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Mit 200 PS durch die rechtliche Grauzone

Von Axel Schock
mobiler Drogenkonsumraum
1994 wurde in Hamburg das Drug-Mobil eröffnet, ein mobiler Drogenkonsumraum im Stadtteil Billstedt. Der erste staatlich finanzierte „Fixerraum“ ist ein Meilenstein der deutschen Drogenpolitik.

Eigentlich hätte diese Eröffnungsfeier ein wahres Fest sein müssen. Schließlich wurde an diesem 16. Februar 1994 im Hamburger Stadtteil Billstedt Geschichte geschrieben: Mit dem „Drug-Mobil“ eröffnete an diesem Tag Deutschlands erster aus öffentlichen Mitteln finanzierter „Fixerraum“.

„Stressfreier, einigermaßen hygienischer und risikoärmerer Drogenkonsum“

Die Hamburger Sozial- und Gesundheitssenatorin Helgrit Fischer-Menzel sagte in ihrer Einweihungsrede, den Drogenabhängigen solle „ein stressfreier, einigermaßen hygienischer und risikoärmerer Drogenkonsum“ ermöglicht werden.

Verschiedene Drogenhilfe-Einrichtungen im Bundesgebiet boten genau dies seit den 1980er-Jahren unter der Hand an. In der Schweiz wurde bei ähnlicher Rechtslage bereits 1986 ein Drogenkonsumraum in Bern eröffnet. Und in Hamburg selbst hatte es bereits im April 1991 einen Probelauf mit einem „Fixerbus“ gegeben, organisiert von einem breiten Bündnis aus 40 Hamburger Initiativen, Einzelpersonen und der evangelischen Kirche in St. Georg.

Die Betreiber_innen solcher Angebote machten sich allerdings nach damaliger deutscher Rechtsauffassung strafbar: wegen des „Verschaffens und Gewährens von Gelegenheiten“ zum Drogenkonsum (§ 29 Absatz 1 des Betäubungsmittelgesetzes).

Aus der „Fixerstube“ wird ein „Gesundheitstraum“

Der nach der Wahl im Jahr 1991 von der SPD gestellte Hamburger Senat wandte sich deutlich gegen die überkommene, restriktive Drogenpolitik und plante zunächst eine Million DM für „Fixerräume“ im Haushalt ein.

Eine von Hamburg gestartete Bundesratsinitiative, das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) zu liberalisieren und solche Konsumräume rechtlich möglich zu machen, scheiterte aber.

Dass am 16. Februar 1994 dennoch gefeiert werden konnte, ist einer juristischen Spitzfindigkeit zu verdanken:

Der Hamburger Generalstaatsanwalt Arno Weinert hatte in einem Gutachten für die Justizbehörde keine strafrechtlichen Probleme gesehen, wenn es in solchen „Fixerräumen“  nicht vordergründig um Drogenkonsum gehe, sondern dort auch Beratung und medizinische Versorgung angeboten würden.

Und so wurde eben keine „Fixerstube“ eingerichtet, sondern ein „Gesundheitsraum“ – und die deutsche Amtssprache war wieder um einen Begriff reicher.

Kein Raum für Drogenkonsumräume

Den Zuschlag für die Einrichtung und den Betrieb mehrerer solcher Gesundheitsräume bekam der neu gegründete Verein freiraum hamburg e. V. Die Suche nach geeigneten Räumen erwies sich allerdings als schwierig. Über 50 Gewerberäume hatten der damalige Geschäftsführer Norbert Dworsky und sein fünfköpfiges Team besichtigt – und nur Absagen erhalten. Selbst ein Stellplatz für einen Container war nicht zu bekommen.

Selbst um den Standplatz für den Bus musste gekämpft werden

Aus dieser Not heraus entstand die Idee, einen ausrangierten Linienbus der Hamburger Verkehrsbetriebe umzubauen. Die Fahrgastsitze wurden entfernt, stattdessen bekam der Bus unter anderem eine Liege zur Wundversorgung, eine Café-Ecke sowie Sitzgruppen für die Safer-Use- und Substitutionsberatung.

