Rund ein Drittel der rund 80.000 Menschen mit HIV in Deutschland hat bereits das 50. Lebensjahr erreicht. Die Studie „50plushiv“ inklusive Online-Befragung will dazu beitragen, Medizin, Versorgung und Pflege auf die sich daraus ergebenden Aufgaben vorzubereiten. Axel Schock sprach mit dem Studienleiter Dr. Jochen Drewes

Mit eurem Projekt „50plusHIV“ widmet ihr euch Menschen mit HIV jenseits der 50. Was ist an dieser Gruppe so interessant?

Durch die massiven Fortschritte in der Medizin ist die Lebenserwartung von HIV-Positiven gestiegen, und in der Folge gibt es immer mehr ältere Menschen mit HIV. Dadurch werden eine ganze Reihe von Fragen aufgeworfen,  wie etwa zur sozialen Absicherung im Alter, aber auch zur gesundheitlichen Situation. So hat zum Beispiel die medizinische Forschung bei Menschen mit HIV einen beschleunigten Alterungsprozess festgestellt.

Wie zeigt sich der?

Zum Beispiel darin, dass bei älteren Menschen mit HIV ganz normale Alterserkrankungen etwa am Herzen gehäuft und früher auftreten, als dies bei einem nicht HIV-Positiven im gleichen Alter zu erwarten wäre. Auch bestimmte nicht aidsspezifische Krebsarten werden bei HIV-Positiven in stärkerem Maße diagnostiziert.

Altern Menschen mit HIV schneller?

Ist man mit 50 denn tatsächlich schon alt?

Die Eingrenzung wurde in früheren internationalen Studien gezogen. Wir haben dies ein wenig zu neutralisieren versucht, indem wir von älter werdenden Menschen ab 50 sprechen.

Welche Themen werden in dem Fragenkatalog gestreift?

Wir fragen zum einen nach der sozialen Lebenssituation. Da interessieren uns besonders die materiellen Lebensverhältnisse, ob etwa Armut ein häufiges Problem ist. Wir möchten auch gerne wissen, ob die Menschen über ein soziales Netzwerk verfügen, auf das sie im Bedarfsfall zugreifen können, wenn sie beispielsweise Hilfe beim Einkaufen, bei Behördengängen oder bei der Pflege benötigen. Weitere Themen sind unter anderem Stigmatisierungserfahrungen, die Lebenszufriedenheit und auch die Sorgen und Bedürfnisse der Menschen. Wir fragen nach bestehenden Krankheiten und der sportlichen Betätigung und inwieweit Vorsorgeuntersuchungen oder Impfungen in Anspruch genommen werden. Und auch für das allgemeine Gesundheitsverhalten wie Alkohol- und Tabakkonsum interessieren wir uns.

Utensilien für eine Untersuchung
Wie sieht das Gesundheitsverhalten älterer Menschen mit HIV aus? (Foto: Andrea Damm, pixelio.de)

Wofür können solche Informationen denn nützlich sein?

Es hat sich gezeigt, dass das häufigere Auftreten von Alterserkrankungen bei HIV-positiven älteren Menschen zu einem großen Teil auf einen bestimmten Lebensstil zurückzuführen ist. Wir wissen, dass HIV-Positive vergleichsweise mehr Alkohol, Drogen und Zigaretten konsumiert haben, was schließlich zu schlechteren gesundheitlichen Prognosen führt.

Das heißt, ihr versucht über diesen Teil der Studie solche bereits vorliegenden Erkenntnisse zu bestätigen?

Über das tatsächliche Gesundheitsverhalten von älter werdenden Menschen mit HIV und Aids wissen wir allerdings sehr wenig. Und diese Informationen sind wichtig für die Sekundärprävention, also die Gesunderhaltung von Menschen mit HIV. Benötigen wir vielleicht spezielle Hilfsangebote für sie, damit sie vom Rauchen loskommen oder den Alkoholkonsum in den Griff bekommen?

Für wen sind die Ergebnisse eurer Studie vor allem gedacht?

Wir können damit zum ersten Mal in Deutschland gesicherte Aussagen treffen, etwa zur sozialen und materiellen Lage, zur Belastung und zur seelischen Gesundheit. Diese Ergebnisse werden natürlich zunächst für alle Menschen mit HIV und Aids interessant sein: Wie geht es mir und wie geht es anderen? Wichtig sind die Ergebnisse dann aber auch für Aidshilfe und Selbsthilfe. Denn hier, das hat sich bereits in der Vorbereitung der Studie gezeigt, besteht ein großer Bedarf an Informationen über die wachsende Gruppe von HIV-positiven älteren Menschen. Man weiß relativ wenig über ihre Bedürfnisse und darüber, welche Angebote sie sich wünschen, zum Beispiel wenn es um die soziale Aktivitäten und Unterstützung geht.

