21. Juli: Gedenken, mahnen, kämpfen
Seit nunmehr 15 Jahren ist der 21. Juli der Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher. Wie aus einer kleinen Aktion in Gladbeck eine internationale Bewegung wurde, schildert Axel Schock:
Als Ingo Marten am 21. Juli 1994 starb, hatte dies für die Öffentlichkeit keinerlei Nachrichtenwert. Lediglich im Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung wäre er aufgetaucht, als einer von 1.624 drogenbedingten Todesfällen des Kalenderjahres 1994.
Ingos Mutter Karin Stumpf allerdings sorgte dafür, dass der Tod ihres Sohnes und damit gleichermaßen die vielen tausend anderen verstorbenen Drogenabhängigen nicht auf eine Zahl in der Statistik reduziert und dann vergessen werden. Im Alleingang erreichte sie es, dass 1997 in einem Gladbecker Park Deutschlands erste Gedenkstätte für verstorbene Drogenabhängige eingerichtet wurde. Seither wird hier jedes Jahr an Ingos Todestag aller Menschen gedacht, die durch den Konsum illegaler Drogen gestorben sind – seit 1990 wurden allein in Deutschland über 35.000 gezählt.
Gedenkveranstaltungen in rund 50 deutschen Städten
Jürgen Heimchen, Mitbegründer des Bundesverbandes der Eltern und Angehörigen für akzeptierende Drogenarbeit e.V., war seinerzeit von der Einweihung des Gedenksteins in Gladbeck beflügelt. Sein Sohn Thorsten, wie Ingo Marten drogenabhängig, war 1992 mit nur 21 Jahren nach einem Selbstmordversuch im Polizeigewahrsam gestorben. Aber konnte man tatsächlich einfach so einen bundesweiten Gedenktag ausrufen?, fragten einige seiner Mitstreiter skeptisch. „Können wir“, war sich Heimchen seinerzeit sicher – und er sollte recht behalten.
15 Jahre später ist der Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher in allen offiziellen Kalenderlisten aufgeführt und steht nun einträchtig zwischen dem Internationalen Weltraumforschungstag und dem Welt-Hepatitis-Tag.
„Die Sache hat sich mittlerweile völlig verselbstständigt“, sagt Heimchen. Er hat längst den Überblick darüber verloren, in welchen deutschen Städten an diesem 21. Juli überall Gedenkfeiern, Aktionen stattfinden. Mindestens 50 Städte hatten sich im vergangenen Jahr in Deutschland daran beteiligt und damit den Gedenktag zur größten Veranstaltung im Suchtbereich überhaupt gemacht.
Eine große Erfolgsgeschichte
Noch schwerer zu überschauen ist, was international passiert. Auch in anderen Ländern hat sich der „International Drug Users‘ Remembrance Day“ nämlich mittlerweile etabliert – von Dänemark und Spanien über die Schweiz und Australien bis zu Kanada und den USA. Dies sei eine wirklich große Erfolgsgeschichte, sagt Heimchen, von der seinerzeit niemand auch nur zu träumen gewagt hätte.
„Als Elternverband allein hätten wir das freilich nicht schaffen können“, fährt das Ehrenmitglied der Deutschen AIDS-Hilfe fort. Der Gedenktag sei letztlich ein Erfolg der Zusammenarbeit zwischen dem bundesweiten Drogenselbsthilfe-Netzwerk JES, der Deutschen AIDS-Hilfe und seinem Elternverband, und ganz nebenbei habe sich auch die Kooperation mit anderen Organisationen wie akzept e.V. oder der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin verstärkt und gefestigt. Der Gedenktag sei ein wichtiger Anlass gewesen, um ein Gemeinschaftsgefühl und Zusammenhalt zu schaffen.
Der 21. Juli ist aber viel mehr als ein Tag der Solidarität. Er ist zunächst vor allem ein Tag zur Erinnerung an die Toten. „Die Konsumenten illegaler Drogen hatten bis dahin noch überhaupt keine eigene Trauerkultur geschaffen“, sagt Jürgen Heimchen. Das habe sich erst durch den Gedenktag entwickelt. In vielen Städten finden daher auch Gedenkgottesdienste für die Verstorbenen statt. „Für mich persönlich brauche ich keinen offiziellen Gedenktag, um an meinen verstorbene Sohn zu denken. Das tue ich bei unterschiedlichsten Gelegenheiten im Alltag und auch bei allen Aktionen, an denen ich beteiligt bin“, erzählt Heimchen. Für ihn ist der 21. Juli vor allem ein Kampf- und Protesttag.
Schwerpunkt Gesundheitsversorgung in Haft
Jedem Veranstalter ist überlassen, ob er von „Drogentoten“ oder „Opfern repressiver Drogenpolitik“, von „Drogenkonsumenten“ oder lieber von „Drogengebrauchern“ spricht, und ebenso, welche Form und Ausrichtung er seiner Aktion gibt. Heimchen wünscht sich allerdings, dass der Gedenktag auch dafür genutzt wird, örtliche Probleme anzuschneiden, kommunale Forderungen zu stellen und auf diese Weise das Thema auch lokal anzubinden.