Der rollende „Gesundheitsraum“ mit 200 PS konnte schließlich – nach wochenlangem Ringen um einen geeigneten szenenahen Standplatz – viermal die Woche für mehrere Stunden unweit der U-Bahnstation Legienstraße seine Türen öffnen. Danach musste der Bus wieder weggefahren werden.

Anwohner_innen machen mobil

Für freiraum hamburg war dies freilich die „denkbar schlechteste Lösung“ und „Ausdruck der Verweigerung der Gesellschaft, sich der Probleme der HeroinkonsumentInnen offensiv zu stellen“, wie es in einer Pressemitteilung anlässlich der Eröffnung hieß.

Nicht nur potenzielle Vermieter_innen hatten etwas gegen das Projekt, auch Bewohner_innen rund um den Busstandplatz machten mobil.

Zwar hatte man vorausschauend bereits vor der Eröffnung mit einem Flugblatt versucht, die Vorbehalte der Bürger_innen auszuräumen: Allein das Angebot, gebrauchte Spritzen gegen neue zu tauschen, würde zu weniger achtlos weggeworfenen Spritzen führen.

Dennoch befürchteten Anwohner_innen, dass der Bus Junkies und Dealer anziehen werde und in ihrem Kiez Prostitution und Kriminalität zunehmen könnten.

Auch ein mobiler Drogenkonsumraum bleibt ein Problem für die Justiz

„Anfangs hieß es immer, der Junkiebus muss weg. Dann aber stellen die Anwohner fest: Dem Stadtteil geht es nur gut, wenn es auch den Junkies gut geht“, erzählt der heutige Geschäftsführer von freiraum hamburg, Urs Köthner.

Trafen sich bei einer ersten Demonstration noch 50 Billstedter_innen vor dem umstrittenen Bus, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen, waren es bei einer zweiten nur noch eine Handvoll.

„Dem Stadtteil geht es nur gut, wenn es auch den Junkies gut geht“

Der Schulterschluss zwischen Politik, Facheinrichtungen und Organisationen wie freiraum hamburg sowie Initiativen aus der Bürgerschaft konnten allerdings nicht verhindern, dass weiterhin auch die Justiz ihre Probleme mit dem Projekt hatte.

Bereits zwei Tage nach der Eröffnung wurde die Hamburger Staatsanwaltschaft aktiv und leitete gegen die Gesundheitssenatorin ein „Vorermittlungsverfahren“ ein. Dabei sollte geprüft werden, ob sie mit dem Drug-Mobil gegen den Paragrafen 29 des Betäubungsmittelgesetzes verstoßen habe. Er sah eine Freiheitsstrafe vor, wenn jemand „einem anderen eine Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln verschafft oder gewährt“.

Die Politik steht weiterhin hinter Drogenkonsumräumen

Wirklich überrascht zeigte sich Helgrit Fischer-Menzel von diesem Vorermittlungsverfahren nicht: „Wenn man gesellschaftlich etwas verändern will, muss man auch in rechtliche Grauzonen hineingehen und etwas ausprobieren“, sagte sie damals. Man könne nicht immer so lange warten, bis juristisch alles ganz eindeutig geklärt sei.

„Wir müssen leider ein Gesetz anwenden, das Leben kosten kann“, entschuldigte Generalstaatsanwalt Arno Weinert damals gegenüber der taz das Vorgehen, hatte er sich doch selbst für die Einrichtung solcher Gesundheitsräume stark gemacht.

„Wir müssen leider ein Gesetz anwenden, das Leben kosten kann“

Für die Senatorin ging die Sache gut aus, Mitarbeiter_innen von freiraum hamburg e.V. allerdings wurde in den Folgejahren immer wieder von der Justiz behelligt. Alle Klagen aber konnten, so Urs Köthner, letztlich abgewendet werden. Viel wichtiger: „Die Politik stand weiterhin hinter dem Projekt.“

Das Drug-Mobil blieb eine Notlösung

Dennoch hat der Verein versucht, sich durch alle Instanzen zu klagen und dadurch aus dem juristischen Graubereich zu kommen. „Doch als klar war, dass es eine bundesweite Einigung geben soll, wurde das nicht weiterverfolgt und man wollte lieber auf diese Regelung warten“, erzählt Köthner.

