Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) hat mit liberalen Positionen in der Drogenpolitik schon durchaus für Aufsehen gesorgt – etwa mit der Forderung, das Cannabis-Verbot in Deutschland zu beenden, weil es „weder intelligent noch zielführend“ sei. Auch der stellvertretende BDK-Bundesvorsitzende Dirk Peglow bestätigt im Gespräch mit uns, dass die Strafverfolgung aus Sicht der Ermittelnden bisher wenig Positives erreicht hat. Peglow fordert deshalb, Konsumierende aller Drogen zu entkriminalisieren und Jugendliche besser zu schützen, die Händlerstruktur bis hin zur organisierten Kriminalität aber gleichzeitig strafrechtlich zu verfolgen.

Interview: Benedict Wermter

Herr Peglow, die Zahl der sogenannten Drogentoten ist seit Jahren konstant hoch und ist zuletzt um fast 10 Prozent gestiegen: 2019 starben fast 1.400 Drogengebrauchende. Was sind die Ursachen?

Häufig sterben die Menschen an ihrem Mischkonsum. Durch den jahrelangen Missbrauch verschiedener Stoffe haben Abhängige einen körperlichen Zustand, der besorgniserregend ist. Hinzu kommt eine Problematik der Verelendung.

Ist es nicht auch das Verbot, also die Prohibition, die tötet?

Ja, natürlich, auch das Verbot hat damit zu tun. Menschen müssen sich Drogen illegal beschaffen. Es handelt sich nahezu immer um Substanzen, die gestreckt und in Teilen sogar mit Giften versetzt werden.

Auch die Drogen-Prohibition tötet

Hier in Frankfurt, wo ich herkomme, haben wir Heroin auf dem Markt, da ist alles Mögliche beigemengt. In Kombination mit einer schwierigen Lebenssituation hat das dramatische Folgen für die Gesundheit. Deswegen gehen wir seit vielen Jahren den „Frankfurter Weg“ und leisten Beistand durch ärztliche Versorgung und niedrigschwellige Angebote.

Doch manchmal lassen sich selbst einfachste Dinge wie ein Duschangebot nur schwer vermitteln, weil zum Beispiel die Crackszene nur sehr schwierig zu erreichen ist. Für diese Szene gibt es auch kein Substitutionsangebot, was die Lebenssituation dieser Menschen natürlich noch schwieriger macht.

Brauchen wir mehr Spielraum? Wäre Legalisierung eine Lösung?

Ich denke, wir müssen vorne anfangen. Häufig werden verschiedene Begriffe durcheinandergebracht, wobei wir zwischen Legalisierung und Entkriminalisierung unterscheiden müssen. Da wurden wir als Verband teilweise falsch verstanden. Wir sind nicht für die Legalisierung – nicht jeder soll machen können, was er will.

„Wir müssen zwischen Legalisierung und Entkriminalisierung unterscheiden“

Wir sind für eine Entkriminalisierung der Konsumenten und wollen besonders den Jugendschutz verstärken. Da geht es um Cannabis, das sich stark verändert hat. Dann Fentanyl, wo wir uns fragen müssen, wie wir damit umgehen. Und Crystal Meth, das gerade auf den Markt strömt. Da gibt es eine Verstärkung der Aufgriffe, die Kilos fallen uns förmlich vor die Füße. Der Markt versucht, sich gerade auf Corona einzustellen. Und die Substanzen verändern sich.

Und wie wollen Sie dem beikommen?

Wir wollen eine ehrliche Diskussion darüber anregen, ob etwa das portugiesische Modell machbar ist. Wir müssen ernsthaft darüber reden, geringfügigen Besitz und Erwerb in Ordnungswidrigkeiten zu verlagern, und zwar auf alle Substanzen bezogen. Natürlich nicht, wenn jemand mit zwei Kilo Koks durch die Gegend fährt.

Bis jetzt müssen wir aufgrund des Strafverfolgungszwangs für jeden Fund Anzeigen schreiben – egal, ob bei 0,75 Gramm Marihuana oder zwei Kilo Koks. Wir können nicht entscheiden, es auf einen anderen Weg zu geben, sprich eine psychosoziale Unterstützung einzufordern.

