Gleiche Rechte für alle
Am augenfälligsten haben sich Stellenanzeigen verändert. Eine Annonce wie „Firma sucht jungen Mitarbeiter“ ist heute kaum mehr vorstellbar, zumindest aber müsste das Unternehmen mit Beschwerden rechnen, weil Frauen beziehungsweise Menschen höheren Alters offenbar grundsätzlich für den Job nicht gewünscht sind.
Seit zehn Jahren soll das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetze (AGG) davor schützen, dass Menschen ohne sachlichen Grund in einer vergleichbaren Situation schlechter als andere behandelt werden. Zwar verbietet auch Artikel 3 des Grundgesetzes Diskriminierungen, doch erst das AGG ermöglicht es, auch gegen Diskriminierungen im Verhältnis zu Privatpersonen und Firmen vorzugehen.
Die von Gegner_innen prophezeite Klagewelle blieb aus
Die Gegner_innen des Gesetzes, das am 18. August 2006 in Kraft getreten ist, sahen denn auch eine Prozesswelle aufs Land zurollen.
Schlimm genug, so argumentierten insbesondere Wirtschaftsverbände sowie die FDP, dass Arbeitgeber_innen und Unternehmen durch das Gesetz gegängelt und in ihrer Autonomie eingeschränkt würden. Man sah auch schon die deutsche Justiz unter der Last der gerichtlichen Auseinandersetzungen wegen Verstößen gegen das AGG zusammenbrechen.
Die Gerichte mögen zwar in der Tat völlig überlastet sein, jedoch aus ganz anderen Gründen. Die beschworene Klagewelle in Sachen AGG hingegen blieb aus. Wer sich ungleich behandelt fühle, suche nach einer gütlichen Einigung und nicht den Klageweg, hatte zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes die damalige Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Martina Köppen, erklärt. Denn das Gesetz ermöglicht es benachteiligten Personen, bei Rechtsverletzungen auch außergerichtlich Gleichbehandlung, Unterlassung oder die Kompensation erlittener Schäden zu erstreiten.
„Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“, so steht es in Paragraf 1 des AGG.
Wie das Gesetz im Alltag zum Tragen kommt, machte Köppens Amtsnachfolgerin, Christine Lüders, anlässlich des bevorstehenden Jahrestages an einigen Beispielen deutlich: „Wenn ein schwules Paar ein Doppelzimmer im Hotel buchen will, wird es weniger Angst vor Zurückweisung haben müssen als vor zehn Jahren. Zumindest aber haben die beiden das Recht auf ihrer Seite. Das Gleiche gilt für Eltern, die wegen eines behinderten Kindes ein Restaurant nicht besuchen dürfen, weil sie angeblich die Gäste störten.“
Die größte Bedeutung hat das Gesetz freilich im Arbeitsrecht, wo es zum Beispiel Auswirkungen auf die Bewerbung, die Einstellung, Kündigungen oder die betriebliche Altersvorsorge hat.
Doch eine vollständige Gleichbehandlung kann das AGG auch heute nicht garantieren – dafür sorgt beispielsweise die sogenannte Kirchenklausel, eine jener Einschränkungen, welche die CDU/CSU seinerzeit ihrer Koalitionspartnerin SPD bei der Ausarbeitung des Gesetzestextes abgerungen hatte. Beschäftigte im kirchlichen Bereich beziehungsweise in Einrichtungen religiöser Träger wie etwa der Caritas, die offen homosexuell leben oder sich nach einer Scheidung neu verheiraten, müssen weiter um ihren Arbeitsplatz fürchten.
Umstrittene Kirchenklausel
Ein unabhängiges Gremium hat im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes das Gesetz nun anlässlich des zehnten Jahrestages evaluiert und Verbesserungsvorschläge unterbreitet, mit denen „Schutzlücken geschlossen werden“ und „Menschen wirksamer gegen Diskriminierung vorgehen“ können. Die Abschaffung der Kirchenklausel findet sich erstaunlicherweise nicht unter den Empfehlungen.
Aber auch ein anderes Manko wird in den Gremiumsempfehlungen ausgespart. Der Europäische Gerichtshof hatte in einem Urteil 2013 zwar festgestellt, dass chronische Krankheiten als Behinderung im Sinne des europäischen Antidiskriminierungsgesetzes gelten, diese Erkrankten also den gleichen Diskriminierungsschutz genießen wie behinderte Menschen. Doch solange das nicht explizit im Gesetzestext verankert ist, ist es für Betroffene weiterhin sehr aufwendig, ihr Recht vor Gericht durchzusetzen. Eine entsprechende Ergänzung des Gesetzestextes würde für Klarheit sorgen. In Großbritannien beispielsweise sind HIV, Krebs und Multiple Sklerose im Antidiskriminierungsgesetz konkret benannt.
Dass eine HIV-Infektion eines Arbeitnehmenden durchaus als Behinderung zu betrachten ist, hatte das Bundesarbeitsgericht 2013 im Falle eines Auszubildenden festgehalten. Der junge Mann war nach Bekanntwerden seiner HIV-Infektion noch während der Probezeit von einem Pharmaunternehmen entlassen worden.
Das Gericht aber entschied: Auch eine HIV-Infektion, selbst wenn sie symptomlos ist, gilt als Behinderung, zumindest so lange, „wie das gegenwärtig auf eine solche Infektion zurückführende soziale Vermeidungsverhalten und die darauf beruhende Stigmatisierungen andauern“. Für Menschen mit HIV ist diese Entscheidung von großer Tragweite, für eine Klarstellung und für Menschen mit anderen chronischen Erkrankungen allerdings wäre es weiterhin wichtig, dass im AGG auch von chronischen Krankheiten die Rede ist.
Immerhin: Das Evaluierungsgremium unter Federführung der Rechtswissenschaftlerin Prof. Dr. Christiane Brors von der Universität Oldenburg hält es für dringend erforderlich, ein sogenanntes Verbandsklagerecht einzuführen. Damit könnten Interessenverbände wie zum Beispiel von Menschen mit Behinderung, von LGBT oder auch die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) juristisch gegen Missstände direkt vorgehen und vor Gericht ziehen – eine Forderung, die die DAH unterstützt.
Weiterführende Links:
Internetseite der Antidiskriminerungsstelle des Bundes
Evaluationsbericht 10 Jahre Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (PDF-Download)
„Konfession vor Qualifikation“– Magazin.hiv-Beitrag zu einer Studie über das diskriminierende Arbeitsrecht kirchennaher Arbeitgeber
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