Der südafrikanische Film Die Wunde erzählt von kaum lösbaren Konflikten zwischen Tradition und Moderne, von Homophobie, schwulem Selbsthass, aber auch schwulem Selbstbewusstsein.

Wenn ein Film mit schwulem Thema für ein breites Publikum beworben werden soll, wird gern ein Vergleich mit „Brokeback Mountain“ gezogen. Nicht sehr verwunderlich also, dass John Trengoves Film Die Wunde nun als „afrikanisches Brokeback Mountain“ etikettiert wird.

Die Wunde: Eher Moonlight als Brokeback Mountain

Parallelen sind durchaus vorhanden: Während in dem Oscar-prämierten Hollywoodstreifen ein Cowboypaar seine Liebe nur im Sommer beim gemeinsamen Schafehüten leben kann, haben in Trengoves Langfilmdebüt zwei Männer nur bei einem jährlichen Initiationsritual Gelegenheit, im Geheimen ihre sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen.

Gesellschaftlich nicht akzeptierte Sexualität

Doch Die Wunde geht weit über die Geschichte einer unmöglichen, weil verbotenen Liebe hinaus. Wenn ein Vergleich unbedingt sein muss, drängt sich hier deshalb vielmehr Barry Jenkins Moonlight auf.

Auch hier wird die Geschichte konsequent aus einer schwarzen Perspektive und ohne jegliche weiße Figuren erzählt (in Die Wunde gibt es zudem keine einzige Frau), und die Hauptfiguren sehen sich mit den gleichen Herausforderungen konfrontiert: mit ihrer gesellschaftlich nicht akzeptierten Sexualität und ihrer vermeintlich unzureichenden Männlichkeit.

Eine abgeschlossene Welt ohne Frauen und ohne Weiße

Kwandas Vater hält seinen 16-jährigen Sohn für verweichlicht und verzärtelt. Deshalb besinnt er sich auf die Traditionen seines Volkes, der Xhosa, und bringt den Sprössling zu einem Männlichkeitsritus, das in einem eigens dafür in einer abgelegenen Bergregion errichteten Hüttendorf durchgeführt wird.

Nach der recht rüde durchgeführten Beschneidung bleiben die jungen Männer dort eine weitere Woche, um in der Abgeschiedenheit ihre Wunde verheilen zu lassen und mit archaischen Männlichkeitsritualen zu „echten Kerlen“ zu werden.

Scheinbar aus der Zeit gefallenes Initiationscamp

Der Großstädter Kwanda aber hält von dieser althergebrachten Schule des Machismo nicht viel. Sehr schnell wird klar: Seine Technomusik ist ihm lieber als die Tänze, die hier als Teil des Ritus aufgeführt werden. Und in Johannesburg wird Kwanda wieder zu seinem schwulen Freundeskreis zurückkehren, auch wenn es seinem Vater nicht gefällt. Genaugenommen stärkt und schärft der zwangsverordnete Aufenthalt in diesem scheinbar aus der Zeit gefallenen Initiationscamp Kwandas Selbstbewusstsein und sexuelle Identität.

In Die Wunde kollidieren Tradition und Moderne

Als Kwanda zufällig beobachtet, dass sein erwachsener Betreuer und Mentor Xolani (Nakhane Touré) mit einem anderen Mann bereits seit Jahren eine heimliche Liaison hat, droht er damit, dieses in seinen Augen verlogene Doppelleben auffliegen zu lassen.

Klassische Themen des schwulen Kinos

Mit Abstand betrachtet handelt John Trengoves Drama von klassischen Themen des schwulen Kinos: von Selbstverleugnung und Homophobie, vom schwulem Selbsthass und starren gesellschaftlichen Bildern von Männlichkeit. Auch der Gegensatz zwischen der in Großstädten gebotenen Freiheit und dem konservativ geprägten Leben auf dem Land ist Teil unserer Lebenserfahrung.

Vertraut und fremd zugleich

In Die Wunde sind diese Konfliktfelder jedoch in einem für uns völlig ungewohnten Kontext zu erleben. Sie sind uns sehr vertraut und doch fremd zugleich. Nicht zuletzt aufgrund der fast dokumentarisch wirkenden Aufnahmen erscheint der Film wie eine faszinierende ethnologische Reise in die Stammeswelt der Xhosa.

Doch der Filmemacher Trengove macht es sich zum Glück nicht so einfach, diese Überreste einer archaischen Tradition als rückständig vorzuführen und ins Lächerliche zu ziehen.

Widersprüche und kaum lösbare Konflike

Seine beiden Ko-Autoren wie auch der Großteil der Laiendarsteller entstammen selbst dem Volk der Xhosa und wissen deshalb auch, welche Bedeutung diese Übergangsrituale für den Zusammenhalt der Gemeinschaft haben. Schwule Männer bringen diese Widersprüche, die sich aus den traditionellen Konventionen und Regeln ergeben, in kaum lösbare Konflikte.

Xolani und sein verheirateter Liebhaber Vija (Bongile Mantsai) haben sehr unterschiedliche Wege gewählt, um sich anzupassen, jedoch zu einem hohen Preis. Der Grat zwischen Begehren und Gewalt, zwischen Erfüllung der Liebe und ihrer Verleugnung ist schmal ­– und führt in diesem starken und eindrücklichen Drama unausweichlich zur Eskalation.

Die Wunde. Südafrika 2017. Regie John Trengove. Mit Bongile Mantsai (Vija), Niza Jay Ncoyini (Kwanda), Nakhane Touré (Xolani). Kinostart: 14.9.

Website:  www.die-wunde-film.de, Trailer auf vimeo

 

Previews im Rahmen der Queerfilmnacht (zum Teil schon zurückliegend):

AUGSBURG: Liliom, 30. 8., 19 h

DRESDEN: Kino im Dach, 21. 8., 20.15 h

FRANKFURT: Mal Seh’ n Kino, 23. 8., 20 h

HALLE: Zazie, 22. 8., 21 h

KARLSRUHE: Schauburg, 30. 8., 21 h

REGENSBURG: Wintergarten, 24. 8., 21 h

Weitere Previews:

BERLIN: Kino International (MonGAY), 11. 9., 22 h

KARLSRUHE: Schauburg (Queerfilmnight), 30. 8., 21 h

LEIPZIG: Passage Kinos (QueerBLICK), 30. 8., 19.30 h

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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