AIDSKONFERENZ WASHINGTON (1)

„Wir müssen das jetzt anpacken!“

Von Holger Wicht
Die Internationale AIDS-Gesellschaft (IAS) hat offiziell ein neues Ziel ausgerufen: die Heilung von der HIV-Infektion. Eine internationale Arbeitsgruppe hat die Arbeit aufgenommen und bei einer Vorkonferenz zur Internationalen AIDS-Konferenz ihre Strategie vorgestellt. Dürfen wir jetzt hoffen? Aus Washington berichtet Armin Schafberger, Medizinreferent der Deutschen AIDS-Hilfe.

Armin Schafberger mit MacBook bei der Pressekonferenz
Unser Autor bei der Pressekonferenz zum Thema Heilung.

Warum gerade jetzt? Warum erst jetzt? Die antiretrovirale Therapie (ART) hat doch gerade erst ihren Siegeszug angetreten. Mit der ART haben Menschen mit HIV eine fast normale Lebenserwartung. Zudem wirkt sie in hohem Maße präventiv: Wer optimal behandelt ist, kann seine Sexualpartner nicht mehr mit HIV infizieren.

Trotzdem stellt nun die Internationale AIDS-Gesellschaft das Thema Heilung in den Vordergrund. Wer vor ein paar Jahren das H-Wort in den Mund nahm, lief Gefahr belächelt zu werden. Und nun das: Anlässlich einer Vorkonferenz zur Internationalen AIDS-Konferenz in Washington haben am Donnerstag renommierte Wissenschaftler und Aktivisten aus aller Welt, darunter HIV-Mitentdeckerin Francoise Barré-Sinoussi, eine neue „Globale Strategie zur Heilung“ vorgestellt.

Warum also der Schwenk? „Wir wissen heute, dass die Therapie erfolgreich ist“, so Steven Deeks von der Universität von Kalifornien in San Francisco, einer der führenden Forscher zur Heilung von HIV. „Wir wissen aber auch, dass die Therapien lebenslang eingenommen werden müssen. Therapiepausen, wie sie vor zehn Jahren noch diskutiert und eingesetzt wurden, schaden. Damit gilt, dass man für den Rest des Lebens täglich Medikamente nehmen muss“. Für viele Menschen eine schwer zu ertragende Perspektive.

„Funktionelle Heilung“  könnte bedeuten, dass mehr Menschen eine Therapie erhalten.

Richtet man den Blick auf die ganze Welt, stößt die Therapie noch an ganz andere Grenzen. Für jeden Menschen, der einen zusätzlichen Platz in einem Therapieprogramm bekommt, infizieren sich pro Jahr zwei neu mit HIV. Sieben Millionen Menschen bräuchten eine Therapie, bekommen aber keine.

UNAIDS-Direktor Michel Sidibé hofft, dass durch die Heilung auch mehr Patienten eine Therapie erhalten könnten. Wie das? Heilung, so Sidibé, heißt nicht mehr ausschließlich Eradikation, also Entfernung des Virus aus dem Körper. Heilung kann man auch als „funktionelle Heilung“ begreifen. Die Forschungsansätze zur funktionellen Heilung setzen darauf, das Immunsystem des Körpers so zu beeinflussen, dass es mit dem HI-Virus besser zurecht kommt – und der infizierte Mensch gegebenenfalls weniger oder gar keine Medikamente mehr braucht.

Mit solch einem Ansatz – so die Hoffnung – könnte man das Ressourcenproblem der HIV-Therapie gleich mit lösen.

Antiretrovirale Therapie funktioniert, aber sie war nie das Ziel.

Vom Therapieaktivismus der 80-er Jahre kann und soll man lernen. Diese Haltung vertritt Mark Harrington von der Treatment Action Group (TAG). Denn die antiretrovirale Therapie war – so lange und intensiv man dafür gestritten hat ­– nie das Ziel der Aktivisten. Das war die Heilung, und diese dürfe auch in ökonomisch schwierigen Zeiten nicht aus den Augen verloren werden.

Gerade bei Heilungsstudien sind die ethischen Herausforderungen aber noch größer als bei „normalen“ Therapiestudien.

