Kaum noch Möglichkeiten zum Geldmachen, eine Verschlechterung der Stimmung, verstärkte Polizeikontrollen, Einschränkungen der Hilfsangebote: Blitzlichter aus 21 Städten zeigen, wie sich der Lockdown wegen Corona auf Drogenszenen und die Drogenhilfe ausgewirkt hat.

Von Bernd Werse und Luise Klaus*

Am 31.3.2020 startete das Centre for Drug Research an der Frankfurter Goethe-Universität einen Online-Aufruf an die ambulante Drogenhilfe, ihre Erfahrungen im Hinblick auf Szenealltag und Hilfsmaßnahmen in Zeiten der Corona-Krise zu teilen.

Schwerpunkt sind dabei städtische Szenen von marginalisierten Konsument_innen „harter“ Drogen. Als Grundlage dient ein Leitfaden mit acht halb offenen Fragen zu diversen Aspekten des Themas; Antworten können entweder per E-Mail, Kurznachricht oder Sprachnachricht eingeschickt werden.

In diesem Kurzbericht werden erste Ergebnisse vorgestellt. Es werden weiterhin sehr gerne zusätzliche Berichte entgegengenommen, um die weiteren Entwicklungen verfolgen und dokumentieren zu können.

25 Blitzlichter aus 21 Städten

Bis zum 19.04.2020 gingen insgesamt 25 Antworten aus 21 verschiedenen Städten ein. Darunter sind sechs Metropolen mit mehr als 500.000 Einwohner_innen, zehn Großstädte zwischen 100.000 und 500.000 Einwohner_innen und fünf kleinere Städte. Die Orte sind über das gesamte Bundesgebiet verteilt, wobei sich ein gewisser Schwerpunkt im mittleren und südlichen Teil Deutschlands zeigt.

Etwa die Hälfte der Berichtenden hat eine leitende Funktion in ihrer Einrichtung, die übrigen sind zum Beispiel Mitarbeiter_innen aus der Streetwork, der Psychosozialen Betreuung (PSB), Kontaktläden oder der Beratung.

Stimmung in der Szene

Aus knapp der Hälfte der Städte wurde über eine grundsätzlich schlechtere Stimmung in der Szene berichtet. Mehrere Mitarbeiter_innen in den Metropolen erwähnten dabei gestiegene Aggressionen, während sonst zumeist auf Verunsicherung verwiesen wurde, auch im Zusammenhang mit mangelndem Wissen über Infektionsgefahren.

In ebenfalls knapp der Hälfte der Städte wurde die Atmosphäre als „breit gefächert“ charakterisiert: teils aggressiv, teils depressiv, aber zum Teil auch verständnisvoll und dankbar gegenüber den weiterhin bestehenden Hilfsangeboten. Zweimal wurde eine insgesamt „eher entspannte“ Stimmung konstatiert.

Es gibt kaum noch Möglichkeiten, zu Geld zu kommen

Dass die Stimmung unter den Klient_innen nicht selten als eher schlecht eingeschätzt wurde, hat unter anderem damit zu tun, dass die Möglichkeiten zum „Geldmachen“ seit Beginn der Krise eingeschränkt sind. Aus mehr als der Hälfte der Städte wurde dies als eines der größten Probleme dargestellt; dies betrifft insbesondere Flaschensammeln, Betteln, Drogenhandel, (Laden-)Diebstähle und Prostitution, die allesamt wegen der Einschränkungen des öffentlichen Lebens deutlich schwieriger geworden sind.

Drogen-Schwarzmarkt in Corona-Zeiten

Die Mitarbeiter_innen schätzten die finanziellen Probleme  als weitaus schwerwiegender ein als Einschränkungen im Hinblick auf den Drogenschwarzmarkt. Zwar wurde eine schwerere Verfügbarkeit der gängigen Drogen von den meisten, die hierzu eine Angabe machten, bejaht. Allerdings wurde aus einigen (vor allem im Westen gelegenen) Städten auch berichtet, dass die üblichen Substanzen ebenso leicht zu beschaffen seien wie zuvor. Zum Teil wurde auch differenziert: so gebe es zum Beispiel keine Einschränkungen bei Heroin und Kokain, dafür aber bei Benzodiazepinen. In mehreren Städten wird laut Rückmeldungen verstärkt auf illegal gehandelte Substitutionsmittel zurückgegriffen, zusätzlich zur ohnehin teils gestiegenen Nachfrage nach Substitution (siehe unten).

