Mit der Online-Kampagne „Vielfalt gegen rechte Einfalt“ positioniert sich die Deutsche AIDS-Hilfe anlässlich der Bundestagswahl klar gegen rechts. Mit Gema Rodríguez Díaz haben wir über LGBT-Geflüchtete und Rechtspopulismus gesprochen.

Gema Rodríguez Díaz arbeitet als Diplom-Sozialarbeiterin bei der Kölner LGBT-Beratungsstelle Rubicon. Ihre Schwerpunkte sind Antidikriminierungsarbeit und Flüchtlingsberatung. Und sie ist zuständig für Baraka, einen offenen Treff für lesbische, schwule und transsexuelle Migrantinnen und Migranten, Geflüchtete und Deutsche mit Migrationsgeschichte.

Eine Möglichkeit, sich durch den Alltag zu schlagen

Gema, Baraka gibt es seit 2005. Wer nimmt heute das Angebot wahr?

Wir versuchen, es so bunt wie früher zu halten. Aber klar, der große Kern der Gruppe sind vor allem die Geflüchteten, die jetzt in den vergangenen zwei Jahren zu uns gekommen sind. Das sind in erster Linie Menschen aus Syrien, Irak, Afghanistan, aus Somalia, Guinea oder Eritrea.

Das Baraka ist eine Gruppe, die sich nur jeden Freitag von 18 bis 22 Uhr trifft. Zum Glück gibt es in Köln aber noch andere Angebote, wo die Menschen auch an den anderen Tagen der Woche ihre Freizeit gestalten können.

Seit Ende 2015 kamen alle mit Asylfragen

Als Geflüchteter ist es dir ja erst mal nicht erlaubt, einen Deutschkurs zu besuchen oder arbeiten zu gehen. Und da sind Angebote wie Baraka eine Möglichkeit, sich durch den Alltag zu schlagen.

Kommen die Menschen auch mit ganz konkreten Hilfsgesuchen?

Seit zwei Jahren ist es tatsächlich so. Seit Ende 2015 hat sich die Gruppe verändert und wurde so eine Art Nothilfegruppe. Die kamen alle mit Asylfragen. Wir haben dann versucht, dass die Menschen einen Termin machen und in der Woche zu meiner Flüchtlingsberatung kommen.

Wir haben bei Rubicon auch ein sechsköpfiges Team, das psychosoziale Beratung macht, und die sind sehr gut vernetzt mit anderen Stellen, wenn es um einen Therapieplatz geht. Wir können ihnen also in der Woche auf vielfältige Weise helfen.

Und freitagabends bei Baraka können sie Freunde treffen, danach noch ausgehen und zumindest versuchen, ihre Probleme zu vergessen.

„So viele verschiedene furchtbare Geschichten“

Was haben die Menschen, die zu euch kommen, erlebt?

Wenn ich damit anfange, dann werde ich gleich heulen. Das sind so viele verschiedene furchtbare Geschichten.

Ich habe von mehreren Menschen gehört, wie sie ihre Freunde im Meer verloren haben. Oder wie ihre Freunde von hohen Gebäuden gestoßen wurden, und dann wurde so getan, als wäre es Selbstmord gewesen.

„Wenn ich damit anfange, werde ich gleich heulen“

Diese Menschen haben in ihrer Heimat gelitten, sie haben auf der Flucht gelitten, und dann kommen sie her mit vielen Erwartungen und leiden wieder, weil sie so lange Zeit im Prinzip auf Standby stehen.

Ich meine, es ist schon diskriminierend genug und hart genug, wie die Gesetze gemacht sind und wie die Menschen einfach sortiert werden. Wer aus Uganda stammt, kommt nach Bayern und wird dort untergebracht, egal, aus welchem Grund sie diesen Asylantrag gestellt haben. Die Menschen werden aufgeteilt, als wären sie Schafe.

Und dann das, was sie in den Unterkünften erleben mit den Menschen, die sie schon in der Heimat unterdrückt und verfolgt haben. Dort erleben sie wieder Diskriminierung und auch Gewalt.

Und natürlich werden sie auch diskriminiert von den Menschen, die schon in diesem Land leben. Die Diskriminierung kommt von allen verschiedenen Seiten und manchmal von Menschen, von denen man denken könnte, dass sie nicht diskriminieren. Das machen wir alle und leider auch viele in unserer queeren Community.

LGBT-Geflüchtete und Rechtspopulismus: Empowerment gegen Diskriminierung

Wie kann sich jede_r Einzelne gegen Diskriminierung stark machen?

Keiner von uns ist frei davon, andere zu diskriminieren, auch sehr oft unbewusst. Wichtig ist, dass wir erkennen können, wann wir vielleicht jemanden verletzt haben, und uns entschuldigen und daraus lernen.

Ich würde damit anfangen, mir meine eigenen Privilegien bewusst zu machen. Ich bin zum Beispiel eine Frau, lesbisch lebende Migrantin mit einem Akzent. Das sind Merkmale, mit denen man Diskriminierung erfahren kann. Und trotz dieser ganzen Merkmale und gewissen Diskriminierungserfahrungen in meinem Alltag bin ich so was von privilegiert.

„Warum die und nicht wir?“

Ich denke, viele Menschen, gerade in der LGBT-Community, bleiben gerne in der Opferrolle. Sie fragen: Warum die und nicht wir? Als würde das Leiden und die Diskriminierungserfahrung von dem einen mehr zählen als von der anderen.

Und wenn man selber Diskriminierung erfährt, sollte man sich wehren, sich an die Anti-Diskriminierungs-Stellen wenden, um zu gucken, was für Möglichkeiten es da gibt. Dazu müssen wir Menschen empowern, damit sie sich wehren können.

