Länder, in denen Sexarbeit zumindest in Teilen legal ist, haben eine deutlich geringere HIV-Prävalenz bei Sexarbeiterinnen als Länder, in denen Sexarbeit vollständig kriminalisiert ist.

Dies zeigt eine im Fachmagazin The Lancet veröffentlichte Studie des National Inequalities Institute der London School of Economics and Political Science, für die Daten (hauptsächlich zu Frauen in der Sexarbeit) aus 27 europäischen Ländern, darunter auch Deutschland, ausgewertet wurden.

Demnach beträgt in den 17 untersuchten Staaten, in denen Sexarbeit teilweise erlaubt ist, die mittlere HIV-Prävalenz 0,5 %. In den Ländern, in denen Sexarbeit umfassend kriminalisiert ist, liegt die mittlere HIV-Prävalenz dagegen bei 4,0 %.

Auch unter Berücksichtigung der Pro-Kopf-Verteilung des Bruttoinlandsprodukts und des geschätzten Anteils der injizierenden Drogenkonsumentinnen unter den Sexarbeiterinnen ändert sich das Verhältnis im Hinblick auf die HIV-Prävalenz nicht wesentlich. Die Autor_innen der Studie schlussfolgern daraus, dass die Gesetzeslage in Sachen Prostitution einen eigenständigen Einfluss auf das HIV-Vorkommen bei Sexarbeiterinnen hat.

Schon in Ländern, in denen sowohl das Anbieten als auch die Inanspruchnahme von Sex gegen Geld legal, Bordelle aber verboten sind (n=16), ist die HIV-Prävalenz niedriger als in Ländern, in denen Sexarbeit komplett kriminalisiert ist, heißt es in der Auswertung weiter. Der Zusammenhang zwischen der Entkriminalisierung von Sexarbeit und geringeren HIV-Zahlen unter Sexarbeiterinnen zeige sich jedoch besonders deutlich in Deutschland, wo sowohl der Kauf und Verkauf von sexuellen Dienstleistungen als auch Bordelle erlaubt sind. Allerdings ist Deutschland das einzige in der Studie berücksichtigte Land, in denen alle diese drei untersuchten Aspekte von Sexarbeit legal sind, weshalb man noch keine allgemeinen Aussagen treffen könne, so die Autor_innen der Studie.

Keinen klaren Unterschied konnte die Studie ausmachen zwischen Ländern, in denen lediglich der Kauf von sexuellen Dienstleistungen verboten ist (Schweden und Norwegen) und jenen Ländern, die zwar den Kauf und Verkauf von Sex erlauben, Bordelle jedoch verbieten. Bei einem Vergleich von Schweden und Norwegen mit Deutschland allerdings, habe Deutschland eine niedrigere HIV-Prävalenz bei Sexarbeiterinnen vorzuweisen, doch auch hier müssten weitere Daten die Korrelation mit den rechtlichen Gegebenheiten erst noch bestätigen.

Dennoch deuteten die Ergebnisse darauf hin, dass die Legalisierung von Prostitution die HIV-Prävalenz bei Sexarbeiterinnen senken könne und man die größten Erfolge bei der HIV-Prävention dann erzielen würde, wenn man alle drei Aspekte von Sexarbeit entkriminalisierte, so die Forscher_innen.

Die Studie hat darüber hinaus untersucht, ob eine „effektive und faire Durchsetzung der Gesetze“ Einfluss hat auf den Zusammenhang zwischen der rechtlichen Regulierung von Prostitution und dem HIV-Vorkommen bei Sexarbeiterinnen. Um diesen zu messen, haben die Wissenschaftler_innen die sogenannten Regierungs-Indikatoren der Weltbank herangezogen, welche das Vertrauen der Bevölkerung in die Wirksamkeit und gerechte Anwendung der Justiz, einschließlich der Polizei, erfassen.

Es zeige sich, so die Autor_innen, dass die HIV-Prävalenz bei Sexarbeiterinnen in jenen Ländern am niedrigsten ist, in denen Sexarbeit legal ist und die zudem noch über eine „wirksame und gerechte Justiz“ verfügen. In Ländern, in denen Sexarbeit umfassend kriminalisiert ist, scheinen Effektivität und Fairness bei der Justiz das HIV-Risiko für Sexarbeiterinnen nicht wesentlich zu verringern. Dagegen könnte aber in Ländern mit einem repressiven Justizwesen das HIV-Risiko für Sexarbeiterinnen wahrscheinlich bereits gesenkt werden, wenn man Prostitution legalisierte.

Die Autor_innen weisen darauf hin, dass die Ergebnisse ihrer Studie nur eingeschränkte Schlussfolgerungen zuließen. Dennoch stimmten diese mit denen anderer Untersuchungen überein, wonach die Entkriminalisierung von Sexarbeit eine wesentliche Voraussetzung sei, um Sexarbeiter_innen schützen zu können. Prostitution würde damit als ein offizielles Gewerbe anerkannt und behandelt, Sexarbeiter_innen hätten Zugang zur Sozialversicherung und stünden unter dem Schutz von Recht und Gesetz. Solche Bedingungen erhöhten den Zugang von Sexarbeiter_innen zu Kondomen, verminderten deren Risiko, Opfer von Gewalt zu werden, und stärkten die Frauen beim Aushandeln der Kondomnutzung.

Marie-Claude Boily und Kate Shannon, Wissenschaftlerinnen der Infektionsepidemiologie am Imperial College London, weisen in ihrem Kommentar zu der Auswertung ebenfalls auf die Komplexität der Zusammenhänge zwischen rechtlichen beziehungsweise strukturellen Faktoren in Bezug auf Sexarbeit und die HIV-Prävalenz bei Sexarbeiterinnen hin, weshalb weitere Untersuchungen zusätzliche Ergebnisse liefern müssten. Dennoch, so Boily und Shannon weiter, biete die Londoner Studie nützliche Daten. Diese sollten gerade solche Regierungen aufhorchen lassen, die in Betracht zögen, Sexarbeit oder auch nur Teile davon zu kriminalisieren.

(ascho/Christina Laußmann)

Quellen:

Studienbericht im Lancet

Kommentar zur Auswertung von Marie-Claude Boily und Kate Shannon

Zusammenfassung der Studie bei NAM Aidsmap

Weiterführende Beiträge:

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Christina Laußmann

Christina Laußmann hat Kulturwissenschaft, Medienwissenschaft und Neuere deutsche Philologie an der Humboldt-Universität und Technischen Universität Berlin studiert. Seit 2013 arbeitet sie als Autorin und Lektorin bei der Deutschen Aidshilfe.

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