Kunst in Zeiten von Aids

Kreative Wut

Von Axel Schock
Frank Wagner
David Wojnarowicz on Hudson River pier (Foto: The estate of Ivan Dallatana Courtesy the Estate of David Wojnarowicz und P·P·O·W Gallery New York)
Kunst an der Schnittstelle von Aids-Aktivismus und politischem Handeln: Das Berliner KW Institute widmet den Kunstschaffenden Frank Wagner, David Wojnarowicz und Reza Abdoh drei parallele Ausstellungen.

Viele Dutzend Kunstausstellungen hat Frank Wagner im Laufe von drei Jahrzehnten konzipiert und realisiert – unter anderem in Köln und Genf, im niederländischen Amstelveen und in Dubai.

Vor allem aber in seiner Wahlheimat Berlin hat er wegweisende und international beachtete Ausstellungen kuratiert. Ausstellungen, bei denen er – mit künstlerischen Mitteln und manchmal geradezu visionär – zum Beispiel zur Auseinandersetzung mit Rassismus und Homophobie, alltäglicher Gewalt, Geschlechter(un)gleichheit und Sexualität herausforderte. Als schwuler Mann und selbst HIV-infiziert wagte er 1988 mit „Vollbild Aids – eine Ausstellung über Leben und Sterben“ die erste europäische Kunstausstellung zu diesem Thema.

In den USA hatte Frank Wagner bereits Mitte der 80er-Jahre erlebt, wie Künstler_innen und Kollektive wie Gran Fury und Group Material sich selbstverständlich auch als Aids-Aktivist_innen verstanden. Dass deren Arbeiten so früh bereits in Deutschland zu sehen waren, ist eines der großen Verdienste Wagners.

Künstler_innen sahen sich selbstverständlich auch als Aids-Aktivist_innen

Das Thema HIV/Aids und die Folgen hat Wagner bis zu seinem Tod im Jahr 2016 intensiv verfolgt. Mit der Ausstellung „LOVE AIDS RIOT SEX – Kunst AIDS Aktivismus 1987–2014“ in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (nGBK) in Berlin konnte Wagner noch einmal wesentliche Hauptwerke mit Arbeiten junger Künstler_innen in einer großen Schau zusammenführen.

Viele, die in der Hochphase der Epidemie ihre Wut in Kreativität verwandelt hatten, waren da bereits verstorben. Einige von ihnen, etwa David Wojnarowicz oder den Künstler Félix Gonzáles-Torres, hat Wagner nach ihrem Tod mit Werkschauen würdigen können.

Ebenfalls für die nGBK konzipierte er von 1997 bis 2003 mit „Unterbrochene Karrieren“ sogar eine eigene Reihe über Künstler_innen und Kulturvermittler_innen, deren Leben und Werk durch Aids zu früh beendet wurden.

Hommage an Frank Wagner

Und nun ist Frank Wagner selbst eine Hommage gewidmet.

Doch wie stellt man eigentlich das Werk eines Kurators aus, der selbst keine Kunstwerke schuf, sondern solche in Beziehungen setzte? Der, wie im Fall von Frank Wagner, Talente bereits sehr früh entdeckt, Karrieren gefördert und Künstler_innen bis zu ihrem Weltruhm begleitet hat?

Oder anders gefragt: Was bleibt von einem Menschen wie dem Netzwerker und Kunstvermittler Frank Wagner?

Zum einen eine mehrere Tausend Kunstkataloge umfassende Bibliothek, viele Tausend Fotos, Projektunterlagen, Briefwechsel mit Künstler_innen. Und jede Menge Kunst.

In einer Wohnung im Vorderhaus des KW Institute for Contemporary Art stehen nun die rund 70 Kisten Nachlass ordentlich beschriftet. Ein kleiner Teil davon hängt dicht gedrängt in den verschiedenen Zimmern.

