Weltweit steigen die Zahlen bei sexuell übertragbaren Infektionen. Zugleich scheint bei den Tests auf Geschlechtskrankheiten die Frage zu sein: Darf’s ein bisschen mehr und öfter sein? Gesund ist das nicht, sagt Armin Schafberger, Medizinreferent der Deutschen Aidshilfe.

Richtig ist: Mit einem HIV-Test sollte man nicht zu lange warten. Denn die HIV-Infektion kann jahrelang symptomlos verlaufen.

Wenn Symptome sich bemerkbar machen, ist das Immunsystem schon stark geschädigt, und es können lebensbedrohliche Krankheiten auftreten.

Je mehr man testet, desto mehr findet man

Deshalb gilt, dass man sich regelmäßig auf HIV testen lassen sollte, wenn die Möglichkeit einer Ansteckung besteht – einmal im Jahr reicht aus, um Schlimmes zu verhindern.

Bei Syphilis liegt die Sache ähnlich.

Häufigere Tests durch die HIV-PrEP

Mit der Einführung der medikamentösen HIV-Prophylaxe PrEP wurde zur Kontrolle die vierteljährliche Testung auf HIV eingeführt.

Hier geht es darum, eine HIV-Infektion so früh wie möglich zu erkennen, falls sich User_innen trotz PrEP infiziert haben sollten – man will dann eine Resistenzbildung durch eine unzureichende „Therapie“ mit den beiden PrEP-Wirkstoffen verhindern.

Und weil man dann gerade dabei ist – und Menschen „mit substanziellem HIV-Risiko“, so die Zielgruppe der PrEP, allen Daten zufolge auch ein erhöhtes Risiko für andere Geschlechtskrankheiten haben –, empfiehlt man, regelmäßig auf andere Geschlechtskrankheiten (Syphilis, Chlamydien, Gonorrhö) mitzutesten.

Ob die vierteljährliche Testung die Zahl der Infektionen langfristig reduzieren kann, ist noch nicht ausgemacht. Kurzfristig sieht es eher so aus, dass die Geschlechtskrankheiten nicht sinken oder sogar steigen.

Immer mehr diagnostizierbare Erreger

Früher war weniger Lametta…

Neue diagnostische Verfahren ermöglichen es, mit einem Schleimhautabstrich gleich auf 10 oder sogar 26 Geschlechtskrankheiten zu testen.

Neben Chlamydien und Gonokokken bieten die Labore nun auch den simultanen Check auf Mykoplasmen (M. genitalium und M. hominis), Ureaplasmen, Herpes simplex 1 und 2, Trichomonaden und andere Erreger von Geschlechtskrankheiten an.

Aber wozu ist das gut? Selbst die meisten Ärzt_innen kennen nicht so viele Geschlechtskrankheiten.

Je häufiger man testet, desto häufiger werden auch falsch positive Tests und unnötige Behandlungen

Das Problem: Je mehr man testet, desto mehr findet man.

Wenn man zusätzlich zu Gonokokken und Chlamydien auch auf Mykoplasmen testet, wird man bei über 20 Prozent der sexuell aktiven Menschen auch fündig. Nimmt man weitere Erreger dazu, lässt sich die „Trefferquote” noch deutlich erhöhen.

Und wenn man all diese Befunde mit Antibiotika behandelt, steigert man den Verbrauch immens – mit zweifelhaftem Nutzen.

Immer empfindlichere Tests

Für Abstrichuntersuchungen auf Gonokokken, Chlamydien, Mykoplasmen und andere Erreger werden Nukleinsäuretests eingesetzt. Diese sind so empfindlich, dass sie auch bei bedeutungslos wenigen Erregern oder sogar schon abgestorbenen Erregern anschlagen.

Es gibt bei der Methode also immer auch falsch positive Tests.

Und je häufiger man testet, desto häufiger sind falsch positive Tests und unnötige Behandlungen mit Antibiotika.

(Dies gilt nicht für die Bluttests auf HIV und Syphilis.)

