Reden über Rassismus: Ahmed Awadalla arbeitet bei der Berliner Aids-Hilfe unter anderem in der Beratung und Präventionsarbeit für Migrant_innen. Er schrieb den folgenden Text zum Internationalen Tag gegen Rassismus 2020.* Jump to English version

Ein Freund von mir fragte mich, wieso ich so viele Facebook-Posts über Rassismus mache. Er hat recht.

Ich denke und rede sehr viel über Rassismus. Nicht erst, seitdem ich nach Deutschland eingewandert bin. Es hat mich schon lange vorher beschäftigt.

Anfangs dachte ich, vielleicht ist es normal, sich vor Muslim_innen zu fürchten

Das erste Mal habe ich antimuslimischen Rassismus selbst erfahren, als ich 2009 in Großbritannien lebte. Zu dieser Zeit war Islamophobie in Ägypten zwar ein Thema, aber dort hatte ich mich nicht kritisch damit auseinandergesetzt.

Ich dachte, vielleicht ist es normal, sich vor Muslim_innen zu fürchten – insbesondere im Westen. Ich dachte, das sei eine Reaktion auf die Anschläge vom 11. September. Ich war wütend wegen der Korruption der religiösen Institutionen in Ägypten und weil Religion missbraucht wurde, um die Unterdrückung anderer zu rechtfertigen.

Nachdenken über Rassismus: Vorurteile können tödlich sein

In London habe ich mit einem Briten zusammengelebt, der nicht aufhören konnte, mich als Muslim zu behandeln, obwohl ich immer wieder betonte, dass ich mich nicht als Muslim identifiziere.

Er erwartete von mir ständig, dass ich den Islam und meine Positionen dazu erkläre, redete immer über halal Essen und machte Witze über Frauen mit Hijab.

Einmal war ich mit einer Freundin von mir in seiner Wohnung, als eine Freundin von ihm dazukam. Als sie sah, dass meine Freundin einen Hijab trug, fing sie an, sich aufzuregen. Sie erzählte ihr, wie schlimm der Islam sei, dass Mohammed ein Kinderschänder gewesen sei und sie an Jesus glauben müsse, um gerettet zu werden.

Die Ironie war, dass meine Freundin sich als Agnostikerin identifiziert und die Kopfbedeckung aus komplexen Gründen trägt, die diese Frau nicht verstehen könnte oder die sie nicht interessieren würden.

Das führte mich zu der Feststellung, dass diese Angst nicht rational sein kann. Ich weiß nicht, ob man sie überhaupt Angst nennen sollte. Es waren vielmehr Vorurteile und Hass.

Entmenschlichende Bilder von Muslim_innen sind weit verbreitet

Ich dachte weiter über die möglichen Konsequenzen dieser Vorurteile nach, als Marwa El-Sherbini 2009 in Dresden von einem Neo-Nazi ermordet wurde. Nach diesem schockierenden Mord erkannte ich den Zusammenhang zwischen Generalisierungen über Muslim_innen als Gruppe sowie Vorurteilen und Hassverbrechen.

Ich verfolgte die britischen Medien und musste schmerzhaft erkennen, dass diese entmenschlichenden Bilder von Muslim_innen weit verbreitet sind.

Nachdenken über Rassismus: Auseinandersetzung mit eigenen Privilegien

Ich habe während meiner Arbeit mit Geflüchteten in Kairo sehr viel über Rassismus gelernt.

Bei der Arbeit mit Geflüchteten, die geschlechtsbasierte Gewalt überlebt haben, habe ich Horror-Geschichten darüber gehört, was sie in Kairo durchmachen mussten. Von der Ausbeutung von einheimischen Arbeiter_innen über Vergewaltigungen bis zu Belästigungen auf der Straße.

In Ägypten gehörte ich der Mehrheit an, in Europa tauschte ich die Rollen.

Ich versuche, mich mit meinen Privilegien auseinanderzusetzen und zu verstehen, was es bedeutet, diese Privilegien zu genießen. All die Formen systemischer, struktureller und alltäglicher Kämpfe, welche mir – aufgrund des Körpers, in dem ich geboren wurde – erspart blieben.

Ich muss darüber nachdenken, wo ich stehe und was es bedeutet, Verbündete_r zu sein. Das schulde ich all den Frauen, die ich in Ägypten und andernorts kennengelernt habe. Sie haben mich gelehrt und tun es immer noch.

