Pierre Kembo Mayamba ist Sozialarbeiter bei der Aidshilfe Essen. Ende Oktober 2018 wurde er in den Vorstand der Aidshilfe NRW gewählt. Er ist damit das erste Mitglied afrikanischer Herkunft in einem Aidshilfe-Vorstand. Auch in seiner neuen Funktion will er sich für Angebote für Menschen aus Subsahara-Afrika einsetzen. Er selbst stammt ursprünglich aus Ex-Zaire, der heutigen Demokratischen Republik Kongo.

Herr Mayamba, Sie sind seit Oktober im Vorstand der Aidshilfe Nordrhein-Westfalen. Welche Ziele verfolgen Sie in Ihrer zweijährigen Amtszeit?

Wir haben hier in Deutschland viele Migrant_innen, auch Migrant_innen aus Subsahara-Afrika, abgekürzt „MiSSA“. Diese Gruppe ist zum Beispiel sehr betroffen, was HIV angeht. Ich möchte eine Stimme dieser Gruppe sein. Neben „MiSSA“ gibt es auch andere Migrant_innen – zum Beispiel aus den arabischen Ländern –, die wir als Zielgruppen haben. Ich möchte erreichen, dass das Thema Migration im Verband sichtbarer wird und die Versorgung dieser Zielgruppen durch die Aidshilfe nachhaltig gewährleistet wird.

„Wir haben es geschafft, dass auch Afrikaner_innen zur Aidshilfe kommen“

Bei der Aidshilfe Essen arbeiten Sie schon länger im Bereich Migration. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?

Das funktioniert bei uns ganz gut. Am Anfang aber war es ein bisschen schwierig. Als ich zur Aidshilfe Essen kam, wurde dort bereits versucht, ein Projekt für Afrikaner unter dem Titel „Black+Male“ anzubieten. Das hat mir persönlich die Arbeit erleichtert. Ich habe bei der Aidshilfe Essen Leute gefunden, die offen für das Thema Migration waren. Da ich in der Community viele Leute kenne, war es für mich leichter, das Thema dort zu platzieren. Wir haben mit der interkulturellen Öffnung der Aidshilfe angefangen, aber dann musste ich die Leute aus der Community auch in die bestehenden Strukturen bringen. Mit der Zeit haben wir es geschafft, dass auch Afrikaner_innen zur Aidshilfe kommen – ohne Hemmungen. Selbst wenn ich nicht da bin, kommen sie und gehen auch zu meinen Kolleg_innen.

Porträtfoto Pierre Kembo Mayamba
Pierre Kembo Mayamba (Foto: privat)

Wie sind Sie selbst zu Ihrer Arbeit bei der Aidshilfe gekommen?

Ich habe früher Flüchtlingsarbeit gemacht. Danach habe ich mich bei der Aidshilfe Essen beworben, ursprünglich bei einem Projekt für Jugendliche. Dann hat unser Geschäftsführer mich angesprochen und mich für das Projekt „Black+Male“ gewonnen.

„Partizipation spielt eine große Rolle bei uns“

Gibt es bei den Aidshilfen ausreichend Mitarbeiter_innen, die wie Sie selbst einen Migrationshintergrund mitbringen?

 „Ausreichend“ ist relativ. Es gab bei uns früher einige türkische Mitarbeiterinnen. Ich habe jetzt bei  NEKABENE, einem Projekt für Menschen mit Migrationshintergrund, eine Honorarkraft, die aus Afrika kommt. Wir haben einen Kollegen aus Kolumbien, der im Projekt „Mashallah“ für schwule und bisexuelle Männer mit Migrationshintergrund arbeitet. Außerdem arbeiten wir sowohl im Projekt NEKABENE als auch im Rahmen unseres Netzwerks „MiSSA NRW“ zusammen mit Gesundheitsbotschafter_innen aus der afrikanischen Community. Partizipation spielt eine große Rolle bei uns. Wir motivieren Menschen mit Migrationshintergrund zur Partizipation und möchten sie auch für die Arbeit im Projekt gewinnen.

 Wie sieht es denn aus mit Leitungspositionen? Sie sind der erste Afrikaner in einem Aidshilfe-Vorstand. Sind Sie selbst innerhalb der Institution auf Hürden gestoßen?

Es hatten viele befürchtet, dass es so sein würde. Aber ich muss sagen, dass ich gut empfangen und aufgenommen wurde. Und ich bin dankbar für die gute Zusammenarbeit mit meinen lieben Kolleg_innen im Vorstand.

„Wir können nicht eine Gruppe versorgen und die anderen ausschließen“

Warum ist es denn so wichtig, dass Migrant_innen in solche Positionen kommen?

