ABSCHIED

„Mensch Jürgen, tut das weh!“

Von Redaktion
Jürgen Roland
Jürgen Roland, von 1985–1987 Geschäftsführer und im Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe, ist am 25. August mit 56 Jahren gestorben. Wir veröffentlichen eine persönliche Würdigung seines Vorstandskollegen und Freundes Gerd Paul.

 

Brief an Jürgen Roland (* 22.8.1958, † 25.8.2014) zur Erinnerung

Mensch Jürgen, tut das weh!

Was haben wir alles gemeinsam erlebt und gestemmt! Was hatten wir für eine spannende – durchaus nicht widerspruchsfreie – Freundschaft!

Die letzten Jahre wurden immer liebevoller. Wenn wir uns trafen, begrüßten wir uns wie zwei Veteranen eines Krieges, den nur wenige überlebt haben. Beim letzten Treffen feierten wir 30 Jahre Freundschaft. Im August 1984 lernten wir uns kennen, in der Wohnung von Stefan Reiss, dem Gründer der Deutschen AIDS-Hilfe. Wir wollten als Schwule nicht passiv bleiben angesichts der aufziehenden Aids-Bedrohung. Und sind aktiv geworden.

„Wie zwei Veteranen eines Krieges, den nur wenige überlebt haben“

Über diese Arbeit sind wir Freunde geworden. Wir haben sehr ähnlich „getickt“, was politische Grundsatzfragen und Einschätzungen betraf. Wir konnten uns per Zuruf und mit wenigen Gesten blitzschnell verständigen und orientieren.

Kaum jemand kann sich heute noch vorstellen, wie das damals war: Panik war 1985 angesagt, AIDS und Untergang waren mehr oder minder Synonyme, es wurden Millionen Tote prognostiziert. Wir waren eine kleine Laiengruppe – und haben gegengehalten. Hat nicht immer funktioniert, diesmal aber doch. Du warst das Herz, warst Ratio und Gelassenheit. Und diesen Weg konnten wir gelassen gehen, weil – ein großes Glück – die politische Elite unseres Landes nicht von populistischer Seichtheit dominiert war.

„Wir haben eine der wirkmächtigsten Gesundheitsorganisationen dieses Landes aufgebaut“

Du warst klug, sehr klug, und einfühlsam. Wir waren in einer Pioniersituation, in Ungewissheit, Erstmaligkeit, Dauerimprovisation – und haben doch eine der wirkmächtigsten Gesundheitsorganisationen dieses Landes aufgebaut. Du warst kein „Amtsinhaber“, bist es niemals gewesen und nie geworden. Als die Rahmenbedingungen sich verstetigten, bist du, sind wir in Konflikt geraten mit Akteuren, die eher in diesem Kontext zu handeln bereit waren. Auch das hat unsere Freundschaft ausgemacht.

Du warst ein begnadeter Organisator, energiegeladen, inspirierend und von einem hinreißend schamlosen und verblüffenden Humor. Wenn ich beurteilen soll, wer mich in meinem Leben am meisten zum Lachen gebracht hat, dann liegst du „auf der nach oben offenen Richterskala“ ganz weit oben. Auch das war das Schöne an dieser Freundschaft: Wir konnten ungeheuer ernst und konzentriert, fast verbissen miteinander arbeiten. Und wir konnten, dank deines begnadeten Humors, sehr schnell umschalten.

Viele Jahre später habe ich mich gefragt, wie ein so junger Mensch – du warst 26 Jahre alt, als wir begannen, uns in der Aidshilfe zu engagieren – über so essenzielle Einsichten und Haltungen verfügen konnte. Eine Antwort habe ich nie gefunden, es war einfach so, du hast das als Grundausstattung mitgebracht. Und es war eines unserer Erfolgsrezepte.

„Du warst ein Zuckerstückchen an Lebensfreude, Neugier und Erfahrungslust“

Dein selbstverliehener Spitzname war „Praline“, „Praline Langweiler“, um genau zu sein. Wohlwissend, dass du alles warst, nur nicht langweilig. Eine Praline aber sehr wohl. Du warst ein Zuckerstückchen an Lebensfreude, Neugier und Erfahrungslust. Mehrsprachig, hochgebildet, hochprofessionell, detailversessen, ein manchmal anstrengender Mensch. Nur nie langweilig. Und wenn man dich brauchte, warst du da.

Es ist eine unglaublich traurige Erfahrung, dass du, der im Ergebnis seiner Arbeit in der Aidshilfe der 80er-Jahre ein panikfreies und liebevolles Ende für viele mit ermöglicht hat, so plötzlich und deshalb ohne den Beistand und die Anwesenheit von Freunden gestorben bist. In jeder Sekunde, in der ich mir den Moment deines Todes vergegenwärtige, geht mir ein Stich durchs Herz und mir schießen die Tränen in die Augen: Jürgen, mein Jürgen. Diesen Tod hast du nicht verdient.

Du warst ein außerordentlicher, ein großartiger Mensch und Freund. Dies und deine Leistungen sollen in Erinnerung bleiben. Viele, viele Freunde und Kollegen mit mir vermissen dich unendlich!

Gerd

 

Gerd Paul wirkte von 1983 bis 1985 am Aufbau der Berliner AIDS-Hilfe mit und war von 1985 bis 1987 zusammen mit dem Arzt Ian Schäfer († 1989) und dem Juristen Jürgen Roland Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe.

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