Unterschiedliche Lebenslagen, unterschiedliche Bedürfnisse

Lassen sich darüber denn verallgemeinernde Aussagen treffen?

Je mehr Teilnehmer wir gewinnen können, umso besser sind wir in der Lage verallgemeinernde Aussagen zu treffen. Wir werden natürlich auch differenzieren, denn es gibt ja unterschiedliche Lebenslagen und damit auch unterschiedliche Bedürfnisse, je nachdem, ob die Menschen in der Stadt oder auf dem Land leben, ob sie Männer oder Frauen, Schwule oder Drogengebraucher sind.

Parallel zu den Fragebögen gibt es auch eine Interviewstudie. Welchen Zweck verfolgt diese?

Bei einem Fragebogen sind die Antworten vorgegeben, und wir können bei manchen Aspekten deshalb nicht so sehr in die Tiefe gehen. Deshalb werden wir eine Reihe ergänzender Interviews zu besonders wichtigen Themenbereichen führen. Dabei werden wir auch persönlichere Daten abfragen, um so beispielhafte biografische Verläufe von Menschen aufzeigen zu können, die heute mit HIV altern. Diese Interviewstudie führen wir gemeinsam mit Prof. Dr. Phil C. Langer von der Goethe-Universität Frankfurt durch.

Wie viele dieser Interviews habt ihr geplant?

Solche Interviews sind allein schon wegen des zeitlichen Aufwandes für uns natürlich nur in begrenzter Zahl möglich. Geplant sind etwa 20 bis 30, wobei wir bei den Interviewpartnern darauf achten werden, dass wir möglichst alle Untergruppen abbilden, also zum Beispiel alle Altersgruppen, sozialen Schichten, Großstadtbewohner ebenso wie Menschen auf dem Land.

Jochen Drewes
Studienleiter Dr. Jochen Drewes (Foto: privat)

Und wie viele Fragebögen erhofft ihr euch?

Rund ein Drittel der in Deutschland lebenden HIV-Positiven, also ungefähr 23.000m sind älter als 50 Jahre. Wenn 700 von ihnen unseren Fragebogen ausfüllen, wären wir recht zufrieden. Rund 30 bis 45 Minuten sollte man für die Beantwortung der Fragen einplanen. Und wichtig: Die Teilnahme an der Fragenbogenstudie erfolgt völlig anonym.

Wie kann ich an der Studie teilnehmen?

Der Fragebogen kann direkt online auf der Internetseite www.50plushiv.de ausgefüllt oder dort über ein Kontaktformular angefordert werden. In Kürze werden außerdem Fragebögen und Flyer zur Studie an Aidshilfen und HIV-Schwerpunktpraxen versandt. HIV-Gruppen oder Einrichtungen, die nicht automatisch beliefert werden, können sich ebenfalls über die Internetseite an uns wenden und uns ihre Materialwünsche mitteilen.

 

Weitere Informationen/Links:

www.50plushiv.de

Vorurteilsfreie Versorgung im Alter? Beitrag im DAH-Blog, 21.10.2013

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

4 Kommentare

  1. Hallo!
    Die Aussage „Der Fragebogen kann direkt online auf der Internetseite http://www.50plushiv.de ausgefüllt oder dort über ein Kontaktformular angefordert werden.“ stimmt SO nicht! ICH HABE KEINE MÖGLICHKEIT GEFUNDEN DEN FRAGEBOGEN ZU BEANTWORTEN!!!
    Auch ein KONTAKTFORMULAR kann ich nicht finden! 🙂

  2. Öffnen konnte ich den Fragebogen problemlos. Allerdings bin ich mehr als verwundert über das Deutsch. Bei manchen Fragen lässt sich nur erahnen, was gefragt wird. Ich war zwischendurch versucht, das ganze abzubrechen. Das finde ich sehr unprofessionell.

    1. Es tut mir sehr leid, dass die Beantwortung unseres Fragebogens Sie so sehr frustriert hat. Leider geben Sie keine Beispiele, anhand derer ich nachvollziehen kann, auf welche Fragen sich Ihr Kommentar bezieht. Wir haben vielfach bereits in anderen Studien eingesetzte, bewährte Fragen genutzt. Hier konnten wir aus methodischen Gründen, die Formulierung nicht ändern, auch wenn diese selbst für umständlich hielten.
      Wir haben allerdings versucht, in umfangreichen Pretests durch Experten und durch ältere Menschen mit HIV selbst, sicherzustellen, dass der Wortlaut der Fragen einfach und leicht verständlich ist. Wenn uns dies in Ihren Augen nicht gelungen ist, tut mir das, wie gesagt, sehr leid und ich hoffe, Sie können uns dies nachsehen.

      MfG Jochen Drewes

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