Inhaltlicher Schwerpunkt des diesjährigen Gedenktags ist die Gesundheitsversorgung in Haft. Der JES-Bundesverband zum Beispiel weist in einem Flyer zum 21. Juli 2013 darauf hin, dass jeder vierte Insasse während seiner Haftzeit Drogen konsumiert, ohne dass der Strafvollzug darauf angemessen reagieren würde. Im Gegenteil: Die meisten inhaftierten Drogengebraucher haben keine Chance auf eine Substitutionsbehandlung und werden auch nicht auf das Leben nach der Haftentlassung vorbereitet. Auch HIV- und Hepatitis-Test- und Behandlungsangebote sind in deutschen Haftanstalten keineswegs selbstverständlich, und sterile Spritzen zum Schutz vor HIV und Hepatitis gibt es nur noch in einem einzigen Gefängnis.
„Was draußen Standard ist, davon können Gefangenen vielerorts nur träumen“, sagt Ruth Steffens von der AIDS-Hilfe NRW. „Zwar wird in Nordrhein-Westfalen Substitution inzwischen als Behandlungsoption für Suchtkranke in breiterem Rahmen zugänglich gemacht. Dennoch kommen auch hier längst nicht alle, die es nötig hätten, in den Genuss dieser Behandlungsform.“ Ein weiterer wunder Punkt sei die Prävention bei illegalem Drogenkonsum unter Gefangenen. „Es gilt nach wie vor darauf hinzuwirken, dass die Justiz sich endlich wieder mit der erfolgreichsten Präventionsmethode, nämlich der Vergabe steriler Spritzen, auch für Inhaftierte auseinandersetzt.“
Eine – nicht vollständige – Übersicht der diesjährigen Veranstaltungen zum nationalen Gedenktag verstorbener Drogengebraucher:
20. Juli
Aachen, 11–16 Uhr, Infostand Am Holzgraben
Duisburg, 11–16 Uhr, Infostand und Gedenkaktion vor dem Forum, Königsstraße
21. Juli
Ahlen, 12–16 Uhr, Gedenkveranstaltung im Café Drauf und Dran
Berlin, 14–22 Uhr, Aktionstag, Hanf-Museum, Mühlendamm 5
Bonn, 12–16 Uhr, Gedenkfeier und Infostand an der Flughafenbushaltestelle
Braunschweig, 11 Uhr, Gedenkgottesdienst St. Magni-Kirche
Bielefeld, Verteilung von Care-Packs in der Bielefelder Drogenszene
Chemnitz, 14–19 Uhr, Infostand, Straße der Nationen/Johannisplatz
Dortmund, ab 12 Uhr, Gedenkfeier im Stadtgarten Dortmund
Düsseldorf, 12 Uhr, Gedenkgottesdienst St. Elisabeth-Kirche Vinzenzplatz
14–16 Uhr, Infostand und „Ort der Erinnerung“, Worringer Platz
Hagen, 10–15 Uhr, Infozelt und Gedenk-Stelenwald, Friedrich-Ebert-Platz
Hannover, 11 Uhr, Gedenkveranstaltung, Café Connection
Kiel, 14 Uhr, Gedenkgottesdienst, Johannes-Kirche
Leipzig, 12–17 Uhr, Gedenkfeier mit anschließendem Aktionstag, Paul-Gerhard-Kirche Leipzig-Connewitz
Nürnberg, 17 Uhr, Erinnerungsfeier, Klarakirche
Recklinghausen, 11 Uhr, Gedenkfeier, Gastkirche Heilige-Geist-Straße
Unna, 11 Uhr, BürgerInnen-Frühstück und Gedenkbäumchen-Pflanzung, bei LÜSA, Platanenallee 3
Viersen, 17 Uhr, Gedenkfeier mit Enthüllung der Tafeln für Verstorbene, Kreuzherrenstraße 19
Witten, 11 Uhr, Gedenkfeier, Szenetreffpunkt im Stadtpark Wittener Innenstadt
22. Juli
Berlin, 14–22 Uhr, Kundgebung und Aktionstag, Oranienplatz
Essen, 12 Uhr Gedenkfeier mit anschließender Aktion vor der Kirche, Marktkirche
Hamm, 11 Uhr, Gedenkfeier am Gedenkstein auf dem Südfriedhof Werler Straße
Wuppertal, 10–16 Uhr Infostände und Aktionen, Elberfeld, auf der „Platte“ am Ausgang des Bahnhofstunnels; 11 Uhr Gottesdienst, 11.45 Uhr Grußwort des Schirmherrn Joe Bausch
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