Gentherapeutische Heilungsansätze bergen aufgrund des noch unklaren Langzeitrisikos, zum Beispiel an Krebs zu erkranken, erhebliche ethische Probleme. Ohne Heilung, aber mit einer funktionierenden Therapie lebt es sich heute nicht unbedingt schlecht – warum also sollte man unbekannte Risiken auf sich nehmen?

Nach einigen Jahren einer Heilungstherapie wird zudem eine Therapiepause nötig sein. Nur so ließe sich nach bisherigem Stand der Forschung feststellen, ob noch Viren im Körper sind oder nicht, etwa wenn die Heilungsmethode darauf beruhen würde, Virusreservoire zu leeren. Zu frühe Therapiepausen aber machen den Erfolg kaputt, denn mit der rasant ansteigenden Viruslast würden sich die Reservoire wieder füllen und der ganze Versuch zunichte gemacht.

Heilungsforschung birgt gravierende ethische Herausforderungen.

Wie könnte man also sonst noch feststellen, ob die Heilung bereits funktioniert hat? Bei Timothy Ray Brown, dem bisher einzigen Menschen, der von der HIV-Infektion geheilt wurde, dauerte es Jahre, bis die Wissenschaft anerkannte, dass wahrscheinlich kein Virus mehr im Körper ist. 

Brown wurde durch eine Stammzelltherapie geheilt. Nach einer akuten Leukämie erhielt er  im Jahr 2007 Stammzellen von einem der seltenen Menschen, die praktisch immun gegen das Virus sind. Nach dem durchschlagenden Erfolg dieser Maßnahme hat bei ihm nicht nur im Blut nach dem Virus gesucht, sondern auch Punktionen in vielen Geweben, darunter dem Darm und dem Nervengewebe vorgenommen. Dies zeigt, wie wenig entwickelt unsere Messmethoden zur Virussuche sind.

Messmethoden werden ein wichtiges Thema in der Heilungsforschung sein. Wenn es um die Heilung geht, dann taugen die „groben“ Mittel zur Therapiekontrolle nicht mehr. Die Reservoire, die leer sein sollen, befinden sich nicht im Blut sondern im Darm, der Milz und wahrscheinlich auch im Gehirn.

Die IAS hat eine Aufgabenliste erstellt und sieben Felder benannt, die nun bearbeitet werden müssen, Messmethoden sind eines davon. Wenn man die Liste liest, fühlt man sich an die Zeit erinnert, als die Impfstoffforschung mit der STEP-Studie einen schweren Rückschlag erlebte und viele Forscher forderten, nun müsse man „ zurück auf Los“ und erstmal in der Grundlagenforschung die Hausaufgaben machen. Denn so viel man über HIV weiß, so viele Wissenslücken gibt es auch.

Zurück auf Los, Hausaufgaben in der Grundlagenforschung machen.

Nun soll besser erforscht werden, in welchen Geweben und Zellen sich HIV bei gut funktionierender Therapie versteckt. Die Forscher wollen außerdem besser verstehen, warum eine HIV-Infektion das Immunsystem erheblich stimuliert, auch wenn jemand eine funktionierende ART einnimmt.

Ein spannendes Forschungsfeld sind außerdem die sogenannten Elite-Controller, die das Virus auch ohne Therapie in Schach halten können. Nur knapp ein Prozent aller Infizierten gehören dazu. Es ist klar, dass für diese Forschung viele Ärzte zusammenarbeiten müssen, denn die Elite-Controller befinden sich ja nicht alle am selben Ort.

Darüber hinaus soll die klinische Forschung am Menschen soll verstärkt werden. Auf diesem Gebiet hat sich in den letzten Jahren fast unbemerkt schon viel getan. Insgesamt gibt es bereits elf kleinere Studien mit unterschiedlichen Forschungsansätzen: der Gentherapie, der therapeutischen Impfung (auch Immuntherapie genannt), die Intensivierung der bestehenden Therapie und die Versuche, infizierte Reservoirzellen zu aktivieren.

Vielleicht, meint Sharon Lewin, Professorin aus Melbourne und Präsidentin der nächsten Internationalen AIDS-Konferenz, schafft man es nicht mit einer Methode allein, sondern braucht zwei oder drei gleichzeitig.