Immer alle Abstrichorte?

Früher waren Geschlechtskrankheiten noch Geschlechtskrankheiten – und wurden nur „dort“ gesucht, also an den Geschlechtsorganen.

Wir wissen aber, dass Erreger sich auch im Rachen und im Enddarm finden. Dort sind sie zwar in weit über 90 Prozent der Fälle symptomlos und verschwinden von selbst wieder, doch suchen wir sie im Enddarm aber aus gutem Grund: Eine rektale Entzündung durch eine bakterielle Geschlechtskrankheit kann das Risiko für eine HIV-Übertragung erhöhen.

Gonokokken können bereits durch intensive Zungenküsse übertragen werden. Soll man sich jetzt nach dem Küssen testen lassen?

Im Rachen dagegen wird nur deshalb nach Erregern gesucht, damit sie nicht vom Rachen auf andere übertragen werden. Den Schaden (durch das Antibiotikum) hat also die getestete Person, den Nutzen haben die Sexualpartner_innen.

Neuere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Gonokokken im Rachen bereits durch intensive Zungenküsse übertragen werden können. Aber was ist die Konsequenz – soll man sich nach dem Küssen testen lassen? Oder aufs Küssen verzichten?

Darf es ein bisschen mehr sein? Wozu?

Immer mehr, immer häufiger, immer empfindlicher, immer alles?

Was ist das Ziel? Geht es darum, das Auftreten von Geschlechtskrankheiten in bestimmten Gruppen zu verringern – oder geht es darum, Schaden von dem_der Einzelnen abzuwenden?

Das gilt es abzuwägen.

Denn der Einsatz von Antibiotika hat Folgen, für die Einzelnen wie für die Allgemeinheit.

Für die Einzelnen: Während die Behandlung von Chlamydien mit dem relativ nebenwirkungsarmen Doxycyclin möglich ist, muss man die Behandlung von Mykoplasmen aufgrund von Resistenzen oft Moxifloxycin einsetzen – ein Antibiotikum, bei dem schwere und zum Teil lebensbedrohliche Nebenwirkungen auftreten können.

Je mehr Antibiotika, desto mehr Resistenzen

Dabei sind Mykoplasmeninfektionen in den allermeisten Fällen symptomlos und heilen von selbst aus. Mit einer Therapie kann man also einen gesunden Menschen krank machen.

Und auch für die Allgemeinheit hat der Einsatz von Antibiotika Folgen.

Als Grundregel gilt: je mehr Antibiotika, desto mehr Resistenzen. Weltweit gilt es daher, den Einsatz von Antibiotika zu beschränken. Mit einer exzessiven Teststrategie allerdings erreichen wir genau das Gegenteil: der Einsatz von Antibiotika steigt.

Tests auf Geschlechtskrankheiten: Allzu viel ist ungesund

Geschlechtskrankheit ist nicht gleich Geschlechtskrankheit.

Es ist unzweifelhaft sinnvoll, HIV- und Syphilis-Infektionen zu verhindern oder möglichst frühzeitig zu erkennen, denn die Schäden durch unerkannte Infektionen sind groß.

Bei den Abstrich-Untersuchungen dagegen ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Allzu viel ist ungesund. Mehr Tests und häufigere Tests verursachen mehr Antibiotikaeinsatz bei klinisch Gesunden und mehr Resistenzen. Das ist schädlich für die Gesundheit der_des Einzelnen und auch für die Allgemeinheit.

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„Es ist immer wichtig, für ein Gespräch offen zu bleiben“

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Armin Schafberger

Armin Schafberger ist Arzt und Master of Public Health, Trainer und freier Autor.

1 Kommentar

  1. Der allseitsbekannte Aids-Aktivist und DAH-Ehrenmitglied Bernd Aretz pflegte immer zu sagen: „Gesund ist nur, wer noch nicht auf Abweichung untersucht worden ist!“
    Wer sich also weniger untersuchen lässt, lebt gesünder?!

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