Unter dem Eindruck steigender Fallzahlen bei sexuell übertragbaren Infektionen, insbesondere unter schwulen Männern, wird in Deutschland verstärkt die Einrichtung zielgruppenorientierter Gesundheitseinrichtungen diskutiert. Mit solch niedrigschwelligen Anlaufstellen sollen vor allem auch jene Männer erreicht werden, die sich beispielsweise mit ihren speziellen sexuellen Problemen und Fragen nicht gegenüber ihrem Hausarzt outen möchten.

Internetseite des Checkpoint Zürich
Der Checkpoint bietet in umfassendes Gesundheitsangebot für schwule Männer

In der Schweiz sind Zentren, die sich mit einem umfassenden Behandlungs-, Beratungs- und Testangebot an schwule Männer wenden, bereits Realität. 2006 wurde mit dem Checkpoint Zürich das erste Schweizer Gesundheitszentrum für homosexuelle Männer und Sexarbeiter eröffnet. Axel Schock hat sich mit Andreas Lehner, dem stellvertretenden Leiter des Checkpoint Zürich, über das Projekt unterhalten.

Das Checkpoint-Konzept scheint sich bewährt zu haben. Nach Zürich und Genf sollen nun auch Basel, Bern und Lausanne ein solches Gesundheitszentrum erhalten. Wer hat dazu ursprünglich die Idee geliefert bzw. das Projekt angestoßen?

Andreas Lehner: Das kommt ganz darauf an, wen man fragt. Fragt man beim Bundesamt für Gesundheit, haben sie es erfunden, fragt man die Zürcher Aids-Hilfe, dann stammt die Idee von ihr. Das eigentlich Entscheidende aber ist: Dies ist eine Initiative von schwulen Männern für schwule Männer.

Weg vom reinen HIV-Testcenter hin zum schwulen Gesundheitszentrum

Das Bundesamt hat die Checkpoint-Idee also von Anfang an unterstützt?

Man hat ganz einfach anhand der epidemiologischen Daten gesehen, dass Schwule eine Zielgruppe sind. Und wenn man die Kosten im Gesundheitsbereich speziell bei HIV senken möchte, dann muss man bei den schwulen Männern ansetzen. Hinzu kommt, dass, wie wir aus Erhebungen wissen, auch der allgemeine Gesundheitszustand von schwulen Männern deutlich schlechter ist als derjenige der Allgemeinbevölkerung.

Eine gute Idee zu haben ist das eine, sie finanziert zu bekommen das andere.

Wir werden direkt vom Bundesamt für Gesundheit finanziert, bekommen aber auch Geld von der Stadt und vom Kanton Zürich, allerdings für unterschiedliche Aufgaben.

Porträtfoto Andreas Lehner
Andreas Lehner gehört zu den Mitbegründern des Zürcher Checkpoint

Wie breit ist euer Angebot angelegt?

Inzwischen decken wir sehr viel ab. Angefangen haben wir mit HIV-Tests, dann kamen Beratung und Tests zu anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STIs) dazu. Mittlerweile haben wir im Team auch Ärzte, die beispielsweise Abstriche oder Blutkontrollen bei HIV-Positiven durchführen können. Sie behandeln aber auch mal einen Husten, wenn ein Klient keinen Hausarzt hat. Neu ist ein Psychologe, und auch in diesem Jahr werden wir wieder das Angebot erweitern –  je nach den Bedürfnissen der schwulen Community. Wir kommen immer mehr weg vom reinen HIV-Testcenter hin zum schwulen Gesundheitszentrum.

Müssen die Patienten für diese allgemeinmedzinischen ärztlichen Leistungen eigentlich ihre Versichertenkarte vorlegen, damit sie über die Krankenkassen abgerechnet werden können? 

Natürlich können Leute bei uns über Krankenkasse abrechnen. Man kann bei uns all diese Behandlungen anonym in Anspruch nehmen. 

Das heißt, die staatlichen und städtischen Träger zahlen damit Leistungen, die eigentlich die Krankenkasse zahlen müsste?

Da wir auch Präventionsaufgaben wahrnehmen, können wir prinzipiell nicht kostendeckend arbeiten. Der Zürcher Checkpoint hat zehn Beschäftigte, hinzu kommen die Ärzte und Psychologen. Dies alles kann man nur finanzieren, wenn auch Förderung fließt. Krankenkassenzulässige Leistungen werden entweder von der Krankenkasse oder bei Anonymen in Bargeld bezahlt. Wir beanspruchen öffentliche Gelder nur für Male Sex Worker ohne Krankenkasse.

