Interview

„Auch Aidshilfe lebt von der Vielfalt“

Von Axel Schock
Omer Idrissa Ouedraogo auf dem Empfang zu 40 Jahre DAH im Herbst 2023 (Bild: DAH / Brigitte Dummer)

Von der Spree an die Alster: Mit dem neuen Jahr ist der bisherige DAH-Fachreferent für Migration Omer Idrissa Ouedraogo zur Aidshilfe Hamburg gewechselt, um dort die Geschäftsführung zu übernehmen. Im Gespräch erläutert er, welche Bedeutung Vielfalt, Antirassismus und Partizipation für die Aidshilfearbeit haben.

Es waren zwar lediglich zwei Jahre, die Omer Idrissa Ouedraogo als Fachreferent für Migration und als Teamleiter für die Bereiche Migration, Sexarbeit, Drogen und Haft in der DAH-Bundesgeschäftsstelle in Berlin beschäftigt war. Doch in dieser vergleichsweise kurzen Zeit hat Omer Idrissa Ouedraogo nicht nur in seinem Fachbereich Entscheidendes auf den Weg gebracht, sondern auch der DAH und ihren Mitgliedsorganisationen wichtige Impulse geschenkt. Seit Jahresbeginn ist der aus Burkina Faso stammende Ouedraogo wieder zurück in seiner Wahlheimat Hamburg und hat dort die Geschäftsführung der dortigen Aidshilfe übernommen.

Ein Gespräch über die Erfahrungen aus seiner Zeit in der Bundesgeschäftsstelle, über Kontinuitäten und gelebte Partizipation.

Jörg Korell hat die Aidshilfe Hamburg 23 Jahre als Geschäftsführer mit aufgebaut und dementsprechend auch geprägt. Fällt es dir schwer, nun in solche Fußstapfen zu treten?

Die Position des Geschäftsführers ist zwar neu für mich, die Aufgaben und Themen, die mich erwarten, hingegen sind es weniger. Eine Premiere für mich sind vor allem die große Verantwortung, die ich nun habe, und die Größe des Teams, das ich leite.

Die Hamburger Aidshilfe wurde von Jörg Korell sehr gut aufgestellt. Das erleichtert mir die Arbeit natürlich sehr, bringt aber auch eine große Herausforderung mit sich. Ich weiß, dass ich ihn nicht einfach so ersetzen kann, aber ich werde die Arbeit in seinem Sinne fortführen können. Ich stehe dazu bereits intensiv mit dem Team im Austausch: Was lief gut und was können wir gemeinsam noch verbessern? Wo gilt es neue Prioritäten zu setzen?

Ich muss also, um im Bild zu bleiben, keine Angst vor Jörgs Fußstapfen haben, aber ich werde den Weg mit eigenen Schritten fortsetzten.

Inwieweit möchtest du in der Arbeit der Hamburger Aidshilfe eigene Schwerpunkte setzen?

Die Frage nach meinen Plänen und Visionen wird mir häufig gestellt. Die Strukturen sind zwar andere, aber fachlich und inhaltlich mache ich dort weiter, wo ich in der Bundesgeschäftsstelle aufgehört habe. Natürlich habe ich eigene Vorstellungen, aber mir ist es wichtig, erst einmal mit dem Team Ideen zusammenzutragen und gemeinsam zu schauen, wohin die Reise gehen soll. Es dürfte Konsens sein, dass wir die Präventionsarbeit ausbauen und gemeinsam mit den anderen Akteur*innen in Hamburg die Versorgungslücken schließen möchten. Das gilt auch für den Kampf gegen Diskriminierung und die Auseinandersetzung mit Rassismus. Wir sehen ja alle, wie die Lage derzeit in Deutschland ist. Es geht also darum, wie wir unser Deutschland gemeinsam neu und vielfältig gestalten. Denn auch Aidshilfe lebt von der Vielfalt. Für mich als Leiter der Aidshilfe Hamburg hat aber auch die ehrenamtliche Arbeit einen besonderen Stellenwert. Denn wir sollten nie vergessen: Die Aidshilfe hat ihre Wurzeln in der der Selbsthilfe. Wir möchte daher die Selbsthilfe unterstützen und auch das Ehrenamt fördern.


Wir haben es geschafft, dass sich die DAH im Bereich der Antidiskriminierung und der Antirassismusarbeit ganz offiziell sehr deutlich positioniert.

Dem Team der DAH-Geschäftsstelle hast du nur wenig mehr als zwei Jahre angehört, aber sehr viel bewirken können.

Im Rückblick bin ich selbst überrascht, was ich mit meinem Team und meinen Kolleg*innen in dieser vergleichsweise kurzen Zeit in der DAH erreicht habe – gerade auch im Bereich der Antidiskriminierung und der Antirassismusarbeit. Das sage ich durchaus mit Stolz. Wir haben es geschafft, dass sich die DAH hier ganz offiziell sehr deutlich positioniert hat.

Du hattest nicht nur durch deine Arbeit, sondern auch durch deine Persönlichkeit große Wirkung auf deine Kolleg*innen in der Bundesgeschäftsstelle. War dir das eigentlich bewusst?

