Die heroinabhängige Russin Irina Teplinskaya wurde weltweit bekannt, als sie sich an die Vereinten Nationen wandte, um ihr Recht auf medizinische Behandlung einzufordern. Heute setzt sie sich für die Legalisierung der in Russland verbotenen Methadon-Substitution ein. Xenia Maximova sprach mit der Aktivistin auf der Konferenz „Health Right Now“ am 21. November in Berlin.

Irina Teplinskaya kämpft für das Recht Drogenabhängiger auf medizinische Behandlung. Foto: Privat
Irina Teplinskaya kämpft für das Recht Drogenabhängiger auf medizinische Behandlung. Foto: Privat

Mit ihrem Engagement versucht Irina Teplinskaya (45) zumindest das Leben anderer zu retten. Ihr eigenes ist schon gebrochen. Dennoch hat diese Frau eine unglaubliche Ausstrahlung – trotz 30-jährigen Drogenkonsums und 16 Jahren Haft, trotz HIV, Hepatitis C und Tuberkulose, trotz mehrerer Selbstmordversuche und endloser Erniedrigungen.

Man hat dich gewarnt, dass dein Engagement Repressionen zur Folge haben könnte. Hast du Angst?

Heute nicht mehr. Angst hatte ich, als ich sterbenskrank im Knast lag, ohne HIV-Medikamente zu bekommen und ohne das Leben gesehen zu haben.

In Russland ist die Substitutionsbehandlung verboten. Gibt es wenigstens Alternativen?

Nein, es gibt keine. Zuerst werden die tierischen Entzugserscheinungen bekämpft, beispielsweise mit einem Insulinschock oder mit Psychopharmaka. Die nimmt man ein und fühlt sich dann wie „Gemüse“, wenn Speichel aus dem Mund läuft und die Muskeln ganz schwach werden.

Immerhin gibt es Rehabilitationszentren.

In einem Rehabilitationzentrum behandelt zu werden, ist ein Vorrecht reicher Russen. Das kostet mindestens 800 Euro pro Monat, was die meisten Betroffenen gar nicht bezahlen können. Für jeden der vom Staat geförderten kostenlosen Behandlungsplätze gibt es pro Jahr rund 400 Anwärter – die Wartenlisten sind superlang. Man landet im Knast oder stirbt, wenn man keine Behandlung bekommt.

Wie hast du denn überhaupt von der Substitution erfahren?

Rein zufällig. Bis vor kurzem haben russische Drogenabhängige nichts davon gewusst. Wir hörten nur, dass es ein wunderbares Land namens Holland gibt, wo etwas Verbotenes erlaubt ist. (lacht). In der russischen Andrey-Rylkov-Stiftung für Gesundheit und soziale Gerechtigkeit hat man mir erzählt, dass es auch in der Ukraine Substitutionsprogramme gibt.

Möchtest du in einem Land behandelt werden, wo die Substitution erlaubt ist?

Ich will nicht mehr fixen, das tue ich seit nunmehr dreißig Jahren. Ich möchte eine Wahl haben! Ich könnte sicherer leben, wenn ich wüsste: Wenn es mir sehr schlecht geht, kann ich um ein Rezept für Methadon bitten, statt eine Straftat zu begehen. Letztlich wäre das auch für den Staat viel günstiger.

Warum, glaubst du, ist die Substitutionstherapie in Russland verboten?

Die russische Gesunsheitsministerin Tatjana Golikova behauptet immer wieder, in anderen Ländern habe sich gezeigt, dass die Substitution keine effektive medizinische Behandlung sei. Außerdem muss man wissen, dass hinter der Drogenmafia eine unheimliche Menge Geld steht. Und in dem völlig korrumpiertem Russland sind auch die staatlichen Strukturen daran beteiligt.

Vor kurzem wurde in Russland ein Gesetzentwurf zu Betäubungsmitteln eingebracht. Wenn ihm entsprochen wird, könnte ab dem kommenden Frühling nicht nur der Handel mit Drogen, sondern auch ihr Gebrauch bestraft werden. Das würde bedeuten: Wer sich einen Schuss setzt, kommt ins Gefängnis. Irina Teplinskaya hofft inständig, dass ihre Bemühungen nicht umsonst sind. Denn die Hoffnung stirbt zuletzt.

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5 Kommentare

  1. Fast noch erstaunlicher ist im Land der käuflichen Killer, dass die gute Frau noch lebt. Selbst die OSZE-Wahlbeobachter wollen die Regierenden in Russland jetzt behindern. Alles, was als Kritik am russischen „lupenreinen“ Demokratismus zu vorwitzig erscheint, wird meist mattgesetzt, zur Not durch „Verschwinden“.

  2. Letztes mal sah ich Irina im Juni.
    Irina wohnt in der Ukraine (Poltava) und bekommt eine Substitutionsbehandlung. Sie erhält Methadon.
    Es geht ihr aber trotzdem richtig schlecht, weil sie keine psychosoziale und psychotherapeutische Hilfe bekommt.
    Aufgrund dieser Situation kann sie sich nicht mehr so intensiv für eine veränderte Drogenpolitik und für Menschenrechte von Drogenkonsument_innen engagieren.

    1. Hallo Elli,

      ja, wir haben noch Kontakt zu Irina. Meine Kollegin Sasha hat sie im Juli das letzte Mal gesehen. Es geht Irina leider nicht gut. Sie ist zurzeit in Russland und bekommt somit keine Substitution mehr. Im Moment sucht sie nach Möglichkeiten, um im Oktober auf die Harm-Reduction-Konferenz nach Kuala Lumpur reisen zu können.

      Beste Grüße,

      Christina Laußmann

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