Die Klienten kommen aus allen Kantonen, einige sogar aus Deutschland angereist

Wie viele Klienten kommen zu euch?

Wir testen sehr viele Leute auf HIV und STIs. Wir führen im Jahr etwa 2000 HIV-Tests durch. Desweiteren behandeln und betreuen wir aber nicht nur HIV-Positive, sondern auch schwule Männer mit anderen gesundheitlichen Problemen. Viele Menschen suchen uns auch wegen psychischer Probleme auf. Pro Tag habe wir zwischen 20 und 50 Klienten. Wir werden die Öffnungszeiten voraussichtlich Mitte diesen Jahres auf fünf sechs die Woche erweitern.

Ihr habt auch sonntags bis 20 Uhr geöffnet.

Die Sonntagsöffnung ist vor allem für die PEP (HIV-Post-Expositions-Prophylaxe) gedacht, weil die potenziellen Infektionsfälle natürlich verstärkt freitags und samstags passieren.

Die Checkpoints sind in erster Linie ein Projekt von Schwulen für Schwule

Wie oft kommt es vor, dass Männer sich nach einem möglichen HIV-Infektionsrisiko an euch wenden?

Die Leute sind inzwischen gut darüber informiert, dass es eine PEP gibt. Wir haben sicherlich jede Woche zwei bis drei Fälle.

Luftaufnahme des Züricher Hauptbahnhofs
Der Zürcher Checkpoint hat sich bewusst in Bahnhofsnsähe niedergelassen (Foto:Wikiwaner)

Welche Überlegungen denn die Checkpoint-Begründer  angestellt, um den idealen Ort für den Checkpoint zu finden? Waren beispielsweise die Nähe zur schwulen Szene oder ein diskreter Zugang ausschlaggebend?

Ich denke, wir haben eine kluge Mischung gefunden. Wir liegen direkt am Bahnhof. Viele reisen eigens aus anderen Kantonen an, um uns aufzusuchen. Übrigens gibt es auch sehr viele Deutsche, die drei, vier Stunden Zugreise auf sich nehmen, um sich bei uns anonym beraten und behandeln zu lassen. Der Zürcher Bahnhof liegt zudem recht nahe an der Szene, aber eben auch nicht mittendrin.

In Deutschland wird die Idee der Checkpoints für schwule Männer noch kritisch diskutiert. In der Debatte geht es vor allem um eine Öffnung des Angebots für Zielgruppen wie Migranten oder Drogengebraucher, die sich unter Umständen in einer weitaus schwierigeren Situation befinden als der krankenkassenversicherte schwule Mann. Kennt ihr ähnliche Diskussionen?

Natürlich, allerdings haben wir in der Schweiz grundsätzlich die Möglichkeit, „Sans-papiers“, Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung, auch ohne Krankenkasse gratis zu behandeln. Die Checkpoints sind allerdings in erster Linie ein Projekt von Schwulen für Schwule. Darüber hinaus mehr zu leisten übersteigt unsere Möglichkeiten. Daher wäre es sinnvoller, wenn beispielsweise Migranten oder ihnen nahestehende Organisationen die Sache in die Hand nähmen und ein gezielt zugeschnittenes Projekt dieser Art installierten. Das ist ja grundsätzlich möglich.

Wie wird der Checkpoint unter den Schwulen wahrgenommen? Scheut man sich vielleicht, dort hinzugehen, weil man gesehen und in der Szene für HIV-positiv gehalten werden könnte?

Wir werden nicht allein als HIV-Projekt wahrgenommen, sondern als ein Projekt für die schwule Gesundheit.  Außerdem kommen nicht nur schwule Männer zu uns, sondern auch heterosexuelle und Frauen. Wer generell Berührungsängste mit uns hat, kommt nicht zu uns, sondern geht woanders hin.

Plakat des Checkpoint
Auch Infoabende gehören zum Angebot des Gesundheitszentrums

Das heißt, wenn zu euch eine  Heterofrau kommt, wird sie nicht abgewiesen und hat den gleichen Anspruch auf die Behandlung?

Grundsätzlich ja. Wenn wir ein überfülltes Wartezimmer haben, behalten wir uns allerdings vor, Heterosexelle abzuweisen, und bitten sie, zu einem anderen Zeitpunkt wiederzukommen.

Man kommt zu euch also in der Regel ohne Termin?