Über 900 Künstler_innen hat Wagner ausgestellt

Dokumentarische Fotos von Wagners Ausstellungsprojekten ziehen sich als Zeitleiste und verbindendes Element durch die verschiedenen Räume. Darum herum und hoch bis an die Decke exemplarische Porträts und Werke jener Künstler_innen, die für ihn von besonderer Bedeutung waren.

Über 900 Künstler_innen hat Wagner im Laufe seiner Karriere ausgestellt, mit rund 100 immer wieder gearbeitet und ihre Entwicklung begleitet. Wie intensiv diese Arbeitsfreundschaften waren, ist am Beispiel von Félix Gonzáles-Torres aufgeblättert.

Poetische Metaphern für Trauer und Verlust

Der New Yorker Künstler hatte poetische Metaphern gefunden, um künstlerisch auf den Verlust seines Lebensgefährten und seiner Freunde zu reagieren. 1996 verstarb er selbst an den Folgen von Aids. Auf einem Tisch sind nun Briefe, Postkarten und Fotogrüße von Gonzáles-Torres ausgebreitet, aber auch die Todesnachricht seiner Familie.

Eine liebevoll und im Detail sehr erfindungsreich gestaltete Hommage

Die Gedenkausstellung „Ties, Tales, Traces. Dedicated to Frank Wagner, Independent Curator (1958–2016)“ gibt in erster Linie einen Gesamtüberblick über Wagners kuratorische Arbeit und die dadurch entstandenen Querverbindungen in der Kunstwelt über die Kontinente hinweg.

Kann man also das Werk eines Kurators ausstellen?

Die liebevoll und im Detail sehr erfindungsreich gestaltete Hommage zeigt, dass das tatsächlich geht; und überraschenderweise sind der Geist, die Persönlichkeit, das Denken Frank Wagners sicht- und spürbar.

Doch lohnenswert ist diese Schau auch für Besucher_innen, die den Kunstbetrieb und die zitierten Ausstellungen nicht besehen oder den schlaksig-hochgewachsenen Frank Wagner nie kennengelernt haben. Weil er Themen wie Aids, Gender, marginalisierte Sexualität und LGBTIQ* kontinuierlich künstlerisch befragt hat, bestimmen sie auch diese Memorial-Ausstellung.

Aids, Gender, marginalisierte Sexualität

Da gibt es beispielsweise Peter Knochs puppenstubenartigen Nachbau der New Yorker „Stonewall Bar“ und jede Menge intelligenten, schwulen Kunstnippes.

Robert Mapplethorpes spätes Selbstbildnis mit Totenkopf hängt nur wenige Meter entfernt von Aron Neuberts Porträt des bereits schwer erkrankten Fotografen Jürgen Baldiga und den Fotos von Hunter Reynolds Drag-Performances.

Und es fehlen auch nicht die Relikte amerikanischer ACT UP-Gruppen wie das emblematische „Silence = Death“-Logo.

Die Art und Weise, wie im New York der 80er-Jahre neue, radikale und eben auch künstlerische Formen des Homo- und Aids-Aktivismus entstanden, hatte Frank Wagner nachhaltig beeindruckt. Recht schnell brachte er Künstler_innen nach Deutschland, darunter auch David Wojnarowicz.

Ihm, wie dem ebenfalls an den Folgen von Aids verstorbenen Reza Abdoh, widmet das KW Institute begleitend zur Frank-Wagner-Ausstellung umfangreiche Einzelschauen.

Skandalumwitterte Bühnenspektakel

Der iranisch-amerikanische Theatermacher Reza Abdoh (1963–1995) wurde bekannt durch skandalumwitterte Bühnenspektakel, in denen er sich immer wieder auch mit den politisch-sozialen Verwerfungen der US-Gesellschaft auseinandersetzte. Auf zwei Etagen können diese Inszenierungen, wenn auch nur in Form von Videoinstallationen, nun (wieder)entdeckt werden.

Die Aids-Diagnose hat sie radikaler und kompromissloser werden lassen

Mit Wojnarowicz verbindet Abdoh nicht nur die Erfahrungen als Stricher, die Aids-Diagnose hat bei beiden die künstlerische Arbeit radikaler und kompromissloser werden lassen.

