonst gut aus (weil sie geschult sind). Sie drängen sich nicht auf, sondern bieten an.
Wer sie nicht braucht, der ruft sie auch nicht ab. Der Vorteil ist der, dass die AIDS-Hilfe als Institution oft als zu hochschwellig empfunden wird. „Ich brauche Hilfe“ ist ein Satz, der manchen schwer über die Lippen geht. Muss es dann immer der Profi sein? Einen Kumpel fragt ihr doch im Privatleben auch eher um Rat, als z.B. den Therapeuten… oder?
Der Buddy kann erste Fragen beantworten und Türöffner sein in die Instituiton selber oder in die Selbsthilfe oder beim Positreff oder oder oder….. Er kann sein menschliches Know How, sein fachliches und berufliches Know How einbringen, je nach dem, was gebraucht wird und was er eben kann und will. Ein Ehrenamt wie andere auch. Ein Alltagsexperte…..
Wollte ich als „Hauptamtler“ das alles selber machen, käme ich nicht mehr nach….. Außerdem habe ich den Sozialarbeiterblick. Der wird zwar manchmal auch gebraucht. Aber eben nicht immer.
Wir sind froh, dass wir sie haben, die Buddys, Begleiter, Kumpel…. wie sie auch immer genannt werden. Und wenn sich eine „echte“ Freundschaft entwickelt ist das auch richtig und gut. So verstehe ich Selbsthilfe und Selbstorganisation.
Solange sie sich nicht aufdrängen, und den „Nutzer“ entmündigen oder sich überlegen fühlen, sehe ich da kein Problem.
Das Vielleicht – um darauf zurückzukommen…. gilt nicht nur für AIDS-Hilfe, sondern für die Menschen mit HIV. Die nämlich selber entscheiden können, ob und wann sie jemanden und vor allem WEN sie brauchen – oder?
Also sollte das Thema kein Verbandpolitikum sein, sondern Sache des individuellen Konzepts, dass die Bedürfnisse und Bedarfe des Nutzers, Kunden, Ratsuchenden – auch wie wieder lästige Wortklauberei – in den Vordergrund stellt.
Christian 8. Februar 2011 8:38
Wenn ich mich mittlerweile als Positiver in Prävention und Begleitung als buddy engagiere, dann mache ich das, weil ich selbst versäumt habe meine Interessen, Wünsche und Erwartungen an mein „Restleben“ früh- und damit rechtzeitig mit anderen Betroffenen zu teilen und mich auszutauschen.
Dabei will ich mich nicht aufdrängen oder den Sozialarbeiter oder den Psychologen ersetzen, was mir weder zusteht, geschweige denn gelänge.
Für jemanden da zu sein, wenn derjenige meint, mich zu brauchen, und ihm dann hilfreich mit Wort und Tat zur Seite zu stehen, ist heute noch genauso wichtig, wie in Zeiten, als wir mit dem positiven Testergenmis in der Regel unsere Zukukunftsperspektiven zu Grabe tragen mussten.
Der Ansatz, diesen Teil der Betreuung in die Hände engagierter und durchaus erfahrener Ehrenamtler zu legen, ist sicherlich heute noch genau so sinnvoll wie in den Tagen der ersten AIDS-Phobie der 80er und 90er Jahre des letzten Jahrhunderts.
HIV und AIDS nehmen nun einmal noch immer einen anderen Stellenwert im täglichen Leben ein als ein Rheumaleiden, was die Arbeit der Aidshilfen und ihrer Ehrenamtler noch lange nicht überflüssig machen wird.
Johannes 13. März 2011 16:16
Über die Überlegung, die AIDS-Buddies abzuschaffen, kann ich nur den Kopf schütteln (der Begriff selbst ist nur dringend abzuschaffen).
Vor sieben Jahren kam ich als Nichtbetroffener zu den „Kümmerlingen“ der AIDS-Hilfe Düsseldorf (so nennt sich hier die Betreuer-/Begleitergruppe). Da war es schon keine Sterbebegleitung mehr. Dank der neuen Medikamente hat sich ja alles zum Glück grundlegend geändert.
Dass aber(Zitat Karl Lemmen) „die Gesellschaft Schritt für Schritt zu einem normaleren Umgang mit den Positiven findet“, kann ich nicht feststellen. Warum wäre sonst eine Informationsveranstaltung zum Thema HIV und Arbeitsrecht erforderlich, bei der einem geraten wird, sich nicht mit HIV am Arbeitsplatz zu outen?
Und dass wir überflüssig wären und man sich um wichtigere Dinge kümmern sollte, erst recht nicht.