Dennoch rede ich auch weiterhin oft über Rassismus.

Ich muss über Rassismus reden, weil er meine persönliche Sicherheit und mein Leben beeinflusst.

Das ist auch der Grund, warum ich diesen Text schreibe in einer Situation, in der Diskussionen über Rassismus viel Unbehagen auslösen.

In Zeiten, in denen der Begriff „ethnische Minderheit“ zunehmend durch den Begriff „Kultur“ ersetzt wird, um Rassismus-bedingte Ungleichheit zu verstecken und aufrechtzuerhalten.

In einer Umgebung, die solche Diskussionen verurteilt und mundtot macht und diejenigen, die darüber reden, als besessen, unzufrieden und undankbar abstempelt werden.

Wegen all dieser Dinge wollte ich darüber reden, warum ich über Rassismus rede.

Eigentlich sollte das selbsterklärend sein. Ich muss über Rassismus reden, weil er meine persönliche Sicherheit und mein Leben beeinflusst.

Rassismus ist nicht von anderen Formen von Diskriminierung zu trennen

Außerdem: Wenn wir eine bessere Welt anstreben, oder – um es weniger idealistisch auszudrücken – wenn wir verantwortungsbewusster leben wollen, dann können wir Rassismus nicht von anderen Formen von Diskriminierung trennen, sei es Sexismus, Klassismus, Ableismus, Homophobie, Transphobie und andere Formen mehr.

Es sollte keinen Grund dafür geben, vor Diskussionen darüber zurückzuschrecken.

Darüber zu reden, hilft mir (und ich vermute, so geht es vielen anderen auch), meine Perspektive und Narrative zu erklären.

Es braucht Kraft und Geduld, um über Rassismus zu reden, aber vor allem Vertrauen und Offenheit

Dieser Prozess ist schwer und ermüdend, vor allem, wenn wir mit Menschen reden müssen, die sich nicht tagtäglich mit Rassismus herumschlagen müssen.

Wir müssen uns von unseren Gefühlen dissoziieren und vorsichtig und objektiv über etwas reden, was uns belastet.

Das heißt, es bedarf Kraft und Geduld, um diese Gespräche führen zu können. Aber es bedarf vor allem gegenseitigen Vertrauens und Offenheit.

Wir sollten nicht dazu gedrängt werden, zu erklären, wie Rassismus aussieht und wie er sich anfühlt, es sei denn, wir haben das Bedürfnis oder möchten darüber reden.

Reden über Rassismus ist auch eine Chance für Solidarität

Aber ich will das nicht nur als einen Kampf darstellen.

Das Reden über Rassismus ist auf der anderen Seite auch eine Möglichkeit, mit anderen in Verbindung zu kommen. Es ist ein Prozess, bei dem Verständnis aufgebaut wird. Es kann ein Weg sein, Freundschaften zu schließen.

Darüber hinaus kann das Reden über Rassismus als Aufruf zu Solidarität gesehen werden

Es hilft uns herauszufinden, wer uns emotionale Unterstützung geben würde, wenn wir über Rassismus reden. Wer uns beschützen würde, wenn sich die Dinge zum Schlechten entwickeln.

Reden über Rassismus kann ein Akt der Liebe sein

Reden über Rassismus kann sogar ein Akt des Flirtens sein, wenn wir herausfinden wollen, ob unser Gegenüber „Heiratsmaterial“ ist.

Ich denke, Reden über Rassismus kann ein Akt der Liebe sein, wenn wir Liebe als einen Prozess gegenseitigen Verständnisses und des Aufbaus von Kommunikationskanälen verstehen. Wenn wir davon ausgehen, dass es bei Liebe darum geht, andere in den Mittelpunkt zu stellen, ihren Narrativen zuzuhören und zu lernen, wie man sie unterstützt.

