Thailand und Myanmar öffnen sich beim Thema Drogen einem auf Gesundheit ausgerichteten Ansatz. Das ist bemerkenswert für diese Region, erklärt Ruth Dreifuss, Vorsitzende der Weltkommission für Drogenpolitik.

Seit dem vergangenen Jahr ist Ruth Dreifuss Vorsitzende der Weltkommission für Drogenpolitik (Global Commission on Drug Policy). Diese Gruppe von Persönlichkeiten aus aller Welt besteht seit 2011, die ehemalige Schweizer Bundespräsidentin gehört zu den Gründungsmitgliedern.

Die Gruppe war aufgrund der Erkenntnis ins Leben gerufen worden, dass der 1971 unter dem damaligen US-Präsidenten Richard Nixon lancierte „Krieg gegen Drogen“ ein kompletter Fehlschlag ist: Der Drogenhandel wird immer bedeutender, die Zahl der Drogenabhängigen steigt.

Ziel der Weltkommission ist es, auf einen Strategiewandel hinzuarbeiten: Statt auf Repression soll Drogenpolitik  mehr auf gesundheitliche und soziale Aspekte ausgerichtet werden. Seit 2011 ist hierzu auf der ganzen Welt einiges in Bewegung gekommen, wie etwa der jüngste Besuch von Ruth Dreifuss in Thailand und Myanmar (Burma) zeigt.

Frau Dreifuss, wie weit wollen Thailand und Myanmar mit ihren Reformen gehen?

In diesen zwei Ländern, die konfrontiert sind mit einer Epidemie von HIV/Aids und Hepatitis C unter jenen Menschen, die Drogen spritzen, und jenen, mit denen diese in Kontakt stehen, besteht der Wille, eine auf die Volksgesundheit ausgerichtete Politik zu entwickeln.

Zu den Maßnahmen, mit denen die Risiken vermindert werden sollen, gehört die Bereitstellung von sterilen Spritzen sowie von Treffpunkten für Drogenkonsumierende, an denen verschiedene Dienstleistungen angeboten werden, die auf die Integration der Suchtkranken abzielen. Auch erste Methadonprogramme für Schwerabhängige werden gestartet.

Vor allem aber ziehen die beiden Länder auch in Betracht, auf zwangsverordnete Behandlungen zu verzichten, die auf Abstinenz abzielen – Behandlungen, deren Unwirksamkeit und entwürdigender Charakter heute anerkannt wird.

„Mit Repression konnten weder der Drogenhandel noch der Konsum eingeschränkt werden“

Zudem gibt es heute ein klares Bewusstsein dafür, dass der Katalog der Strafmaßnahmen im Drogenbereich übertrieben ist. Über die Abschaffung der Todesstrafe wird zwar nicht gesprochen, beide Länder vollstrecken sie aber nicht mehr. Jetzt soll die Liste der Verbrechen, für die die Todesstrafe vorgesehen ist, verkleinert werden.

Das neue Bewusstsein betrifft auch die überfüllten Gefängnisse, die – mehr als irgendetwas anderes – vor allem Verbrecherschulen zu sein scheinen. Die Strafskala soll daher in beiden Ländern reduziert werden.

Um das zu tun, finden in beiden Ländern umfassende Konsultationen statt. Dazu kommen Informationskampagnen für die Bevölkerung, die diese Wende nach 50 Jahren Politik der Prohibition und verächtlichen Diskursen gegen Drogenkonsumierende nicht unbedingt einfach so versteht.

Erinnern wir uns daran, dass Thailand zwischen 2001 und 2006 einen „Krieg gegen Drogen“ geführt hat, der dem ähnelte, der sich nun in den Philippinen abspielt. Die thailändische Polizei hatte damals den Tod von mehreren Tausend Menschen durch außergerichtliche Tötungen provoziert. Die Behörden des Landes mussten schließlich einsehen, dass mit dieser Repression weder der Drogenhandel noch der Konsum von Drogen eingeschränkt werden konnte, ganz im Gegenteil.

Werden die anderen Staaten Südostasiens den gleichen Weg beschreiten?