Hier setzt Rowenta Johnston, Vizepräsidentin von der Amerikanischen Stiftung für Aids-Forschung an. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die auf der Welt versprengten Forscher, die zur Heilung beitragen könnten, zusammenzubringen und deren Aktivitäten zu koordinieren. „Es gibt Gründe, optimistisch zu sein, und nun müssen wir es anpacken.“  Auf die Frage, wie lange es dauern wird, antwortet sie mit einem Einstein-Zitat: „Wenn wir die Antwort wüssten, würden wir es nicht Forschung nennen.“

Michel Sidibé: Heilungsforschung und Prävention nicht gegeneinander ausspielen!

Wird die neue Initiative der IAS die Finanzmittel aus anderen Bereichen, zum Beispiel der Prävention und der Therapie abziehen? Gegen diese Bedenken wendet sich Sidibé ganz vehement. Man habe zu lange in Gegensätzen gedacht, zuallererst Therapie gegen Prävention. Dann habe man verstanden, dass die Therapie in hohem Maße präventiv wirkt. Nun solle man nicht schon wieder den einen gegen den anderen Ansatz ausspielen. Die Heilung würde auch mehr Menschen eine Therapie ermöglichen – und damit präventiv wirken.  Timothy Ray Brown solle nicht die Ausnahme bleiben. Daher seien die Anstrengungen zu verstärken.

Sharon Lewin von der australischen Monash-Universität hat allerdings Bedenken, ob eine High-Tech-Heilung den Menschen in armen Weltregionen und in Schwellenländern zugänglich würde. Aber vielleicht kann man auch hier von der Therapie lernen. Vor zehn Jahren haben viele auch nicht geglaubt, dass solche Erfolge mit der ART möglich sein würden – auch in Ländern wie Botswana oder Uganda.

Steven Deeks fasst es so zusammen: Es gibt gute Gründe für den Enthusiasmus, dass es funktionieren könnte, aber nicht dafür, dass wir in naher Zukunft tatsächlich jemanden heilen.“

Es braucht Enthusiasmus, Anstrengung, die Einbeziehung vieler Forschergruppen und die Beteiligung der Menschen mit HIV. Und es braucht Geld. Auch deswegen treten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jetzt geschlossen auf, hier und zu diesem Zeitpunkt: Eine Welt-AIDS-Konferenz ist die beste Plattform, um Zeichen zu setzen.

Mehr Informationen vom selben Autor: Das Unmögliche möglich machen

2 Kommentare

bundesbock 22. Juli 2012 11:53

Liebes DAH-Team,

liebe Grüße an Euch alle. Ich freue mich auf eine spannende Berichterstattung.
Es grüßt Euch
Werner

alivenkickn 24. Juli 2012 7:01

Das Thema „Heilung“ wird in Washington mit einem Tenor kommuniziert das die Forschung/Wissenschaft kurz vor einem Durchbruch zu stehen scheint bzw durchaus möglich ist (dies hat man nie in Frage gestellt) und in relativ „kurzer Zeit“ möglich sein könnte. Ich frage mich allerdings was sich seit der 19. CROI die vom 05. bis 08. März 2012 in Seattle statt fand getan hat das man diesen Eindruck jetzt …bekommt.

Manche Medien (und auch Kollegen hier in Deutschland) haben die Diskussion von Prävention und Heilung missverstanden als Ankündigung oder zumindest Indiz für kurz bevorstehenden Erfolg. Den Sitzungstitel „Pathways towards a cure“ müsste man eigentlich im Hinblick auf die Schwierigkeiten eher als „Leidenswege in Richtung auf eine Heilung“ übersetzen. Die Auswahl dieser beiden Hauptthemen lässt zwei Aspekte vermuten: Erstens die Effektivität der antiretroviralen Therapie nähert sich ihrem Optimum, will heißen, sie ist kaum noch verbesserbar. Die heutige ART ist so wirksam, recht gut verträglich und meist bequem einzunehmen, dass eine Verbesserung durch neue Medikamente immer schwieriger und für die Industrie kaum noch lohnend sein wird. Dies konnte man auf der CROI schmerzlich erfahren im gravierenden Mangel an neu entwickelten Medikamenten in der „Pipeline“.

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