Der Berliner Kongress „Trauer unterm Regenbogen“ spürte den durch die Aidskrise ausgelösten Veränderungen der Trauerkultur in queeren Communites nach. Von Axel Schock

Steine der Kölner Gedenkinstallation „Namen und Steine“ (Foto: Axel Schock)

Wie war das eigentlich damals, als das Wort „Schwulenpest“ die Runde machte und im SPIEGEL eine Epidemie ungeahnten Ausmaßes prophezeit wurde? Damals, Mitte der 80er Jahre, als die Ersten – meist schwulen Männer –  ihr positives Ergebnis erhielten?

Ein Saal im Berliner Rathaus Schöneberg. Auf einem Podium sitzen unter anderem schwule Aktivisten und Journalisten wie Elmar Kraushaar und Matthias Frings, Rainer Ehlers (geb. Jarchow), unter anderem Mitbegründer der Kölner AIDS-Hilfe, und Sigrun Haagen, langjährige Hospiz-Ehrenamtlerin und Mitbegründerin des Netzwerkes der An- und Zugehörigen von Menschen mit HIV und Aids.

Sie alle haben ihre Geschichte mit HIV und Aids und blicken nun bei der Auftaktveranstaltung zum Kongress „Trauer unterm Regenbogen“ darauf zurück. Auf Zeiten beispielsweise, da sich die Friedhofsverwaltung Lüdenscheid weigerte, an Aids Verstorbene beizusetzen oder Krankenpflegedienste sich aus Angst vor einer Infektion nicht um Aidskranke kümmern wollten.

Welchen Platz hatte in diesen kriegsähnlichen Notzeiten eigentlich die Trauer? Lange Zeit, sagt Matthias Frings, gab es schlicht niemanden zu betrauern. „Wir wussten, dass die ersten von uns positiv getestet waren, aber es traute sich niemand, offen darüber zu reden.“

Der Besuch von Sterbenden gehörte zum Alltag in der schwulen Gemeinde

Der Aktivismus der frühen Jahre sei keine Reaktion aus Trauer und Betroffenheit gewesen, betont Rainer Ehlers, sondern aus einem schwulenpolitischen Bewusstsein heraus entstanden, um einer drohenden Diskriminierung vorzubeugen.

„1984 stand ich bei einem Benefiz zugunsten der Berliner AIDS-Hilfe mit meiner Nummer „Safer Sex für Mütter und Tanten“ auf der Bühne und hatte bis dahin selbst noch gar keinen Sex gehabt“, erinnert sich Bernd Boßmann alias Ichgola Androgyn, Mitbegründer des ersten Spezialpflegedienstes HIV e.V. Nur wenige Jahre später gehörte der Besuch von Kranken, Sterbenden und Bestattungen zum Alltag in der schwulen Gemeinde.

Grab Meyer Hanno
Grab des Schwulenaktivisten Andreas Meyer-Hanno in Berlin (Foto: Axel Schock)

Rund 420 Beisetzungen von Menschen mit HIV und Aids hat Ehlers in seiner Funktion als Aids-Pastor der Stadt Hamburg durchgeführt. „Lediglich drei habe ich zuvor nicht kennengelernt, mit allen anderen habe ich die Beerdigungen vorbereitet.“

Dass Sterbende ihren Abschied selbst planen, hat die Gestaltung von Trauerfeiern und Beisetzungen radikal verändert. Traditionelle Formen wurden als unpassend verworfen, neue mussten gefunden werden. Viele der Erkrankten hatten selbst schon miterlebt, wie viel auf Beerdigungen gelogen wird.

Das sollte bei der eigenen nicht passieren. Wie fremd und anders diese Welten waren, wie konkret dieser Umbruch, zeigte sich für Ehlers am auffälligsten bei den Trauergemeinden, die über die Friedhöfe zogen: „Die Verwandten kamen in klassischem Schwarz und die schwule Community in Lederoutfit und bunter Kleidung.“

Dass bei Beerdigungen nicht die Feuerwehrkapelle oder die Orgel spielt, sondern Musik vom Band kommt , wäre Anfang der 80er Jahre noch undenkbar gewesen. Einige Jahre später aber, mit der ersten Bestattungswelle der an den Folgen von Aids Verstobenen, erklangen in den Aussegnungshallen regelmäßig Trude Herr, Marianne Rosenberg und „I Am What I Am“. Auch die Sex Sex Pistols standen schon auf der Liedliste. Einem Pastor konnten die Friedhofsverwalter selbst solch einen Wunsch nicht abschlagen.