Die große Frage ist, ob man eine Gesellschaft ohne Drogenmissbrauch anstreben kann. In der Schweiz ist die Zielsetzung der Abstinenz noch immer im Betäubungsmittelgesetz festgeschrieben. Das gilt auch für Südostasien, das eine völlig drogenfreie Region werden will. Aber kann man an ein solches Ziel noch glauben?

 „Wieso werden gewisse Substanzen in die Gesellschaft integriert, andere verboten?“

Es ist klar, dass die Länder, die ich besucht habe, zur Einsicht gekommen sind, dass das Ziel einer drogenfreien Gesellschaft eine Illusion ist, auch wenn sie in ihrem Diskurs noch etwas zögerlich tönen. Psychoaktive Substanzen hatten für die Menschheit in ihrer Geschichte schon immer eine Anziehungskraft.

Mit welchem Recht werden Personen bestraft, die Substanzen zu sich nehmen, die ihre Stimmung verändern, ihre Schmerzen lindern, ihr Bewusstsein und ihre Wahrnehmung der Welt transformieren? Gewisse solche Substanzen, Produkte, die ebenfalls psychoaktiv sind, wurden zudem kulturell in unsere Gesellschaften integriert, wie Alkohol, Tabak, Schokolade, Kaffee oder Medikamente.

Wieso will man durch die Gewalt des Staates der Illusion von einer Menschheit folgen, die ganz ohne solche Substanzen auskommt? Wieso werden gewisse Substanzen integriert, indem man Produktion und Zugang reglementiert, während andere verboten werden?

Gesundheitspolitische Maßnahmen statt Bestrafung von Konsumierenden

Die internationalen Konventionen zum Thema illegale Drogen, geben den Staaten die Möglichkeit, an ihre Probleme angepasste Lösungen zu finden, etwa auf die Bestrafung von Konsumierenden zu verzichten und gesundheitspolitische Maßnahmen zu ergreifen, einschließlich solcher, die es möglich machen, die Risiken für diejenigen zu verringern, die sich heute auf dem Schwarzmarkt mit verbotenen Substanzen eindecken. Andererseits lassen es diese Konventionen nicht zu, dass Staaten, welche die Abkommen ratifiziert haben, Produktion und Drogenmarkt kontrollieren, wie sie es mit legalen psychoaktiven Substanzen tun.

Ist die Kursänderung Thailands und Myanmars symptomatisch für eine weitere Entwicklung?

Diese Entwicklung ist allgemein. Sogar extrem repressive Staaten wie China und Iran haben Drogenersatztherapien und Maßnahmen zur Risikoverminderung für drogenabhängige Menschen entwickelt.

Aber man sieht auch Rückschritte, wie zum Beispiel auf den Philippinen. Und gewisse Länder verharren auf ihren auf Prohibition ausgerichteten Positionen, wie Japan und Russland. Moskau verfolgt weiterhin eine rigorose Politik der Prohibition mit absolut dramatischen Konsequenzen für die russische Bevölkerung.

Es ist das einzige Land, in dem die Zahl neuer HIV-Infektionen noch immer steigt. Zudem ist vor allem in den Gefängnissen, aber auch außerhalb, eine antibiotikaresistente Tuberkulose weit verbreitet. Durch seine repressive Politik hat Russland zahlreiche Aktivitäten in den Untergrund getrieben, was sich als extrem gefährlich herausstellt. Abgesehen davon sucht heute aber eine große Mehrheit der Staaten nach neuen Wegen.

Die Schweiz galt in der Drogenpolitik lange als Pionierin. Ist das immer noch der Fall?

Die Schweiz hat tatsächlich innovative Wege beschritten, als sie mit der Aids-Epidemie und immer mehr Überdosen konfrontiert war. Mittlerweile wurde sie aber von der Masse aufgeholt. Die Schweiz hat eine auf die Volksgesundheit ausgerichtete Politik entwickelt, die ihre Wirksamkeit unter Beweis gestellt hat. Man müsste die Maßnahmen aber noch weiterentwickeln, damit sie für all diejenigen zugänglich sind, die darauf angewiesen sind. Zudem sollte man auch die synthetischen Drogen, die neue Gefahren darstellen und neue Antworten erfordern, in diese Politik einbinden.

