Ausländerinnen, die in Deutschland als Prostituierte arbeiten, sind für die HIV-Prävention besonders schwer zu erreichen. Die AIDS-Hilfe Oberhausen geht deshalb einen bislang einmaligen Weg: Sie bietet Schnelltests und Beratung  direkt im Rotlichtbezirk an.

Ein Geldschein zu einem Herz geformt
Wer Sex gegen Geld anbietet, braucht spezielle Angebote der HIV-Prävention (Foto: Benjamin Klack/ pixelio.de)

Es gibt weder Autoverkehr noch Passanten. Wer die Flaßhofstraße durch die Absperrung betritt, will dort seinen Geschäften ungestört und diskret nachgehen. 16 kleine, unscheinbare Siedlungshäuser stehen in dieser gepflegten Oberhausener Privatstraße; jedes einzelne beherbergt ein Bordell oder einen Sexclub mit zusammen etwa 230 Zimmern, in die sich Sexarbeiterinnen einmieten können.  Zwischen 100 und 200 Euro Tagessatz zahlen sie dafür.

Rund 150 Frauen sind es nach Angaben des Streetworkprojekts LILJA im Schnitt, die hier als Prostituierte arbeiten. Manche seien nur für wenige Tage hier, bevor sie in die Rotlichtbezirke anderer Städte weiterziehen, andere blieben ein paar Monate. Die wenigsten nur haben einen deutschen Pass. Osteuropäerinnen, insbesondere aus Bulgarien und Rumänien, stellen mit über 80 Prozent die Mehrheit der hier tätigen Prostituierten. Seit dem EU-Beitritt einiger Länder sei die Anzahl rasant gestiegen, so die örtliche Beratungsstelle von SOLWODI („SOLidarity with WOmen in DIstress“), die sich um Migrantinnen im Sexgewerbe kümmert.

Großer Bedarf an Aufklärung über sexuell übertragbare Krankheiten

Zwar gebe es immer wieder auch Fälle von Zwangsprostitution, wie SOLWODI berichtet, die meisten Frauen aber treibe die Armut hierher. Das Sexgewerbe erscheint für sie als die einzige Möglichkeit, um in kurzer Zeit möglichst viel Geld zu verdienen. „Manchmal begegne ich richtig tragischen Schicksalen“, erzählt Regina Noesges, die  hauptamtlich bei der AIDS-Hilfe Oberhausen arbeitet. „Frauen Mitte 50, die ihrer Familie zuliebe hier anschaffen gehen, um die Ausbildung der Kinder zu finanzieren. Zu Hause erzählen sie, dass sie hier als Haushaltshilfe arbeiten.“

Nur wenige Frauen verfügen über gute Kenntnisse zu sexuell übertragbaren Krankheiten. SOLWODI und AIDS-Hilfe sahen deshalb die Gefahr, dass einige der Frauen bereits mit HIV infiziert sind oder sich noch infizieren könnten. Daraus entwickelte sich die Idee, einen HIV-Schnelltest anzubieten

„Entscheidend war, dass das Angebot niedrigschwellig und vor Ort sein sollte“, sagt Regina Noesges, „denn die meisten Frauen, die in der Flaßhofstraße arbeiten, kennen sich in Oberhausen überhaupt nicht aus, sondern fahren direkt zu ihrem Arbeitsplatz.“ Sie kämen mit einem Touristenvisum nach Deutschland und schafften so lange an, bis zum Beispiel das Geld für die Ausbildung ihrer Kinder zusammengespart sei.

Selbst die Bordell-Hausmeister nutzen den HIV-Schnelltest

Dass Handlungsbedarf besteht, sah auch das örtliche Gesundheitsamt und stellte für die HIV-Schnelltest-Aktionen eine Laborkraft sowie die Test-Kits zur Verfügung. Selbst die Bordellbetreiber und Hauswirtschafterinnen –„Früher nannte man sie Puffmütter“, klärt Noesges auf – zeigten sich aufgeschlossen. Die Räume stellt ein Bordellbetreiber zur Verfügung. Die Resonanz bei dem ursprünglich als einmalige Aktion geplanten Beratungs- und Testangebot im vergangenen Jahr war so gut, dass es nun regelmäßig einmal im Quartal wiederholt wird.