Ich besuche z.B. regelmäßig Betroffene im Gefängnis und bin meist (neben der hauptamtlichen Kollegin, die aber natürlich nicht so viel Zeit für jeden hat) der Einzige, mit dem offen endlich mal über HIV gesprochen werden kann. Ein gute Bild über die Situation in Haft findet sich in einem Interview auf Seite 12 der Zeitschrift :info (siehe dort auch Seite 29)
http://duesseldorf.aidshilfe.de/fileadmin/downloads/info_august_2009_72_dpi.pdf
Charly hätte wahrscheinlich sehr etwas dagegen gehabt, wenn die Kümmerlinge abgeschafft worden wären.
Z.B. auch meine Kolleginnen, deren Klientin gerade von einer Krise in die andere stolpert, aber immer jemand hat, der für sie da ist.
Oder die andere Kollegin, deren Klient sich am Anfang nicht vor die Tür getraut hat, heute aber durch die Weltgeschichte gondelt.
Ein halbes Jahr im Krankenhaus zu liegen und überhaupt keinen Besuch zu bekommen? Möchte sich jemand das vorstellen?
Beispiele für unsere sinnvolle und wichtige Tätigkeit könnten noch mehr gefunden werden. Wir müssen uns oft mit Vereinsamung und desaströsen Biographien auseinandersetzten und sind mitunter das einzige Tor zur „normalen“ Welt. Was wir mitbringen ist etwas, was die Hauptamtlichen und viel andere nicht haben: Zeit.
Sehen wir es auch mal aus der betriebswirtschaftlichen Sicht bzw. zur Forderung von Karl Lemmen, dass Geld besser anders zu verwenden:
Hier in Düsseldorf kümmert sich eine Hauptamtliche um uns 7 Ehrenamtler.
Pro Monat werden von ihr 2 Arbeitsstunden für unser regelmäßiges Treffen aufgewandt. Dazu kommt der zeitliche Aufwand für Organisation und Koordination.
Dem stehen 7 Ehrenamtler gegenüber, die Betroffene regelmäßig zu Hause, im Krankenhaus oder im Gefängnis besuchen und darüber hinaus telefonisch zur Verfügung stehen. Hier kommen mindestens 40 Stunden (wenn nicht noch mehr) im Monat unbezahlter Einsatz für Betroffene zusammen. Jedem Bänker würde bei so einer Rendite doch das Herz im Leibe lachen (wenn er eins hat).
Außerdem tragen wir auch zur unmittelbaren Entlastung der Hauptamtlichen bei, da viele Fragen und Probleme erst gar nicht an sie heran getragen werden, sondern von uns gelöst werden.
Nicht bezahlbar sind die Freundschaften, die sich im Laufe der Zeit zwischen Kümmerling und „Bekümmerten“ entwickelt haben.
Noch etwas: Wie Gefilderado richtig bemerkt hat, kommen viele Ehrenamtler aus der Mittelschicht. Meine Umgebung muss sich mit Themen wie HIV, Drogen und Gefängnis beschäftigen, was ihr oft schwer fällt. Man könnte noch so viele Spots und Anzeigen schalten, die AIDS-Hilfe hätte sie sonst mit ihrem Anliegen nicht erreicht.
Der Wandel von der Sterbebegleitung zur Unterstützung, (Zitat Karl Lemmen) „das Leben mit und trotz HIV (wieder) in die eigene Hand zu nehmen und für die eigenen Interessen einzutreten“ ist bei der AIDS-Hilfe Düsseldorf m.E. schon vor vielen Jahren vollzogen worden.
Im Interesse der Betroffenen hoffe ich sehr, dass die Arbeit hier unvermindert fortgeführt wird, auch wenn die Deutsche AIDS-Hilfe sie nicht mehr unterstützt.
Karl Lemmen 13. April 2011 14:01
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
herzlichen Dank für diese engagierten Beiträge zur Diskussion rund um das Thema Unterstützung von Menschen mit HIV. Wie einige von Euch/Ihnen richtig vermutet haben, haben Markus Wickert und ich unsere jeweiligen Positionen bewusst „zugespritzt“. Wir arbeiten seit vielen Jahren gemeinsam an dem Thema, haben aber bedauert, dass es in letzter Zeit so ruhig um das Thema ehrenamtliche Betreuung in Aidshilfen geworden war. Verschiedene Versuche unsererseits, zu diesem Thema in eine breitere Diskussion zu eröffnen, blieben ohne Resonanz. Deshalb haben wir den Weg dieser Pro und Contra Diskussion im DAH-Blog gewählt.
Dennoch vertrete ich persönlich den Standpunkt, dass es auch in Aidshilfe erlaubt sein muss, immer wieder zu hinterfragen, ob wir angesichsts sich verändernder Bedingungen noch das RICHTIGE und WICHTIGE tun. Schließlich war es immer eine der großen Stärken von Aidshilfe, über das Bestehende hinaus zu denken und neue Wege in Prävention und Betreuung zu beschreiten.