Das Drug-Mobil blieb eine Notlösung. Auf kleinstem Raum wurden Spritzen getauscht, es wurde geklönt, verarztet, beraten und – wenig überraschend – fast gar nicht gedrückt. „Man muss seitens der BesucherInnen schon viel Toleranz und Langmut entwickeln, ist der Bus doch derart eng, dass ständig drei vier ‚Sozialnasen‘ um die Gäste herumlaufen“, fasste ein Mitarbeiter die Erfahrungen aus einem Jahr „Drug-Mobil“ zusammen. „Eine wirklich niedrigschwellige Café-Atmosphäre ist unter solchen Bedingungen nur sehr eingeschränkt machbar.“

Unterdessen wurden ganz nach Plan mit „Abrigado“ und „Fixstern“ weitere dezentrale Gesundheitsräume in Hamburg eröffnet, nun auch tatsächlich in Immobilen und nicht auf Rädern.

Kurzer Ausflug nach Bremen

Die Räder hatten allerdings auch einen Vorteil: Im Sommer 1997 machte das „Drug-Mobil“ einen Ausflug über die Stadtgrenze nach Bremen, um auch den dortigen Drogengebraucher_innen den Besuch des Gesundheitsraumes zu ermöglichen.

„Die Gesundheit der Bevölkerung könnte durch Fixerstuben Schaden nehmen“

Die Bremer Innenbehörde setzte der vor allem symbolischen und politischen Aktion aber schnell ein Ende.

„Die Gesundheit der Bevölkerung sowie die körperliche Integrität und das Leben des Einzelnen könnten durch Fixerstuben Schaden nehmen. Vor diesen Gefahren ist die Allgemeinheit zu schützen“, argumentierte das Bremer Stadtamt.

Einmal mehr wurde deutlich, wie fortschrittlich der Hamburger Senat seinerzeit war.

Niedergang des Drug-Mobils unter neuem Senat

Nach dem überraschenden Wahlerfolg der Partei Rechtsstaatliche Offensive im Jahr 2001 änderte sich unter dem neuen Innensenator Ronald Schill allerdings die Drogenpolitik der Hansestadt. In der Folge verlor freiraum hamburg e.V., der das Drug-Mobil aufgebaut und bis dahin betrieben hatte, die Trägerschaft.

„Übernommen hat ein Billiganbieter aus Bremen, der das Projekt nach einem Jahr in den Sand setzte“, erläutert Köthner.

Das Drug-Mobil und damit auch der Gesundheitsraum in Billstedt waren damit Geschichte.

Verschrottet wurde das Gefährt allerdings nicht. Es soll, zumindest noch eine ganze Weile, in Dänemark unterwegs gewesen sein – auch dort als rollender Drogenkonsumraum.

Weitere Informationen:

Infos über Drogenkonsumräume mit einer interaktiven Karte der Standorte in Deutschland und Veröffentlichungen finden sich unter www.drogenkonsumraum.net.

Norbert Dworsky und Rainer Schmidt: Druck im Quartier. Erfahrungen mit Fixerräumen. Herausgegeben von freiraum hamburg e. V. Neumünster: Paranus Verlag 1999 (online verfügbar unter http://www.freiraum-hamburgev.de/img/buch.pdf)

Daten und Fakten zur Drogenpolitik um die Jahrtausendwende. Drogenstatistiken einmal genauer betrachtet. Eine Auswertung und Zusammenstellung von Hans Cousto. Herausgeber: Eve&Rave e.V. Berlin. Berlin: 2000. Online verfügbar unter https://www.eve-rave.net/abfahrer/download/eve-rave/politics114.pdf

Bericht im SPIEGEL (Nr. 10/1994) über den „Drogenbus“

Beitrag auf swissinfo.ch zum ersten „Fixerstübli“ in der Schweiz, das bereits 1986 in Bern eröffnet wurde

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