Ein gutes Dutzend Frauen fanden sich jeweils bei den bisherigen Terminen ein, und sogar die Hausmeister haben die Gelegenheit zum HIV-Test genutzt. Die Sprach- und Kulturvermittlerinnen von SOLWODI helfen, die freiwilligen Fragebögen zu demografischen Angaben bzw. zum Sexualverhalten auszufüllen. Noch haben die dabei erhobenen Daten keine statistisch ausreichende Menge erreicht, sie zeichnen aber bereits ein deutliches Bild: Die Hälfte der Frauen – mehrheitlich aus Osteuropa, ein Viertel aus Lateinamerika stammend ­ – lebt demnach in einer festen Partnerschaft. Nur ein Drittel verfügt über eine Krankenversicherung. Ebenso wenige sind gegen Hepatitis A und B geimpft bzw. hatten sich zuvor schon einmal auf HIV testen lassen. Wie wichtig es ist, diese Lücke in der Beratung und der Vorsorge zu schließen, bestätigten insbesondere die Gespräche mit deutschen Sexarbeiterinnen, die schon länger im Gewerbe tätig sind. Sie vermissten den sogenannten „Bockschein“, berichtet Regina Noesges.

Ein Drittel der Frauen hatte sich erstmals testen lassen

Seit der Abschaffung des Bundesseuchengesetzes und der Einführung des Infektionsschutzgesetzes 2001 benötigen Prostituierte kein amtsärztliches und weithin als diskriminerend empfundenes Gesundheitszeugnis mehr. Das Ende dieser behördlichen Kontrolle bedeutete aber auch das Ende freiwillig wahrzunehmender Hilfsangebote der Gesundheitsämter, etwa kostenloser Hepatitis-Schutzimpfungen, die auf diesem Wege auch Frauen ohne Krankenversicherung wahrnehmen konnten. „Und wenn man schon mal beim Amtsarzt war, ließ man sich auch gleich bei der einen oder anderen Sache beraten“, sagt Noesges.

Wie groß dieser Beratungsbedarf ist, zeigte sich bereits bei den bislang drei Schnell-Test-Aktionen: „Ich bin immer davon ausgegangen, dass Sexarbeiterinnen sich den Themen Kondomgebrauch, sexuell übertragbaren Krankheiten und Schwangerschaftsverhütung gut auskennen. Die Erfahrungen aber zeigen, das dies überhaupt nicht stimmt“.

Stutzig machten das Beratungsteam beispielsweise, wie viele der Sexarbeiterinnen in den Gesprächen von Kondomunfällen berichteten. Bei konkreten Nachfragen stellte sich heraus: Aus Kostengründen verwenden viele Frauen Babyöl als Gleitmittel. Dass fetthaltige Mittel für Gummis völlig ungeeignet sind, war ihnen nicht bekannt. Ein weiterer Grund: Viele Frauen achten beim Kondomkauf nicht auf die Qualität, sondern bestellen sich die preisgünstigste Ware im Großpack via Internet.

Frühstück mit Nachhilfe in Sachen Schwangerschaftsverhütung

Regina Noesges und LILJA wollen nun versuchen, diese Wissenslücken während eines Frühstücks zu schließen. Bei Kaffee und Brötchen soll eine lockere Atmosphäre geschaffen werden, in der auch mal ganz ungezwungen Frauenkondome auf den Tisch gepackt werden können, um damit ins Gespräch zu kommen. „Auf diese Weise hoffen wir, dann einige grundsätzliche Dinge klären zu können“, sagt Regina Noesges. Zum Beispiel, dass kleingeschnittene Spülschwämme kein guter Ersatz für Periodenschwämmchen sind, sondern aufgrund des ungeeigneten Materials zu Verletzungen und Entzündungen führen können.