Einschränkungen, aber keine Unterbrechungen des Nachschubs

Bei der Frage nach Preisen zeigt sich eine breite Spanne von der Einschätzung eines starken Anstiegs über leichte Preissteigerungen bis hin zu „keiner Änderung“ sowie einer Einzelmeldung über angeblich gesunkene Kokainpreise wegen geringeren Freizeitkonsums. Neben illegalen Drogen (Heroin, Kokain, Cannabis) wurde mehrfach im Hinblick auf Benzodiazepine und Buprenorphin über deutlich gestiegene Preise berichtet.

Klient_innen und Drogenhilfe

Bisher wurde von den Teilnehmenden der Studie kein bestätigter Fall einer Sars-CoV-2-Infektion gemeldet. Vereinzelte Verdachtsfälle bei der Klientel der Drogenhilfeeinrichtungen wurden stets negativ auf das Virus getestet.

Die Drogenhilfeeinrichtungen berichteten von zahlreichen Maßnahmen, die zur Eindämmung des Virus beitragen und Klientel und Mitarbeitende schützen sollen.

Eine Basisversorgung wird aufrechterhalten

So haben viele Einrichtungen auf einen „Notbetrieb“ umgestellt: Kontaktcafés und Aufenthaltsräume wurden größtenteils geschlossen, Drogenkonsumräume sind bis auf eine Ausnahme weiterhin geöffnet, jedoch mit reduzierten Plätzen, um den Sicherheitsabstand zu gewährleisten.

Eine Basisversorgung durch die Einrichtungen wird aufrechterhalten: Hierzu zählt insbesondere der Spritzentausch und die Essensausgabe (in Form von Lunchpaketen anstelle vorheriger Mittagstischangebote). Wasch- und Hygienemöglichkeiten werden nur von einigen Einrichtungen und dabei stark eingeschränkt angeboten. Viele Einrichtungen haben ihre Öffnungszeiten reduziert; manche Stellen haben dafür auch am Wochenende geöffnet.

Die Beratungsangebote erfolgen überwiegend telefonisch, wobei einige Einrichtungen betonen, dass die schlechte Erreichbarkeit mancher Klient_innen die Arbeit erschwert. Manche Einrichtungen bieten zudem eine Einzelfallberatung in besonderen Fällen und unter Berücksichtigung der Abstands- und Hygieneregeln an. Streetwork findet in den meisten Städten weiterhin statt.

Häufig mangelt es an Schutzausrüstung

Ein Großteil der Einrichtungen vermeldet einen Mangel an Schutzkleidung. Insbesondere Masken scheinen schwer erhältlich und in zu geringer Zahl vorhanden, was die Mitarbeitenden einer zusätzlichen Belastung aussetzt. Einige Einrichtungen haben nach anfänglichen Schwierigkeiten mittlerweile ausreichend Schutzkleidung erhalten. Viele der Institutionen haben einen Zwei-Schicht-Betrieb eingerichtet, der wegen des Personalmangels – aufgrund von Zugehörigkeit zu Risikogruppen, vorsorglichen Quarantänemaßnahmen und/oder Krankmeldungen beim Personal – nicht immer umsetzbar ist.

Substitutionsbehandlung

Die empfohlenen Lockerungen der Take-Home-Regelung für Substitutionsmittel wurden von den Ärzt_innen größtenteils umgesetzt, wobei dies vor allem für stabile Klient_innen gilt, die bereits vor der Krise Take-Home in kürzeren Zeitabständen erhalten haben. Für instabile Konsumierende sei eine Mitgabe (einer größeren Menge) nicht möglich, so Rückmeldungen. In manchen Städten verweigern sich die Praxen generell der Take-Home-Ausweitung.

Mögliche Lockerungen der Substitutionsbehandlung werden nicht überall umgesetzt

Einige Teilnehmende merkten an, dass manche Klient_innen längere Strecken mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu ihrer Substitutionspraxis zurücklegen müssen, was mit einem erhöhten Infektionsrisiko für die ohnehin aufgrund von Vorerkrankungen zur Risikogruppe Zählenden verbunden ist. Eine Praxis lieferte Substitutionsmittel zu den Patient_innen nach Hause. Insbesondere aus größeren Städten wurde zudem berichtet, dass es neue Regelungen zur Substitution von Nichtversicherten gebe.

Maßnahmen für Obdachlose

Die Einschätzungen zu Maßnahmen für Obdachlose unterscheiden sich stark. Während aus einigen Städten berichtet wurde, dass ausreichend Notschlafplätze zur Verfügung standen oder die Politik rasch reagiert und neue Räume bereitgestellt habe, scheint die Situation in anderen Städten zum Teil deutlich prekärer.