Ich habe das tatsächlich erst bei der Verabschiedung realisiert. Und da sind manche Tränen geflossen (lacht). Die Entscheidung, von der DAH wegzugehen und die Stelle in Hamburg anzunehmen, war von gemischten Gefühlen begleitet. Ich habe einfach gemacht, was ich machen konnte, und habe mich als der Mensch eingebracht, der ich bin. Ich bin offen gegenüber jeder*m und versuche, von anderen zu lernen. Denn wir sind zwar alle verschieden und haben unterschiedliche Fähigkeiten, aber gemeinsam können wir etwas schaffen. Dabei spielt auch das positive Miteinander jenseits der fachlichen Qualitäten eine wichtige Rolle. Aidshilfen verfügen über eine Vielfalt an Ressourcen, auf die wir zurückgreifen und mit denen wir unsere Arbeit voranbringen können.

Während deiner Zeit als Referent für Migration ist es dir unter anderem gelungen, die afrikanische Community mehr denn je für die Mitarbeit in der Selbsthilfe zu motivieren und einzubinden.

Ich bin bereits seit 2007 in den verschiedensten Kontexten in diesen Communitys unterwegs und deshalb auch sehr eng vernetzt und eingebunden. Die Communitybeteiligung spielt eine ganz wichtige Rolle. Wenn wir mitreden und mitwirken können, zum Beispiel beim Aufbau und Ausbau von Präventionsangeboten, können wir auch etwas erreichen. Diese Erfahrung hatte ich bereits als Praktikant in der Aidshilfe Hamburg gemacht. Später hatte ich dort dann eine Stelle als Sozialpädagoge angenommen und in diesem Rahmen bis 2017 unter anderem Gesundheitsbotschafter*innen der Migrant*innen-Community fachlich begleitet.

Danach bin ich zur AWO gewechselt, aber war weiterhin als ehrenamtlicher Helfer mit dem von mir mitgegründeten Café Afrika mit der Aidshilfe Hamburg verbunden.

Ich hatte also rund 15 Jahre Erfahrung mit Communitybeteiligung als ich von Hamburg zur DAH nach Berlin wechselte und konnte direkt daran anknüpften. Ich hatte zudem auch schon 2011 mit AGHNiD (Afrikanisches Gesundheits- & HIV Netzwerk in Deutschland) ein nationales Netzwerk gegründet und viele Jahre ehrenamtlich begleitet.

Omer Idrissa Ouedraogo (Foto: Christian Giebel)

Bei den Positiven Begegnungen in Duisburg 2023 etwa waren so viele Menschen aus dieser Community dabei wie nie zu vor. Wie hast du das geschafft?

Auch dort spielte die Beteiligung eine entscheidende Rolle. Und auch, dass wir im Vorfeld offen über Mehrfachdiskriminierung von nicht-weißen Menschen mit HIV gesprochen haben. Oder anders formuliert: über Rassismus innerhalb der Aidshilfen und der HIV-Communitys. Die PoBe-Vorbereitungsgruppe hatte diese Themen von Anbeginn an im Blick. Ich hoffe, dass diese Haltung wie auch die Partizipation weiterentwickelt werden – und so auch künftig Menschen anderer Hautfarbe und anderer Religion ihre Stimme erheben und sich beteiligen können.

Was möchtest du deinen DAH-Kolleg*innen auf den Weg geben? Was sollten sie unbedingt weiterführen?

Zum einen wünsche ich mir, dass sie das persönliche Miteinander weiter fördern und als wichtige Ressourcen sehen. Denn eine gute Stimmung führt auch zu einer guten Arbeit. Im Bereich der Migrationsarbeit wünsche ich mir, dass tatsächlich auch umgesetzt wird, was wir im Positionspapier „Aidshilfen gegen Rassismus“ festgeschrieben haben. Das bedeutet zum Beispiel, dass dieses Thema bei allen Seminaren, Fortbildungen und Veranstaltungen der DAH selbstverständlicher Teil ist. Ich werde das Positionspapier auch für meine Arbeit in Hamburg nutzen.


Die positiven Rückmeldungen in Berlin haben mich darin bestärkt, auch in Hamburg die gleiche Offenheit im Umgang miteinander zu pflegen.

Gibt es etwas, das du in diesen zwei Jahren in der Geschäftsstelle gelernt hast, ganz persönlich oder auch fachlich, das dir nun in deiner neuen Aufgabe hilfreich sein könnte?

Die positiven Rückmeldungen in Berlin haben mich darin bestärkt, auch in Hamburg die gleiche Offenheit im Umgang miteinander zu pflegen. Fachlich habe ich gelernt, Jahresplanungen partizipativ umzusetzen und einen größeren Haushalt zu verantworten. Dazu gehören auch das Schreiben von Förderanträgen und der Umgang mit Zuwendungsgeber*innen. Alle, die damit schon zu tun hatten, wissen, dass dies manchmal eine Wissenschaft für sich sein kann. Dafür war die Zeit in der DAH eine gute Schule (lacht). Und nicht zuletzt werde ich vom Netzwerk profitieren, das ich über die Zeit weiter ausbauen konnte.

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