Zu tun ist also noch reichlich, die bisherige Resonanz aber stimmt das Team rund um die Schnelltest-Aktionen optimistisch. Vor allem hoffen sie, dass das Angebot bald auch von jenen Frauen angenommen wird, die sich bisher scheuen – zum Beispiel, weil sie berechtigte Angst vor einem positiven Ergebnis haben. Bislang ist noch bei keiner Frau eine HIV-Infektion festgestellt worden. Sollte das passieren, würden die betroffenen Frauen von der psychosozialen Begleitung der AIDS-Hilfe weiter betreut.

Und noch ein Umstand erfreut Regina Noeskes: Weder hätten die Freier viel von den Testaktionen mitbekommen, noch seien die Betreiber damit hausieren gegangen. Die anfänglichen Befürchtungen, dass die Bordellbesitzer mit einem „sauberen Puff“ werben und Freier nicht mehr auf Schutz achten könnten, weil vermeintlich „alle durchgetestet“ sind, hätten sich erfreulicherweise nicht bewahrheitet.

Axel Schock

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

1 Kommentar

  1. Hallo Axel,

    danke für deinen Front-Bericht von der Geschlechterwirtschaft und Befriedigungsindustrie. Ja Zimmermieten in Bordellen sind nicht so niedrig wie ’ne Jugendherberge. Aber es ist ja auch kein privates Übernachtungszimmer, sondern ein Geschäftsraum oder wirtschaftlicher Produktions- und Dienstleistungsbetrieb d.h. es gelten Gewerbemietpreise. *lach*

    Dass die Wirtschafter sich aber dennoch nicht besser um ihre gewerblichen Mieterinnen kümmern und ihnen Qualitätskondome, Beppi-Schwämmchen und verschiedene Gleitgele zur Auswahl anbieten und die Sachen kompetent erklären können ist schon starker Tobak und gehört von den Fachleuten der AIDS-Hilfe bearbeitet (Multiplikatorentraining). Schließlich gibt es die 16 Betriebe dort nicht erst seit den neuen Reisemöglichkeiten für die Osteuropäerinnen. Bedenke doch allein wie lange die AIDS-Hilfen und Du uns Jungs in der Schwulenszene via Gaypresse immer wieder aufgeklärt haben, bis sich dort entsprechendes Gesundheitswissen in einer Generation rumgesprochen hat… Die Sexworkerszene ist der Schwulenszene mindestens 10-20 Jahre hinterher was gesellschaftliche Emanzipation und Akzeptanz betreffen.

    So denken viele ‚Sexarbeiter = Opfer‘ und unterstellen einfach zu viele Befürchtungen die sich letztlich doch nicht bewahrheiten (wenn man deinen Artikel denn zu Ende liest). So wurde bisher noch keine Sexarbeitsmigrantinnen HIV+ getestet – was für eine frohe Botschaft.

    Das Problematisieren von Sexarbeit liegt hier vor Ort sicher auch ein großes Stück daran, dass das Streetworkprojekt LILJA von SOLWODI e.V. einer prostitutionsfeindlichen röm-katholischen Sekte betrieben wird, die sich auf das vor-demokratische, vor-wissenschaftliche Naturrecht beruft, so wie neulich erst der Deutsche Papst im Bundestag.

    Stelle dir einmal vor, du müßtest als Mann der schwulen Minderheit für Safer-Sex-Infos und Gesundheitsuntersuchung zu einem Hetero-Macho-Arzt oder Ärztin antanzen und dann evt. amtsärztliche Zwangshandlungen erwarten dürfen. Mir scheint da konzeptionell der Wurm drin zu sein, auch wenn im konkreten Einzelfall vor Ort sicher alle Helferinnen sehr bemüht und engagiert sind gute Einzelfallhilfe zu leisten.

    Ich hoffe dass die von SOLWODI erhobenen Statistiken der Frauen veröffentlicht werden und zum Empowerment der Sexworker beitragen und nicht als Legitimation im Kampf gegen Prostitutions-MigrantInnen zweckentfremdet werden, wenn Sr. Dr. Ackermann demnächst wieder einseitige Vorträge über ausgebeutete Zwangsprostituierte und Hintermänner-Netzwerke halten sollte.

    LG,
    Dein Sexworker und Sexworker-Interessenvertreter Marc

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