Die Diskussion hat deutlich werden lassen, dass sich das ursprüngliche Angebot der „Lebensbegleitung bis in den Tod“ längst den veränderten Bedingungen eines längeren Lebens mit HIV angepasst hat, dass aber die Stigmatisierung von Menschen mit HIV nach wie vor eine unserer größten Herausforderungen darstellt.
Mich freut, dass es gerade von Seiten engagierter Menschen mit HIV ein so heftiges Plädoyer für eine Fortführung dieses Angebotes gibt. Damit hätte ich schlichtweg nicht gerechnet. Ich habe was dazu gelernt und werde dies in meiner weiteren Arbeit berücksichtigen.
Euch/Ihnen allen einen herzlichen Dank für die Bereitschaft zur Diskussion.
Herzliche Grüße aus Berlin
Karl Lemmen
Markus Wickert 19. April 2011 15:02
Als Karl Lemmen und ich im vergangen Sommer zusammen kamen, wurde uns schnell klar, wir wollen den Bereich der Begleitungsarbeit sichtbarer machen und in den Focus einer öffentlichen Diskussion rücken.
Als Ausgangspunkt stand der provokante Text von Karl Lemmen, der irrtümlicherweise als Contra verstanden wurde.
Entgegen dieses Verständnisses brachte Karl Lemmen denkbare Argumente für eine Abschaffung der Begleitung ein, auf die ich mit Gegenargumenten zum Erhalt der Emotionalen Begleitung (so die Bezeichnung der Buddy-Arbeit in der BAH) reagierte. Diese konträren Positionen sollten das Spannungsfeld aufzeigen und die Diskussion eröffnen.
Vorab sei eine Bemerkung über den Sprachgebrauch erlaubt.
Wir sprechen im Berliner Aids-Hilfe-Kontext nicht von Aids-Buddies. Diese Begrifflichkeit war der redaktionelle Versuch, Aufmerksamkeit auf ein Thema zu richten, das in den Augen der DAH wenig Interesse in der Aidshilfe-Landschaft hervorruft.
In der Berliner Aids-Hilfe vermeiden wir den stark stigmatisierenden Begriff „ Junkies“ und sprechen von „drogengebrauchenden Menschen“.
Emotionale Begleitung findet am und mit Menschen statt. Eine Akzeptanz der Vielfalt von Lebenswelten ist somit ein absolutes Muss in dieser Form der Begegnung. Hier begegnet man sich auf Augenhöhe. Es geht nicht darum Menschen aufzuzeigen wie sie leben sollen, was sie tun und lassen sollen, vielmehr geht es darum ImpulsgeberIn, UnterstützerIn und WegbegleiterIn zu sein.
Wir verstehen Ehrenamt nicht als höhere Töchter-Aufgabe, sondern als gelebten Diversity-Ansatz in Aids-Hilfe mit einem hohen Anteil an Selbsthilfe.
Zu dem Tätigkeitsfeld der ehrenamtlichen Begleitungsarbeit wurde im Text einiges benannt und die Aufgaben konnten umrissen werden.
Wichtig dabei war es mir, die Form der heutigen Begleitung darzustellen, um sie klarer zu beleuchten und Einblicke zu gewähren.
Eine Diskussion über die Sinnfrage der Begleitungsarbeit ist sinnvoll und gewünscht, um eine Abschaffungsdebatte ging es Karl Lemmen und mir dabei nie.
Die Herausforderungen die wir gemeinsam leisten sollten sind u.a. die Erhaltung und Wiederherstellung von Gesundheit und das Annehmen von Krankheit.
Ein Rückzug der Aidshilfen auf reine Primärprävention wäre ein einseitiger Weg, bei dem die Interessen von HIV-positiven Menschen auf der Strecke bleiben würden. Aidshilfe muss auch weiterhin bereit sein unbequeme Wege einzuschlagen und darf nicht erstarren, darf nicht unbeweglich sein.
Ich möchte Karl Lemmen und der Deutschen Aids-Hilfe danken, dass sie der Begleitungsarbeit den Raum geschaffen haben, den sie verdient.
Mein Dank geht auch an alle Kommentatorinnen und Kommentatoren.
Alle AktivistInnen möchte ich bitten den kritischen Blick auf die geleistete Arbeit beizubehalten und konstruktiv das Gespräch mit Aids-Hilfen zu suchen.
Ich wünsche den Menschen, die auf die Hilfe und Unterstützung zurückgreifen, dass sie einen schnellen und unkonventionellen Zugang finden und mit ihren Fragestellungen und Problemlagen auf offene Türen und Ohren stoßen und die Unterstützung bekommen, die sie benötigen.
Egal aus welchen Lebenszusammenhängen sie kommen.
Den ehrenamtlichen MitarbeiterInnen spreche ich meinen besonderen Dank aus.
Die von ihnen geleistete Freiwilligenarbeit ist eine der tragenden und unverzichtbaren Säulen der Berliner Aids-Hilfe.
Herzliche Grüße aus Berlin
Markus Wickert