Aus dem Darkroom ins Glück
Die Eröffnungssequenz ist vermutlich die längste Sexszene der Welt: Knapp 20 Minuten lang geht es in „Théo & Hugo“ zur Sache. Im zügellosen Treiben eines Pariser Sexclubs, inmitten dieses Menschenknäuels und Lusttaumels finden die beiden titelgebenden Helden im besten Sinne zueinander.
Das Regieduo Olivier Ducastel und Jacques Martineau („Felix“, „Meeresfrüchte“) zeigt die enthemmte Orgie in dem in orange-rotes Licht getauchten Darkroom in allen expliziten Details – jedoch mit einer visuellen Sprache, die sich ganz klar von den Stereotypen des Pornofilms abhebt. Damit gelingt dem französischen Filmemacherpaar Leidenschaft, sexuelle Gier und Begierde tatsächlich in Bildern spürbar zu machen.
Verlieben in Echtzeit
Als Théo und Hugo später zusammen den Club verlassen, kippt deren überschwänglicher Glücksrausch jedoch unvermittelt in Panik und Entsetzen, als klar wird, dass Théo beim Vögeln das Kondom weggelassen hat – und Hugo HIV-positiv ist. „Ich möchte dich küssen und dir gleichzeitig eine reinhauen“, reagiert Théo auf diese Nachricht.
Ducastel und Martineau begleiten das Paar nun gewissermaßen in Echtzeit auf ihrer emotionalen Achterbahnfahrt und ihrer Reise durch das nächtliche Paris: vom Krankenhaus (wo es ein HIV-Notfall-Kit in Form der Post-Expostions-Prophylaxe gibt) zum ersten Beziehungsstreit im Cruisingpark und im Morgengrauen zum Falafel-Frühstück in einen Imbiss.
Bis man endlich mit der ersten Metro in Hugos Wohnung am Stadtrand angekommen ist, haben die beiden Männer sich nicht nur körperlich, sondern auch mental intensiv kennengelernt und fast alle Stadien einer Beziehung durchlebt: Begehren und Leidenschaft, die Suche nach Nähe und Vertrauen, aber auch Verunsicherung und Enttäuschung.
Nächtliche Tour de Force
Ob die beiden die Liebe ihres Lebens gefunden haben? Manche Station in dieser nächtlichen Tour de Force mag etwas konstruiert oder pädagogisch erscheinen: die Begegnungen mit sonderlichen Nachtschwärmer_innen etwa, das einfühlsame Beratungsgespräch mit der Ärztin im Krankenhaus, die Grundsatzdiskussion von Théo und Hugo über Safer Sex und die Verantwortung im Umgang mit HIV. Doch die beiden Hauptdarsteller Geoffrey Couët und François Nambot meistern auch diese Szenen mit umwerfendem Charme und überzeugender Natürlichkeit.
Mag der Filmeinstieg in seiner Drastik und Direktheit für manche_n Zuschauer_in auch eine ungewohnte Herausforderung sein, was sich daraus entwickelt, ist eine zutiefst berührende, zarte und vor allem sehr heutige Liebesgeschichte, wie sie im queeren Kino bislang einmalig ist.
Nicht nur deshalb ist „Théo & Hugo“ definitiv einer der besten und wichtigsten schwulen Filme dieses Jahres – und vielleicht sogar darüber hinaus. Auf der Berlinale wurde er mit dem Publikumspreis der TEDDY-Awards ausgezeichnet und inzwischen auch schon auf fünf weiteren Festivals prämiert.
Ein ausführliches Interview mit den beiden Filmemachern folgt morgen auf magazin.hiv.
„Théo & Hugo“. Frankreich 2016. Regie Olivier Ducastel & Jacques Martineau. Mit Geoffrey Couët, François Nambot u. a., 97 Minuten, OmU. Kinostart: 20. Oktober.
Zudem gibt es den Film im Rahmen der Queerfilmnacht zu sehen, und zwar in:
- Aachen, 21. 10., 22.15 Uhr, Apollo
- Augsburg, 26.10., 19 Uhr, Liliom
- Bremen, 21.10., 20.30 Uhr, City
- Dresden, 17.10, 20.15 Uhr, Kino im Dach
- Erlangen 21.10., 19 Uhr, 22.10., 21 Uhr, E-Werk
- Freiburg, 19.10. 21 Uhr, Kandelhof
- Hamburg, 31.10., 21.30 Uhr, Metropolis
- Halle, 18.10., 21 Uhr, Zazie
- Hanaur, 28.10., 19 Uhr, Stadtbibliothek
- Karlsruhe, 26.10., 21 Uhr, Schauburg
- Kiel, 17.10., 19 Uhr, Pumpe
- Merseburg, 20.10., 20 Uhr; 21.10., 22 Uhr, Domstadtkino
- Pforzheim 27.10, 19 Uhr, Kommunales Kino
- Regensburg, 27.10., 21 Uhr, Wintergarten
Infos und Trailer: www.queerfilmnacht.de beziehungsweise www.theo-hugo.de
Diesen Beitrag teilen