Saubere Drogen aus der Apotheke statt Stoff von der Straße. Foto: siepmannH, pixelio.de

„Drogenlegalisierung = Drogenkontrolle“ lautet das diesjährige Motto des Gedenktags für verstorbene Drogengebraucher am 21. Juli. Über die Hintergründe dieses Mottos hat Kriss Rudolph mit Professor Dr. Heino Stöver gesprochen, der seit über 30 Jahren in der Drogenpolitik und Drogenarbeit tätig ist.

Herr Stöver, was ist unter Legalisierung und Kontrolle zu verstehen?

Legalisierung ist so ein Schlagwort und Kampfbegriff – viele sehen da schon Leute mit dem Bauchladen um die Ecke kommen, aus denen sie alle möglichen Drogen verkaufen. Aber darum geht es nicht. Tatsächlich gibt es schon Strukturen, die sich auch auf den Umgang mit Drogen übertragen ließen. Da ist etwa das Arzneimittelgesetz, das die Herstellung und Zulassung von Medikamenten regelt, aber auch die Sicherung und Kontrolle ihrer Qualität. Auch mit der Apothekenpflichtigkeit haben wir bereits eine Kontrollinstanz. Übrigens gab es vor 17 Jahren unter der Regierung Kohl schon mal einen guten Ansatz: In Schleswig Holstein sollte ein Modellversuch starten, wonach kleine Cannabismengen bis 30 Gramm in Apotheken abgegeben werden sollten. Die Idee, von allen Gesundheitsministern reiflich durchdacht und ausgearbeitet, wurde dann aber wieder kassiert. Die Bundesopiumstelle sah kein öffentliches Interesse in solch einem Versuch.

30 Gramm Cannabis sind eine Größenordnung, die Anfang des Jahres auch von den Linken ins Gespräch gebracht worden ist.

Die geduldete Cannabis-Menge unterscheidet sich je nach Bundesland. Foto: Susanne Schmich, pixelio.de

Heute werden noch etwa fünf bis zehn Gramm Cannabis geduldet, wobei die Situation in den Bundesländern sehr unterschiedlich ist. Wer in Bayern mit zwei Gramm erwischt wird, kann keine Einstellung des Verfahrens erwarten. In NRW dagegen bleibt man oft noch straffrei, wenn man 15 Gramm bei sich hat. Schon 1994 hatte das Verfassungsgericht in Karlsruhe die Länder zur Vereinheitlichung gemahnt – passiert ist leider nichts.

Letztes Jahr gab es in Deutschland 1.237 Drogentote.

Ein großes Problem ist die Unkontrollierbarkeit des Reinheitsgebotes. Dazu kommt, dass Leute, die auf der Straße leben, sehr gefährdet sind, vor allem, wenn sie verunreinigten Stoff konsumieren. Laut WHO erklären sich 20 % der Drogentodesfälle dadurch, dass nach der Haftentlassung und dem Abbruch einer Therapie der erstbeste Stoff auf der Straße gekauft wurde. Diese Leute hätte man retten können, wenn man ihnen sauberes Heroin gegeben hätte.

„Man soll nicht jede Substanz am Kiosk kaufen können“

Was mich an der derzeitigen Drogenpolitik fasziniert: Man akzeptiert, dass es einen riesigen Schwarzmarkt gibt – und das in einer Gesellschaft, wo alles reguliert ist. Man tut so, als ob es diesen Schwarzmarkt nicht gäbe. Das ist eine Vogel-Strauß-Politik. Ich bin weniger für eine Legalisierung als vielmehr für Regulierung. Man soll nicht jede Substanz am Kiosk kaufen können. Für verschiedene Substanzen muss es verschiedene Maßnahmen geben.

Herr Stöver, Sie sagen, es sei höchste Zeit zu handeln.

Die politisch Verantwortlichen müssen sich fragen: Sind die gegenwärtigen Gesetze wirksam? Wenn nicht, muss man über Veränderungen reden und neue Modelle einfordern. Vor allem gilt es, den Jugend- und Verbraucherschutz in den Vordergrund zu stellen. Gebraucht werden gesundheitspolitische Antworten, keine strafrechtlichen.

„Der Drogenkrieg in Mexiko hat seit 2006 über 50.000 Menschen das Leben gekostet“

Als man z. B. in den USA in den 1920er Jahren den Alkoholhandel verbot, schuf die Prohibition mehr Probleme, als sie löste. Eine regulierte Legalisierung würde dagegen die Gerichte und die Polizei entlasten und Kosten sparen. In der Kriminalstatistik machen die Fälle, wo wegen Cannabisbesitzes bis zu 30 Gramm ermittelt wird, zwar nur 1,7 % aus. In totalen Zahlen sind das aber immerhin rund 100.000 Delikte. Dazu kommt, dass einige Länder aufgrund der Kriminalisierung des Drogenbesitzes eine Erosion des Rechtsstaates erleben. In Mexiko herrscht Korruption bei der Polizei und in Haftanstalten. Es gibt zwar Geldwäschegesetze, aber die funktionieren nicht, weil man die großen Fische nicht kriegt. Dort haben alle Angst vor der Drogenmafia. Die Presse wird terrorisiert, die Unterwanderung der Polizei ist immens. Der Drogenkrieg in Mexiko, der eher ein Prohibitionskrieg ist, hat seit 2006 über 50.000 Menschen das Leben gekostet.

Wäre es denn kein Einknicken vor den mächtigen Drogenkartellen, wenn man den Drogenbesitz nun legalisiert?

Drogen vom Schwarzmarkt sind teuer und riskant. Foto: Arno Bachert, pixelio.de

Nein, das passiert doch vielmehr durch die jetzige Regelung! Verbote ermöglichen die Kartelle überhaupt erst und feuern sie auch noch an. Und die begehrten Pülverchen sind deshalb so teuer, weil sie verboten sind.