Und wir brauchen richtige Integrationsgesetze, mit denen die Menschen tatsächlich Teilhabe in der deutschen Gesellschaft bekommen und wir alle zusammen an der Inklusion arbeiten. Und das heißt alle, nicht nur die, die gerade seit ein paar Jahren oder Monate bei uns sind, sondern auch die, die hier lange leben oder sogar hier geboren sind.

Rechtsruck auch in der queeren Community

Hast du das Gefühl, dass die Diskriminierungen mehr geworden sind in den vergangenen Jahren? Dass es einen Rechtsruck gibt in der Gesellschaft und auch in der queeren Community?

Ja, in der Gesellschaft im Allgemeinen und leider auch in der queeren Community. Wahrscheinlich war es schon immer da, es wurde nur noch nie so deutlich wie jetzt.

Die Menschen haben Ängste und ich glaube, dass diese verschiedenen Situationen seit dem Sommer 2015, wie zum Beispiel die Kölner Silvesternacht, die Ängste verstärkt haben.

Da war auch die Presse nicht ganz so neutral oder professionell. Das hätte man alles viel differenzierter betrachten müssen.

Wie berechtigt ist die Angst, dass die Geflüchteten, speziell die aus muslimischen Ländern, besonders homophob und transphob sind?

Das ist schwierig zu sagen. Natürlich ist das teilweise ein Vorurteil. Nicht jeder Muslim ist automatisch homophob. Ich bin keine Freundin von diesen Verallgemeinerungen. Aber das ist leider ein Gedanke, der bei vielen in den Köpfen sitzt.

Homo- und Transphobie gibt es auch bei uns

Auch viele von den Besucherinnen und Besuchern von Baraka bringen selber diese Vorurteile mit. Sie denken, dass die Katholiken, die Protestanten und alle anderen, die hier in Deutschland leben, viel besser sind. Aber wir wissen, dass das nicht stimmt.

Natürlich kommen viele aus Ländern, in denen es Gesetze gegen LGBT gibt, die sogar bis zur Todesstrafe führen können, und viele Menschen aus diesen Ländern bringen homophobe oder transphobe Gedanken mit, aber genau solche haben wir auch schon hier. Das haben zum Beispiel die Reaktionen nach der Einführung der Homoehe gezeigt.

Wählen gehen für eine Gesellschaft mit weniger Diskriminierung

Was würdest du jemandem sagen, der überhaupt nicht wählen geht, weil er findet, dass das nichts bringt?

Guck mal, ich bin in Madrid geboren. Ich habe einen spanischen Pass, und als ich konnte, habe ich meinen deutschen Pass beantragt, allein aus dem Grund, dass ich wählen gehen wollte.

„Ich möchte meine Stimme abgeben, die zählt“

Weil da, wo ich Steuern zahle, möchte ich auch meine Stimme abgeben, und die zählt. Und ich freue mich, dass ich in diesem Jahr zum zweiten Mal bei einer Bundestagswahl dabei sein kann.

Was wünscht du dir, was nach der Wahl ganz dringend angegangen werden muss?

Sagen wir mal, nach den Wahlen ist alles jot jejange, wie man in Köln sagt, und es kommt nicht so, wie wir leider befürchten, dann sollte man sich an die Asylgesetze ranmachen und vielleicht die Dublin-Regelung ganz abschaffen.

Das ist natürlich eine Aufgabe, die die ganze EU betrifft, aber ganz besonders Deutschland, das in einer ziemlich angenehme Situation mitten in Europa ist.

Was würde das Leben von Migrant_innen in Deutschland erleichtern?

Zum Beispiel, wenn die Kinder, die in Deutschland geboren werden, automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen. Das würde vielleicht nicht das Leben dieser Menschen erleichtern, aber auf jeden Fall das Leben ihrer Kinder. Und das bedeutet von den zukünftigen Deutschen.

Sich engagieren zu können ist ein Privileg

Warum engagierst du dich persönlich?

Das ist auch ein Privileg. Ich bin Sozialarbeiterin und werde für meine Arbeit bezahlt. Ich sage immer, ich bin eine Büro-Aktivistin.

Ja, warum engagiere ich mich? Ich glaube, jeder muss einen kleinen Teil dazu beitragen, und wenn alle das machen würden, hätten wir vielleicht eine bessere Gesellschaft. Durch dieses Engagement könnte man die Gesellschaft verändern, damit es weniger Diskriminierung gibt. Ich weiß, dass das eine Utopie ist, aber zumindest ein bisschen weniger.

„Man braucht Durchhaltevermögen und Kraft“

Es geht um Kleinigkeiten, die man jeden Tag versuchen kann, andere zu sensibilisieren, zum Beispiel im Gespräch mit dem Metzger, mit Freunden, in unserem privaten Leben. Aber dafür braucht man Durchhaltevermögen und Kraft.

Bleiben wir mal bei der Utopie: Wenn du drei Wünsche frei hättest, wie würden die lauten?

Eine diskriminierungs- und rassismusfreie Gesellschaft. Die Abschaffung der Dublin-Regelung. Und ein Wunsch wird gerade teilweise erfüllt, obwohl es lange gedauert hat. Ich war immer für eine dezentrale Unterkunft von queeren Geflüchteten, und wir sind auf dem besten Weg in Köln. Es ist lange versprochen worden, und es könnte bald kommen.

 

Dieses Interview ist Teil unserer Kampagne „Vielfalt gegen rechte Einfalt“: Hier geht es zu weiteren Inhalten und Materialien.

 

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Über

Frauke Oppenberg

Frauke Oppenberg ist seit 1992 als freie Journalistin tätig. Derzeit arbeitet sie vorwiegend für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ARD) als Moderatorin und Autorin von Radio- und Fernsehbeiträgen.

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