Besonders bemängelt wurden Notschlafunterkünfte mit vielen Betten in einem Zimmer wie auch die Tatsache, dass die Bewohner_innen sich teilweise auch tagsüber in der Unterkunft aufhalten mussten. Eine Person berichtete, dass manche Obdachlose es aufgrund dieser beschränkenden Maßnahmen vorzögen, auf der Straße zu schlafen, zumal das Wetter dies zulasse.

Präsenz von Drogengebraucher_innen im öffentlichen Raum

Sehr unterschiedliche Meldungen gab es zum Aufenthalt von Szeneangehörigen im öffentlichen Raum. Einige Teilnehmende berichteten, dass es weiterhin insbesondere vor niedrigschwelligen Einrichtungen zu Ansammlungen komme (zum Beispiel bei der Vergabe von Substitutionsmitteln) und Abstandsregeln nicht eingehalten würden. Zum Teil habe sich Letzteres nach einigen Tagen bzw. Wochen aber gebessert.

Anderen Berichten zufolge waren Klient_innen eher in Kleingruppen unterwegs, verteilten sich mehr über das Stadtgebiet verteilen und/oder waren generell mehr um Unauffälligkeit bemüht, zumal sie in den leereren Städten „automatisch“ mehr aufgefallen seien.

In einzelnen Städten spielte sich das Szeneleben aufgrund der Schließung von Kontaktläden stärker im Freien ab, etwas häufiger wurde hingegen von einer geringeren Präsenz in der Öffentlichkeit berichtet, auch durch die Ausweitung der Take-Home-Substitution (siehe oben).

Verhalten der Ordnungsbehörden

Die Präsenz im öffentlichen Raum hängt teilweise auch von der Aktivität der Ordnungsbehörden ab. Mehrheitlich wurde über verstärkte Kontrollen im Zusammenhang mit Versammlungsverboten und Abstandsregeln berichtet. Häufig wurde der Polizei dabei „korrektes Verhalten“ bzw. „Augenmaß“ bescheinigt, es gab aber auch Berichte über Geldbußen von mehreren hundert Euro für vergleichsweise geringe Verstöße. In einer Stadt installierten Ordnungskräfte Gitter und Abstandsmarkierungen vor Drogenhilfeeinrichtungen, was aber als nutzlos bewertet wurde: „Da hält sich eh keiner dran.“

Verstärkte Polizeikontrollen, aber meist mit Augenmaß

Auch die Reaktionen der Szeneangehörigen fielen – je nach Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen – unterschiedlich aus, von Einsicht bis hin zu aggressivem Verhalten. Generell wurde darauf verwiesen, dass der Kontakt mit Ordnungsbehörden ohnehin zum Szenealltag gehöre („man ist Leid gewöhnt“), der Kontrolldruck aber gestiegen sei. Zum Teil wurde auch die gute Zusammenarbeit von Sozialer Arbeit und Polizei hervorgehoben.

Frauen, psychisch Kranke und Inhaftierte sind besonders betroffen

Von den hier beschriebenen Einschränkungen und Problemen aufgrund der Corona-Krise waren weibliche, psychisch kranke und inhaftierte Konsumierende in besonderem Maße betroffen. So seien die eingeschränkten Hygiene- und Toilettenmöglichkeiten insbesondere für Frauen problematisch, und auch die teils aggressivere Stimmung auf der Szene wirke sich vor allem auf Frauen aus, die per se stärker von Gewalt betroffen seien.

Sexarbeiterinnen seien im Zusammenhang mit dem Infektionsschutzgesetz und der Schließung der Bordelle zudem einem höheren Infektions- und Gewaltrisiko ausgesetzt.

Reaktionen von panischen Angstzuständen bis hin zu Lethargie

Psychisch kranke Klient_innen, so berichteten zahlreiche Einrichtungen, litten zudem in besonderem Maße an den psychosozialen Folgen der Corona-Krise. Reaktionen von panischen Angstzuständen bis hin zu Lethargie und damit einhergehendem übermäßigem Drogenkonsum (da „sowieso alles egal“ sei) wurden beobachtet.

Aus zwei Städten wurde von vorzeitigen Haftentlassungen berichtet. Dies ist insofern problematisch, als viele der entlassenen Personen weder Wohnsitz noch Ausweis, Leistungsbezug oder Krankenversicherung haben und sich nun im besonderen Maße einer Prekarisierung ausgesetzt sehen.

*Dieser Text wurde zuerst unter https://www.uni-frankfurt.de/87732215/Corona_und_Drogenhilfe_Zwischenbericht.pdf veröffentlicht. Wir danken Dr. Bernd Werse und Luise Klaus herzlich für die Genehmigung zur Zweitveröffentlichung.

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