„Iam what I am“ und die Sex Pistols

Wie aber wurde die Wandlung der Trauer in den queeren Communites tradiert? Neben Aids-Gemeinschaftsgräbern, Hospizarbeit, pflegenden Angehörigen und Trauerbegleitung war dies eines der zentralen Themen, die tags darauf in Berlins schwulem Mehrgenerationenhaus „Lebensort Vielfalt“ diskutiert wurden.

Brian Müschenborn etwa, Bestatter in Köln, sieht einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel in der Friedhofs- und Bestattungskultur. Friedhofsverwaltungen und Bestatter seien allein schon aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen, auf die Veränderungen in der Gesellschaft wie der generell zu beobachtenden Tendenz zur Individualisierung und Zunahme von Patchwork-Familien zu reagieren.

Was das Bestattungsrecht angeht, besteht nach Ansicht von Torsten F. Barthel, Fachanwalt für Friedhofs- und Bestattungsrecht, kein Reformbedarf. Probleme bei der Umsetzung individueller Wünsche machten im Zweifelsfalle rückständige Friedhofsverwalter, die die vom Gesetzgeber bei Bestattungen geforderte Pietät zu eng, wenn nicht sogar engstirnig auslegen.

Pettenkofen Wien
Ein überraschend offenherziges Männer-Doppelgrab auf dem Wiener Zentralfriedhof (Foto: Axel Schock)

Darf am Grab ein Abschiedspicknick stattfinden? Darf der Sarg vom Pony des verstorbenen Mädchens zur Grabstätte gezogen werden? Kann ein Pfarrer der Trauergemeinde untersagen, auf dem Friedhof Luftballons in den Himmel steigen zu lassen?

Besondere religiöse Rituale wie auch aus dem Rahmen fallende Abläufe müssen von den Friedhofsverwaltern genehmigt werden, denn diese verfügen über das Haus- und damit Entscheidungsrecht. Doch deren Ermessungsspielräume sind groß, wie Torsten F. Barthel betonte. Was in den Gesprächen allerdings auch klar wurde: Es hat in der Bestattungskultur längst ein erneuter Paradigmenwechsel stattgefunden.

Mit dem Erfolg der sogenannten Kombinationstherapie, die Aids zu einer chronischen und nicht mehr unweigerlich tödlichen Krankheit machte, hat sich auch der Umgang mit Trauer, Sterben und Erinnern wieder verändert. „Wir waren nicht mehr Begleiter zum Tode, sondern zum Leben“, sagt Rainer Ehlers.

Die Trauer, die lange Zeit auch ein öffentlicher, politischer Akt war, hat sich wieder privatisiert, wie auch die Krankheit. Und: Es ist nicht mehr notwendig, offen darüber zu reden. Die Trauer als Kollektiverlebnis ist zu Ende, findet Elmar Kraushaar.

Das Sterben wird wieder privat

Nicht nur der Umgang mit der Infektion wird zunehmend diskret gehandhabt. Auch das Sterben – nun verstärkt an den Folgen der langjährigen Medikation – findet in einem privateren Rahmen statt. „Man muss durch die Trauer kein Statement mehr setzten, weil längst ein Normalisierungsprozess der Krankheit eingesetzt hat“, konstatiert Matthias Frings.

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Das von Wolfgang Tillmanns gestaltete AIDS Memorial am Sendlinger Tor in München (Foto: Axel Schock)

Wie aber wird dies unseren Umgang mit der Trauer wie auch das Erinnern an die Verstorbenen verändern? Diese wie viele andere Fragen konnten auf dem Kongress noch nicht beantwortet werden. Offen bleibt auch, warum die so vielseitige und kompetent besetzte Tagung nur so wenige Interessierte anlocken konnte.

War die Veranstaltung zu schlecht kommuniziert, oder ist die Auseinandersetzung mit Tod und  Trauer einfach nicht mehr interessant? Spätestens das 30-jährige Gründungsjubiläum der Deutschen AIDS-Hilfe im kommenden Jahr wird Anlass sein, sich wieder intensiver mit der eigenen Kultur des Erinnerns, Gedenkens und der Geschichte zu befassen.

Bereits Mitte Dezember wird  zudem in Berlin ein erstes Treffen einer bei den „Positiven Begegnungen“ in Wolfsburg gegründeten Arbeitsgruppe stattfinden. Sie hat sich zur Aufgabe gesetzt, die Archivierung und Aufbereitung der Aids- und Selbsthilfegeschichte voranzutreiben. Mehr dazu demnächst auf aidshilfe.de.

Eine Videoaufzeichnung des Podiumsgesprächs im Schöneberger Rathaus soll in Bälde zusammen mit Protokollen zu den einzelnen Workshops auf der Internetseite Trauer-unterm-Regenbogen.de abzurufen sein.

 

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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