Es ist schon alleine deshalb wichtig, weil das Thema Migration politisch aktuell ist. Außerdem haben wir Migrant_innen aus Subsahara-Afrika keine Lobby, obwohl wir im Hinblick auf HIV eine epidemiologisch relevante Gruppe sind. Die Aidshilfe versorgt HIV-positive und aidskranke Menschen, dazu gehören auch Migrant_innen. Wenn wir über Antidiskriminierung sprechen, reden wir über gleiche Chancen und gleiche Behandlung. Für mich müssen alle Menschen, die HIV oder Aids haben, nachhaltig die Möglichkeit bekommen, behandelt und versorgt zu werden. Wir können ja nicht eine Gruppe versorgen und die anderen ausschließen. Und für mich ist und soll die Aidshilfe Anlaufstelle und Ansprechpartnerin aller Betroffenen sein.

Welche Rolle spielt denn bei Ihren Zielen die Selbstorganisation von Afrikaner_innen – beispielsweise im Netzwerk AGHNiD, dem Afrikanischen Gesundheits- und HIV-Netzwerk in Deutschland?

AGHNiD ist ja sozusagen unser Baby. Wir haben es 2011 gegründet, weil wir damals schon die Notwendigkeit einer Vernetzung gesehen haben. Mit AGHNiD machen wir Fortschritte. Das Netzwerk soll jetzt ein Verein werden. Wir sind aber froh, die nachhaltige Unterstützung der Deutschen AIDS-Hilfe zu haben. Ohne diese Hilfe würden wir das nicht schaffen. Ich habe immer plädiert, dass wir die Zusammenarbeit mit der Deutschen AIDS-Hilfe aufrechterhalten müssen, um ans Ziel zu kommen.

Sie haben auch das Netzwerk „MiSSA NRW – Migration und HIV“ gegründet. Was hat es damit auf sich?

Mit Unterstützung der Aidshilfe NRW haben wir von der Aidshilfe Essen zusammen mit der Aidshilfe Düsseldorf dieses Netzwerk initiiert. Das ist ein landesweites Netzwerk, in dem sich die migrationsspezifischen Projekte der Aidshilfen in NRW rund um HIV und Aids und Subsahara-Afrika zusammengeschlossen haben.

„Es gibt nur wenige Projekte für Afrikaner_innen. Das möchte ich ändern“

Wir wollten uns hier in Nordrhein-Westfalen vernetzen, um uns regelmäßig treffen und austauschen zu können, aber auch, um gemeinsam Strategien und Methoden zur Aufklärung, HIV-Prävention und Beratung von MiSSA zu entwickeln. Wir von den Aidshilfen Düsseldorf und Essen verfügen über jahrelange Erfahrungen und Expertise aus Projekten für Migrant_innen aus Subsahara-Afrika, die wir anderen Kolleg_innen zur Verfügung stellen können.

Es gibt Aidshilfen, die zwar Klient_innen aus Afrika haben, aber kein spezielles Projekt für Migrant_innen aus Subsahara-Afrika. Im Rahmen des Netzwerks können Kolleg_innen schauen, wie man so ein Projekt angehen kann, und den Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen erlernen. Es gibt viele Afrikaner_innen in Nordrhein-Westfalen, aber nur wenige Projekte, die sich an diese Zielgruppe richten. Das möchte ich im Rahmen unseres Netzwerks ändern.

„In meiner Freizeit schreibe ich immer“

Sie sind ja nicht nur Sozialarbeiter, sondern auch Schriftsteller. Kommen Sie noch zum Schreiben?

Das war damals schwierig, als ich bei der Aidshilfe anfing. Ich musste viel Zeit in das Projekt investieren, das wir initiieren wollten. Ich habe dann die Schriftstellerei zurückgestellt, damit ich mich der neuen Arbeit widmen konnte. Aber es ist nicht so, dass ich das gar nicht mehr mache. In meiner Freizeit schreibe ich immer. Bei meinem aktuellen Projekt geht es um das Thema Zuwanderung und die Probleme, die wir als Gesellschaft damit haben. Der Spruch „Wir schaffen das“ hatte mich dazu inspiriert. Ich habe versucht, etwas darüber zu schreiben, und würde mich freuen, wenn ich einen Verlag fände, der das veröffentlicht.

Wie empfinden Sie denn die Diskussionen in Deutschland zum Thema Migration? Rechte Parolen werden lauter und die AfD hat viel Zulauf…

Ich finde das nicht gut. Ich habe damals erlebt, wie das war mit Hoyerswerda, Rostock, Lübeck und Mölln. Damals bin ich auch selber hingefahren. Wir haben miterlebt, wie gesagt wurde: „Das Boot ist voll.“ Wir haben wirklich gedacht, so etwas passiert hier in Europa nicht mehr – so ein Rechtsruck. Ich habe die Hoffnung noch nicht verloren, dass die demokratischen Politiker_innen und Parteien das noch hinkriegen, damit die rechten Parteien in Europa nicht die Oberhand bekommen. Ich hoffe nur, dass wir stark bleiben und es schaffen, die Dinge in Zukunft in Ordnung zu bringen.

Interview: Inga Dreyer

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