Oder um James Baldwin zu zitieren: „Die Rolle des Künstlers ist genau die gleiche wie die Rolle des Liebhabers. Wenn ich dich liebe, muss ich dir Dinge bewusst machen, die du nicht siehst.“

*Ahmed hat diesen Artikel auf Englisch geschrieben. Übersetzung: sd. Hier das Original:

Why I talk about racism

My friend asked me why I make a lot of Facebook posts about racism. He is right. I have been thinking and talking a lot about racism. Not just after my move to Germany. It has been on my mind long before. My first first-hand experiences with anti-Muslim racism happened when I lived in the UK in 2009. Back in that time, Islamophobia was a topic in Egypt but I hardly got to think critically about it. I thought maybe it’s natural to fear Muslims — particularly in the West. I thought it was a reaction to September 11 attacks. I was angry at the corruption of religious institutions in Egypt, the use of religion as an excuse to oppress others.

I thought maybe it’s natural to fear Muslims, particularly in the West.

In London, I lived with a British person who could not stop treating me as a Muslim, despite my constant reminders I don’t identify as Muslim. He always demanded me to explain Islam and my positions around it. He was always talking to me about halal food and making jokes of women with headscarves.

One day I was hanging out with a friend of mine at his place, when a friend of his arrived. Once she saw that my friend was wearing a headscarf, her reaction was feverish. She started explaining to my friend how terrible Islam is and that Muhammad is a child molester and that she needs to believe in Jesus to be saved. The irony was that my friend self-identified as agnostic, but wore the scarf for complicated reasons that this woman could not understand or cared to know.

Dehumanizing images of Muslims are virulently common

This made me think that this fear is anything but rational. I didn’t even know if it should be called fear anymore. It was more of prejudice and hate. I got to reflect further on the possible consequences of those prejudices as Marwa El-Sherbini got murdered by a neo-Nazi in Dresden around the same time in 2009. The shocking murder helped me make the dots between generalizations about Muslims as a group, and prejudice and violent acts. Observing British media was a painful realization that those dehumanizing images of Muslims are virulently common.

I try to confront my privilege and understand what it means to carry those privileges

I got to know about racism much more during my work with refugees in Cairo. Working with refugees who survived gender-based violence, I listened to horror stories of what refugees in Cairo went through. From the exploitation of domestic workers, to rape incidents, and street harassment.

In Egypt, I belonged to the majority, and in Europe the roles got reversed. I try to confront my privilege and understand what it means to carry those privileges. All the forms of systemic, structural and everyday struggles that I was spared from just by being born in this kind of body. I have to think where I stand and what the meaning of an ally ship is. I owe it to all the women that I met in Egypt and elsewhere who taught me and continue to do so.

I have to talk about racism because it affects my personal safety and life

However, I still continue to talk about racism often. This brings me to the point of why I am writing this post. In a situation where discussions about racism bring a lot of discomfort. In times where “ethnic minority” is increasingly replaced with ‘culture’ to hide and perpetuate racial inequalities. In an environment that shames and silences those conversations and accuses the one who speak it of being obsessed, dissatisfied or ungrateful. Because of all of that I wanted to talk about why I talk about racism.

We cannot separate racism from other forms of discrimination

At first, this should be self-explanatory. I have to talk about racism because it affects my personal safety and life. Additionally, if we strive for a better world, or in less idealistic terms, if we just want to live with more responsible manners, we cannot separate racism from other forms of discrimination, be it sexism, classism, ableism, homophobia, transphobia and the rest. There should be no reason to shy away from these conversations.

Talking about racism requires mutual trust and openness

Talking about it helps me (and I guess that’s also the case for many others) to explain our perspective and narrative. That process is difficult and exhausting especially when done with people who don’t have to deal with racism as part of their daily life. We have to dissociate our feelings and speak carefully and objectively about something that bothers us. This means it requires strength and patience to have those conversations. But most importantly they require mutual trust and openness. We shouldn’t be pushed into explaining what racism looks like or feels like unless we need and want to.

But I don’t want to limit this to the frame of struggle. In another light, talking about racism is really about connecting with others. It’s a process of building understanding. It can be a way of building friendships.

Talking about racism can also be a call for solidarity

It can also be seen as a call for solidarity. It helps us find out who would provide emotional support when we talk about it. Who would protect us when things get bad. It can even be an act of flirting, if we want to find out if the person is husband material.

I think it can be an act of love, if we understand love as a process of shared understanding and building communication channels. If we believe that love is about being able to center others, listen to their narratives and learn how to support. Or to quote James Baldwin, “The role of the artist is exactly the same as the role of the lover. If I love you, I have to make you conscious of the things you don’t see.”

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