Bei längerfristigen ärztlichen Behandlungen werden die Patienten neuerdings mit Termin einbestellt, denn sie wollen nicht jedes Mal auf ihre Beratung oder Behandlung warten müssen.

In Deutschland wie in der Schweiz hat sich eine Ärztelandschaft entwickelt, die sich speziell an schwule Patienten richtet, darunter sind nicht zuletzt auch viele HIV-Schwerpunktpraxen. Erleben diese die Checkpoints nicht als starke Konkurrenz?

Das ist definitiv so. Allerdings gibt es auch sehr viele falsche Vorstellungen darüber, was wir im Checkpoint eigentlich tun. Die Legende, dass es bei uns alles gratis gäbe, macht einem Zürcher Allgemeinmediziner natürlich Angst. Bei uns arbeiten allerdings auch sehr viele Nicht-Ärzte; Menschen, die aus der konzeptionellen Prävention oder aus der Beratung kommen. Wir mussten den niedergelassenen Arztkollegen auch klar machen: „Zu uns kommen Leute, die eben gerade nicht zu euch gehen möchten“. Wir nehmen denen nicht wirklich Klienten weg, aber diese Angst besteht verständlicherweise.

Wenn ihr bei einem Klienten beispielsweise einen Tripper, eine organische Erkrankung oder Bluthochdruck diagnostiziert: Werden diese Patienten dann bei euch auch therapiert, oder verweist ihr sie an Fachärzte weiter?

Das kommt darauf an. Bei Syphilis, Hepatitis C oder Chlamydien beispielsweise können wir selbst Therapien anbieten. Sobald aber große Apparatemedizin notwendig ist, verweisen wir an Fachärzte in unserem Netzwerk.

Wie sieht eure Vor-Ort-Arbeit aus? 

Eine ganz wichtige Sache ist für uns „Checkpoint mobil“. Wir gehen direkt in die Bars, Discos und Darkrooms und bieten dort HIV- und Syphilis-Tests an. Im Gegensatz zu Deutschland ist dies bei uns recht kostengünstig zu machen, da für die Diagnosestellung keine Ärzteaufsicht vor Ort vorschrieben ist. Wir machen dabei allerdings keine HIV-Schnelltests. Wir wollen nicht, dass die Situation entsteht, sagen zu müssen: „Du bist HIV-positiv, aber tanz erst einmal weiter und komm morgen zu uns zur Beratung.“ Eine Bar ist kein ideales Setting für solche Gespräche, und die Leute sind auf solche Test-Ergebnisse auch nicht vorbereitet. Deshalb müssen sie sich diese bei uns im Checkpoint abholen. Über 90 Prozent kommen tatsächlich auch vorbei. Syphilis-Testergebnisse erfahren sie hingegen sofort vor Ort.

Wir haben inzwischen ein gutes STI-Monitoring. Wir erkennen sofort, wer gerade von einem Kurztrip aus Berlin kommt.

Wie notwendig erachtet ihr die Tests auf STIs?

Die Netzwerke unter den schwulen Männern sind gerade in der Schweiz sehr klein. Wenn einer mit einer frischen Syphilis in die Szene geht, breitet sich das rasch aus. Deshalb entstehen immer wieder entsprechende Wellen.
Wir haben inzwischen ein gutes Monitoring, was die STIs angeht. Wir erkennen sofort, wer gerade von einem Kurztrip aus Berlin oder London zurückgekommen ist. Das ist auch leicht erklärbar. In Berlin beispielsweise ergeben sich andere Möglichkeiten, und die Leute fühlen sich freier, bestimmte Dinge zu tun. Damit wachsen auch die Möglichkeiten, dass man sich etwas holt. Tendenziell ist festzustellen, dass gerade Chlaymydien-Infektionen sehr stark zunehmen. Grundsätzlich haben unsere Erfahrungen gezeigt, dass die Entscheidung richtig war, den Fokus in unserer Arbeit verstärkt auf sexuell übertragbare Infektionen zu legen.

 

Internetauftritt des Checkpoint Zürich

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„Die allermeisten Männer wollen sich auch auf andere STIs testen lassen“

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Frauen ohne Lobby

Über

Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

1 Kommentar

  1. Und wann gibt es zentren für AO-Sex Liebhaber? immerhin machen mehr als 20 000 Heterosexuelle wöchentlich AO-Sex! Viele wollen sich nicht testen lassen oder haben Angst vor dem Testen lassen!

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