Der Umgang mit den Konsumenten muss aber in den Mittelpunkt rücken. Wir müssen helfen, um auf eine Änderung des Konsumverhaltens hinzuwirken. Ich will gar nicht sagen, dass Konsumenten bestenfalls komplett aufhören. Es geht darum, Bewusstsein dafür zu schaffen, welche Folgen das eigene Konsumverhalten haben könnte, ohne die Betroffenen anklagend in die Ecke zu drängen.

„Der Umgang mit den Konsumenten muss in den Mittelpunkt rücken“

Prävention ist aber nicht alleine Aufgabe der Polizei, wir benötigen hier eine stärkere Beteiligung aller Player, zum Beispiel der Schulen und Kommunen.

Aber die Prävention ist auch Aufgabe der Polizei?

Sicherlich. Wir sind eingebunden, machen Angebote und versuchen, zu vermitteln.

Aufgriffe von kiloweise Koks, Crystal Meth, das auf den Markt drängt – was sagt das über die Drogenpolitik aus, ist sie gescheitert?

Scheitern ist ein starkes Wort. Aber wir müssen feststellen, dass die polizeiliche Arbeit im Bereich der Rauschgiftbekämpfung bislang nicht zu einer nachhaltigen Veränderung der verfügbaren Mengen oder der Preisgestaltung von Betäubungsmitteln geführt hat. Es ist immer Nachschub da.

Abwasseruntersuchungen haben gezeigt, dass die Mengen, die insgesamt über die Jahre im Umlauf sind, immens steigen. Wir werden den Markt nicht zum Erliegen bringen, sondern müssen uns Alternativen überlegen. Wie gesagt, wir wollen den Konsumenten in den Mittelpunkt stellen und fordern den Umgang nach portugiesischem Modell.

Dabei dürfen wir die Verteilerstrukturen nicht außer Acht lassen. Oben, in der Händlerstruktur und der organisierten Kriminalität, werden riesige Gewinne gemacht. Gerade eine Legalisierung würde diesen Markt nur stärken. Wie also umgehen mit Organisationen, die Rauschgift herstellen und weltweit vertreiben?

„Wir werden den Markt nicht zum Erliegen bringen“

Ich weiß von Kollegen, dass sie bei Kontrollen etwa an der niederländischen Grenze haufenweise Drogen feststellen, obwohl kein aufwendiges Verfahren, keine monatelange Ermittlung und Telefonüberwachung erfolgt ist. Das ist auffällig in den letzten Jahren. Und ein Widerspruch unserer Arbeit: wir erzielen manchmal mit sehr großem Aufwand und manchmal mit sehr geringem Aufwand dasselbe Ergebnis. Gleichwohl: wir müssen es trotzdem tun!

Wir müssen Konsumenten entkriminalisieren und trotzdem die Händlerseite nachhaltig verfolgen.

Also müssen wir das Betäubungsmittelgesetz anpassen?

Richtig. Das ist das eine.

Dirk Peglow, stellvertretender Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter
Dirk Peglow (Foto: privat)

Aber wir wollen die Lehrerinnen und Lehrer stärken und wollen, dass Freiräume im Unterricht für Prävention geschaffen werden. Wobei noch nicht klar ist, wer welche Aufgabe übernimmt. Oft wollen die Schulen ja, dass die Polizei die Präventionsarbeit macht.

Jedenfalls ist klar, dass es ein sehr junges Einstiegsalter bei Cannabiskonsumenten gibt. Und es ist belegt, dass eine hohe Konzentration von Cannabis nachhaltige Störungen in der Adoleszenz hervorruft. Da ist eine flächendeckende und verlässliche Prävention notwendig: Die Jugendlichen haben keine Möglichkeit, festzustellen, was sie konsumieren. Die haben keinen Beipackzettel.

Welche Strategie verfolgt der BDK, um die Entkriminalisierung zu erreichen?

Innerhalb der Polizei haben wir sehr unterschiedliche Positionen. Wir sind lange nicht einer Meinung, haben aber im BDK eine Mehrheit für eine Richtung bekommen. Zu unserer Strategie gehört, dass wir Gespräche führen, so wie Sie und ich es gerade tun. Aber auch, mit der Bundesdrogenbeauftragten über Drogenpolitik zu sprechen, die uns jüngst in Sachen Drogen und Führerschein zitiert hat.

Mein Wunsch wäre, über unsere Beschlusslage zum portugiesischen Modell Gespräche zu führen, losgelöst von der Farbenlehre des Parteispektrums.