Die Schweiz hinkt aber bei der Regulierung des Drogenmarkts und der Entkriminalisierung hinterher. Den Drogenkonsum von einem Strafdelikt zu einer einfachen Zuwiderhandlung herunterzustufen, ist nur eine halbe Maßnahme.

„Repressive Politik hat vor allem Arme, Benachteiligte und Minderheiten im Visier“

Man muss in Erinnerung rufen, dass die repressive Politik auf der ganzen Welt willkürlich ist und vor allem Arme, benachteiligte Quartiere und Minderheiten im Visier hat, auch in der Schweiz. Und wenn die Anwendung eines Gesetzes willkürlich ist, muss dieses Gesetz revidiert werden.

Aber die Schweiz legte den Akzent derart stark auf die Gesundheit und die Verhältnismäßigkeit der Strafen, dass das Thema praktisch vom Radar verschwunden ist. Es gibt kaum mehr politischen Druck für radikalere Veränderungen. Umso mehr, nachdem verschiedene Initiativen, die auf solche Veränderungen abzielten, bei den Abstimmungen scheiterten. Die politischen Parteien sind daher nicht gerade scharf darauf, das Thema erneut auf die Agenda zu setzen.

Abgesehen davon gibt es aber – auch in weiten Teilen der Bevölkerung – ein lebhaftes Interesse, die Cannabis-Produktion und den damit verbundenen Markt zu regulieren, da das Cannabis-Verbot als weder wirksam noch nützlich betrachtet wird.

Fünf Schwerpunkte der Weltkommission für Drogenpolitik:

  • Gesundheit und Sicherheit müssen Priorität haben: Statt auf Strafrecht und Prohibition soll sich Drogenpolitik auf Prävention, Schadensreduktion, Behandlung und Schutz der Gemeinschaft als Eckpfeiler stützen.
  • Zugang zu Medikamenten mit doppeltem Verwendungszweck wie Morphium garantieren: Weil diese Medikamente teilweise illegal sind, hat eine große Mehrheit der Bevölkerung heute keinen Zugang dazu, was unnötigerweise zu Schmerzen und Leid führt.
  • Der Kriminalisierung und Inhaftierung von Drogenkonsumierenden ein Ende setzen: Das Ende der Kriminalisierung ist eine Voraussetzung für eine gesundheitsorientierte Drogenpolitik.
  • Repressive Maßnahmen deutlich auf den Kampf gegen den Drogenhandel und das organisierte Verbrechen ausrichten, statt auf kleine, nicht gewalttätige Akteure im Markt.
  • Drogenmärkte regulieren, um deren Kontrolle den Staaten zu übertragen, wie es bei Tabak, Alkohol oder Medikamenten der Fall ist: Mit einer Regulierung bisher illegaler Substanzen können soziale und gesundheitliche Schäden verringert und das organisierte Verbrechen geschwächt werden.

Von Frédéric Burnand

Dieser Artikel erschien zuerst auf swissinfo.ch. Wir danken Frédéric Burnand und der Redaktion herzlich für das Recht zur Zweitveröffentlichung.

Zu Ruth Dreifuss:

Die studierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlerin Ruth Dreifuss (geboren 1940) wurde 1993 in den Schweizer Bundesrat gewählt. 1999 war sie Bundespräsidentin der Schweiz. Von 1993 bis 2002 stand sie dem Eidgenössischen Departement des Inneren vor und war als Gesundheitsministerin oberste Chefin des Bundsamts für Gesundheit. Heute ist sie Vorsitzende der Globalen Kommission für Drogenpolitik (www.globalcommissionondrugs.org), sie engagiert sich in der internationalen Kommission gegen die Todesstrafe (www.icomdp.org) und ist Ko-Vorsitzende eines von der UNO ins Leben gerufenen Ausschusses über den Zugang zu Medikamenten (www.unsgaccessmeds.org).

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