Der frühere US-Präsident Bill Clinton und der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan erklärten den Krieg gegen Drogen wegen seiner verheerenden Folgen für die Menschen und Gesellschaften für gescheitert.

Das war ein ganz wichtiges Signal, vielleicht ein Grundstein für den Neubeginn einer globalen Kontrolle. Aber solche Einsichten scheinen typisch für ehemalige Präsidenten zu sein – leider nicht für amtierende.

Wie sieht die Drogenpolitik in europäischen Ländern aus?

Da gibt es interessante Beispiele. In Spanien existieren sogenannte Cannabis Social Clubs. Der Anbau von einigen wenigen Hanfpflanzen pro Kopf ist dort erlaubt, also tun sich die Konsumenten zusammen und bebauen zusammen ein großes Feld – das geschieht unter den Augen der Polizei. Ähnlich in Belgien, da ist pro Kopf eine Pflanze erlaubt. Bei uns in Deutschland ist der Anbau verboten. In Portugal wird der Besitz kleinerer Drogenmengen nicht verfolgt: Die Polizei ermittelt nicht, sondern verweist die Betroffenen an die Beratungsstellen. In Portugal stellt man einen enormen Rückgang der Delikte fest.

In Spanien können Cannabis-Konsumenten zusammen ein großes Feld bebauen. Foto: Uwe Steinbrich, pixelio.de

Die Holländer praktizieren beim Cannabisverkauf eine Teillegalisierung. Es gibt aber auch Einschränkungen: Früher konnte man Cannabis noch in Coffeeshops kaufen, was viele Touristen aus den Nachbarstaaten taten. Aber dann haben die Regierungen dieser Länder auf die Niederlande eingewirkt. In den meisten Coffeeshops kann man jetzt noch 6 Gramm kaufen. In grenznahen Shops bekommt man als Ausländer gar kein Cannabis – bezahlen kann man nur mit einheimischer Bankkarte. Die holländische Drogenpolitik hat positive Auswirkungen: Eine Umfrage in den Niederlanden hat ergeben, dass die Jugendlichen dort weniger Cannabis rauchen als in Deutschland. Auf der anderen Seite mussten jetzt viele Coffeeshops wegen der Regulierung schließen: 600 Mitarbeiter haben ihren Arbeitsplatz verloren.

Bei privaten Initiativen wie dem Drug-Checking gibt der Konsument eine Substanzprobe in einer Beratungsstelle ab. Solche Analysen werden auch nachts in Clubs angeboten, wo nach wenigen Minuten das Ergebnis bekommt.

In großen österreichischen Städten, ebenso in Zürich und Bern werden Partydrogen direkt in der Disco analysiert. Auch in Portugal und Spanien sind solche Projekte etabliert. Ähnliche Programme gab es auch in Berlin und Hannover, doch die mussten nach kurzer Laufzeit wegen Verdachts auf unerlaubten Betäubungsmittelbesitz eingestellt werden, obwohl letztlich keine Rechtsverstöße festgestellt werden konnten. Es fehlt leider an politischer Unterstützung, darum gibt es in Deutschland seither keine solchen Angebote mehr.

Welche Parteien in Deutschland stehen für eine andere Drogenpolitik?

In Österreich und der Schweiz bietet man Drug-Checking in der Disco an. Foto: Gerd Altmann, pixelio.de

Bei der Opposition sind das die Grünen, die Linken und die Piraten. Die SPD verhält sich zu diesem Thema recht schüchtern – man fürchtet um Wählerstimmen in der Mitte. Bei der CDU sieht es interessanterweise anders aus: Da analysiert man gerade, wie man überhaupt noch Wahlen in den Stadtstaaten oder in großen Städten gewinnen kann. Und in den Überlegungen, welche Themen dazu besetzt werden müssen, geht es ganz konkret auch um die Drogenpolitik.

Was bedeutet die Legalisierung in Bezug auf HIV?

Bei Menschen, die Drogen spritzen, sind HIV und andere Infektionskrankheiten deutlich stärker verbreitet als in der übrigen Bevölkerung. Durch eine Regulierung erwarte ich eine Verbesserung, vor allem auch bei Hepatitis-C-Infektionen. Da müsste man sich nicht mehr zwischen zwei parkenden Autos einen Schuss setzen, wie ich es gerade diese Woche wieder in Frankfurt gesehen habe.

In der Legalisierungsdiskussion ist oft von „Drogenmündigkeit“ die Rede. Aber wie mündig ist jemand, der an nichts anderes als an den nächsten Schuss denken kann?

Im Moment haben Konsumenten den ganzen Tag damit zu tun, ihre Abhängigkeit zu bedienen. Sie müssen Geld beschaffen, um an den Stoff zu kommen. Oder sie weichen auf billigere Substanzen aus, auf Alkohol etwa. Durch eine Regulierung und die angestrebte Drogenmündigkeit würde man die Beschaffungskriminalität und -prostitution verringern. Auch die Drogen würden billiger, denn durch die Verdrängung in den Schwarzmarkt wird der Preis ja künstlich in die Höhe getrieben. Alltag und Gesundheit der Abhängigen würde sich verbessern. Zum Konzept der Drogenmündigkeit gehört auch die Verbesserung des Drogenwissens durch eine Art Beipackzettel mit entsprechenden Informationen. Wir müssen die „Patienten“ befähigen, besser mit ihrer Abhängigkeit umzugehen. Aufgrund der aktuellen Drogenpolitik werden sie leider nicht als mündige Menschen behandelt, sondern als Kriminelle.

 

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