Und ich befürworte eine Enquete-Kommission aus Fachleuten verschiedener Richtungen. Ich sehe da Psychologen, Staatsanwaltschaft und Polizeibeamte, aber auch die Wissenschaft. Wir müssen uns zusammensetzen und resümieren – besonders, wenn eine Welle auf uns zukommt, wie etwa Fentanyl.

„Ich befürworte eine Enquete-Kommission aus Fachleuten verschiedener Richtungen“

Kriminelle werden immer versuchen, den Markt zu bedienen. Sie werden nicht hergehen und sagen, sie haben es verstanden und wollen nun Rinder züchten. Sie werden eher neue Substanzen entwickeln. Gerade im chemischen Bereich gibt es einen viel größeren Spielraum, als etwa bei einer Kokaplantage. Darauf müssen wir endlich angemessen reagieren, um Konsumentinnen und Konsumenten zu schützen.

Die Drogenbeauftragte war schon in einem Berliner Konsumraum und beim „Drug-Checking“ in der Schweiz. Sie gibt sich szenenah. Ist sie Hoffnungsträgerin für eine neue Drogenpolitik?

Naja, zumindest ihre Verlautbarungen zur Führerscheinfrage in der Bundespressekonferenz am 1. Juli 2020 lassen hoffen. Ich habe das Gefühl, eine Diskussion wäre möglich. Die Arbeit selbst kann ich nicht bewerten, das muss ich offen so sagen.

Woran scheitert die Entkriminalisierung Ihrer Meinung nach bisher?

Die Gestaltung der Entkriminalisierung ist seit Jahren schwierig, obwohl wir sie de facto schon haben, denn es gibt reihenweise eingestellte Verfahren. Aber im Betäubungsmittelgesetz steht eben drin, dass wir bei jedem Fund eine Anzeige schreiben müssen. Die Entkriminalisierung muss sich in der Gesetzgebung niederlegen.

Haben sich die Befürworter einer toleranten Drogenpolitik nicht genug eingesetzt?

An denen liegt es ja nicht, dass die Entkriminalisierung noch nicht gesetzlich verankert ist. Allerdings stört mich manchmal, wie wir um den heißen Brei herumtanzen. Was für Konsequenzen hätte Legalisierung, also wenn ich Drogen überall kaufen könnte? Klar ist, wir müssten dann mit mehr Menschen rechnen, die sich mit Drogen versorgen. Und wir haben ja keine Konsumbegleitung. Wenn sauberes Zeug jederzeit verfügbar ist, wird es trotzdem Probleme geben.

Gleichzeitig brauchen wir Offenheit auf der anderen Seite: Über jemanden, der mal am Wochenende einen Joint raucht, brauchen wir nicht zu sprechen.

„Wir fordern ein substanzunabhängiges Modell der Entkriminalisierung wie in Portugal“

Es wird auch häufig nur über Marihuana gesprochen, die Cannabisdebatte. Aber was machen wir mit Heroin und Crack? Deswegen nochmal: Wir fordern ein substanzunabhängiges Modell der Entkriminalisierung wie in Portugal, wo es um die Konsumenten geht.

Braucht es insgesamt einen offeneren Umgang mit Drogen in der Gesellschaft – eine neue Drogenkultur?

(Stöhnt) Wir müssen alle Seiten, die verschiedenen Spieler zusammenführen. Und ich glaube, wir müssen vor allem wegkommen von der emotionalen Debatte und hin zu einer fachlichen Debatte. Wir diskutieren zu sehr entlang der Themen Strafrecht und Verbot und sollten stattdessen die Prävention in den Vordergrund stellen. Ob wir da eine neue Kultur brauchen, das kann ich nicht beantworten.

Aber die Verbotskultur hat über die Jahrzehnte zu einer verzerrten Wahrnehmung von Drogen geführt.

Ja gut, aber wir haben auch die Konflikte mit Drogen. Und wir haben immer das Problem, dass wir Drogenkonsum irgendwann nicht mehr in den Griff bekommen – das ist meine Sorge. Egal, ob nun Alkohol, Cannabis oder andere Substanzen.

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Benedict Wermter

Benedict Wermter ist freier Autor und Rechercheur aus dem Ruhrgebiet und schreibt gerne Reportagen. Für das Magazin der Deutschen Aidshilfe beschäftigt er sich unter anderem mit der Drogenpolitik hierzulande.

(Foto: Paulina Hildesheim)

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