Wie viele andere Künstler_innen seiner Generation ergab sich Wojnarowicz in den Hochzeiten von Aids nicht seiner Trauer, Wut und Verzweiflung, sondern nutzte sie als kreative Mittel. Diese umfangreiche Schau seiner fotografischen und filmischen Arbeiten aus 14 Jahren ist ein Bombardement der Schreckensbilder.

Wut auf die Ignoranz der Gesellschaft

Auf großen Leinwänden zucken und flimmern schnell geschnittene apokalyptische Szenen, Bildmontagen voll Sex, Tod, Gewalt, Angst, Panik und Wut. In Wojnarowiczs Fotografien und Videoinstallationen ist der existenzielle Ausnahmezustand, in dem sich die schwule und HIV-Community in den späten 80ern und Anfang der 90er-Jahre befanden, komprimiert und archiviert. Es ist noch keine zehn Jahre her, dass seine Kunstvideos in den USA von Ausstellungen entfernt wurden, weil sie als pornografisch und blasphemisch galten.

Manches mag für die Besucher_innen verrätselt erscheinen, die Stimmung und Emotionen aber angesichts der Ignoranz der Gesellschaft gegenüber Aids, dem Schrecken und dem Horror des Sterbens übermitteln sich unweigerlich. Das Video eines küssenden Männerpaars benötigt keinerlei Erläuterung. Anderes erhält erst im Zusammenhang seine besondere Wucht.

Wie verletzlich und in sich ruhend David Wojnarowicz auf den reduzierten, klaren Schwarz-Weiß-Porträts des Mode- und Prominentenfotografen Peter Hujar erscheint. Im Raum daneben hängen die letzten Bilder, die Wojnarowicz von seinem Freund und ehemaligen Liebhaber gemacht hat: Auf einem ist nur die Hand zu sehen, andere zeigen sein Krankenhausbett und das Gesicht des in Agonie liegenden Hujar.

Einen Raum weiter auf einem Bildschirm: Videoaufnahmen von der rituellen Zeremonie bei der öffentlichen Auslegung des Aids-Quilts. Das Gedenktuch für Peter Hujar hatte Wojnarowicz selbst gestaltet. Er überlebte ihn nur um fünf Jahre.

 

„Ties, Tales and Traces. Dedicated to Frank Wagner, Independent Curator (1958-2916)”, „David Wojnarowicz: Photography & Film 1978–1992“ sowie die Ausstellung mit Arbeiten von Reza Abdoh sind bis zum 5. Mai 2019 im KW Institute for Contemporary Art, Auguststraße 69, 10117 Berlin zu sehen. Informationen zu dem umfangreichen Begleitprogramm, unter anderem Performances in der Volksbühne sowie eine Wojnarowicz-Lesung im Buchladen Eisenherz, auf www.kw-berlin.de

Begleitend zu „Ties, Tales, Traces. Decicated to Frank Wagner” zeigt der Fotograf Wolfgang Tilmanns bis zum 16. März 2019 in seiner Galerie „Between Bridges“ Kunstwerke aus Frank Wagners Nachlass. U. a. Arbeiten von Félix Gonzáles-Torres, Group Material, Rinaldo Hopf, Hunter Reynolds, Bruce LaBruce und Marc Brandenburg.
Galerie Between Bridgese, Keithstr. 15, 10827 Berlin-Schöneberg.
Nähere Informationen unter www.betweenbridges.net

 

Weiterführende Beiträge auf magazin.hiv:

Sichtbarkeit gegen Tabus unseres Denkens – Ulmann Hakert erinnert an Frank Wagner  (19.11.2016)

Kunst Macht Politik (Interview mit Frank Wagner, 29.12.2013)

Sex, Aids und Wut (über die Ausstellung „LOVE AIDS RIOT SEX“, 16.11.2013)

Aids-Kunst in Zeiten der HAART (über den zweiten Teil der Ausstellung „LOVE AIDS RIOT SEX“, 20.1.2014)

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