Zu Nachwuchs will es "Project Prevention" bei Drogenabhängigen und HIV-Positiven erst gar nicht kommen lassen. Abb.: Wikimedia Commons
Zu Nachwuchs will es „Project Prevention“ bei Drogenabhängigen und HIV-Positiven erst gar nicht kommen lassen. Abb.: Wikimedia Commons

Anfang des Jahres ging im Vereinigten Königreich eine Welle des Aufruhrs durch die Zivilgesellschaft. Es war bekannt geworden, dass die umstrittene US-Initiative „Project Prevention“ ihre Aktivitäten auch auf den europäischen Inselstaat ausdehnen will. Carolin Vierneisel von der Deutschen AIDS-Hilfe berichtet von den Reaktionen auf dieses Vorhaben.

In den USA zahlt „Project Prevention“ drogenabhängigen und HIV-positiven Frauen aus sozial schwachen Schichten umgerechnet ca. 200 Euro aus, wenn sie in eine Sterilisation einwilligen. Nach eigenen Angaben wurden bereits bei über 3.600 Frauen und ca. 60 Männer Eingriffe vorgenommen. In etwa 1.500 Fällen handelt es sich um permanente Sterilisationen.

„Wir lassen nicht zu, dass sich Hunde fortpflanzen. Wir kastrieren sie“

Getragen wird das Projekt von seiner Gründerin Barbara Harris. In Interviews betont sie, damit werde vielen Kindern unnötiges Leid erspart. „Wir lassen nicht zu, dass sich Hunde fortpflanzen. Wir kastrieren sie. Wir versuchen zu verhindern, dass sie ungewollt Junge kriegen – aber diese Frauen werfen buchstäblich Kinder.“ Laut Harris wird das Projekt über private Spenden finanziert. Unter den Förderern finden sich vor allem Rechtskonservative und Vertreter der „Neuen Rechten“ in den USA.

Nicht zuletzt durch Harris’ Verlautbarungen hat das Projekt in kürzester Zeit viele zivilgesellschaftliche Akteure gegen sich aufgebracht. Die Debatte ist emotional stark aufgeladen, spielen dabei doch Aspekte wie Moral, Stigmatisierung oder die Einteilung in wertes und unwertes Leben eine Rolle. Auch Peter Kearney, ein Sprecher der katholischen Kirche, verurteilte das Vorgehen des Projekts: „Wenn man schon drogenabhängige Frauen sterilisiert – warum sollte man hier haltmachen? Warum sterilisiert man nicht gleich auch Alkoholabhängige! Das ist massive Sozialmanipulation und vollkommen inakzeptabel.“

„Warum sterilisiert man nicht gleich auch Alkoholabhängige!“

In eine ähnliche Richtung geht ein Kommentar aus einer von der BBC angestoßenen Online-Diskussion: „Wer gibt einem das Recht, andere Menschen zu einer Sterilisation zu überreden oder zu zwingen? Was werden sie sich als Nächstes ausdenken? 500 £ für gewalttätige Kriminelle, die sich ihre Arme amputieren lassen?“

In Großbritannien haben sich die Gegner von Project Prevention zu einer breiten Front zusammengeschlossen und den Protest organisiert. Geführt wird er von der Initiative „release“, die sich für die Rechte Drogen Gebrauchender einsetzt. Release-Sprecherin Niamh Eastwood in einer Diskussionsrunde mit Barbara Harris: „Wir müssen uns wirklich fragen, ob das eine Strategie ist, die wir bei vulnerablen Gruppen anwenden wollen. Jeder Mensch sollte das unveräußerliche Recht haben, über seine Fortpflanzung und Sexualität selbst zu entscheiden. Man sollte die Situation nicht so hindrehen, dass man sagen kann, diese Menschen hätten kein Recht auf Kinder. Ich denke, das ist schlichtweg falsch.“

„Wir müssen diesen Menschen Hoffnung geben, statt sie zu verurteilen“

Nicht nur aus menschenrechtlicher, auch aus fachlicher Sicht ist auf andere Strategien zu setzen. Die Substitution beispielsweise sollte allen Opiatabhängigen ermöglicht werden, die diese Behandlungsform wünschen. Sie hat schon vielen geholfen, sich gesundheitlich und sozial zu stabilisieren. Im Falle einer Schwangerschaft wiederum ist für eine gute medizinische und psychosoziale Betreuung zu sorgen, um Mutter und Kind möglichst gesund zu erhalten. Das gilt insbesondere bei HIV-positiven Frauen. Denn das Risiko einer HIV-Übertragung von der Mutter auf das Kind lässt sich auf weniger als 1 % senken, wenn alle notwendigen Schutzmaßnahmen getroffen werden.

Auch release-Sprecherin Eastwood verweist darauf, dass es bei Drogenabhängigen und HIV-Infizierten vor allem um Fragen der Gesundheitsversorgung und des Zugangs zu medizinischer Behandlung gehe. Ihre Situation sei von Armut geprägt, was Project Prevention völlig außer acht lasse. „Wir müssen diesen Menschen Hoffnung geben, statt sie zu verurteilen. Wir müssen aufhören, sie als unverantwortlich darzustellen – es handelt sich um Menschen mit Gesundheitsproblemen.“

Jetzt beginnt sich auch die Community der Drogen Gebrauchenden zu formieren. Das „Black Poppy’s Junk Mail Magazin“ beispielsweise zeigt auf, wie man sich gegen „Project Prevention“ wehren kann: indem man Werbe-Aufkleber entfernt, an Veranstaltungen des Projekts „aktiv“ teilnimmt oder Petitionen einreicht.

Protest formiert sich auch in Südafrika

Die Protestaktionen haben bereits etwas gebracht: In Großbritannien hat man „Project Prevention“ die Durchführung permanenter Sterilisationen durch härtere Auflagen erschwert. Aber inzwischen will sich das Projekt auch in afrikanischen Ländern wie z. B. Kenia, Sambia oder Südafrika etablieren. Fachleute und Aktivistengruppen in Südafrika haben bereits angekündigt, sie wollten die Menschenrechtskommission anrufen, falls Barbara Harris ihre Pläne in die Tat umsetzen sollte.

Quellen:

http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/magazine/8500285.stm

http://www.telegraph.co.uk/health/8071664/Drug-addict-sterilised-for-cash-but-can-Barbara-Harris-save-our-babies.html

http://www.youtube.com/watch?v=qrcJOitz-d4

http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/scotland/3508084.stm

http://www.bbc.co.uk/blogs/haveyoursay/2010/10/should_addicts_be_encouraged_t.html

http://www.release.org.uk

http://blackpoppymag.wordpress.com

http://www.projectprevention.org/

Zurück

Let’s talk about sex, Herr Doktor!

Weiter

Dossier HIV & Arbeit 1 | Packen wir's an!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

6 + 3 =

Das könnte dich auch interessieren