Er war der erste Mensch, der von HIV geheilt werden konnte. Nun ist Timothy Ray Brown an Leukämie gestorben. Die HIV-Community reagiert mit Trauer – und zeigt sich dankbar für sein Engagement.

Lange Zeit war er nur als „Berliner Patient“ bekannt, und als solcher hat er Medizingeschichte geschrieben: Zum ersten Mal war es gelungen, einen Menschen von HIV zu heilen. Als diese Sensation 2008 bekannt wurde, blieb die Identität des Mannes noch verborgen.

Zwei Jahre später trat Timothy Ray Brown an die Öffentlichkeit. Immer wieder erzählte er die Geschichte seiner unerwarteten Heilung. So wurde er zu einem Hoffnungsträger – nicht nur für die HIV-Forschung, sondern auch für Menschen mit HIV auf der ganzen Welt.

Nun ist der US-Amerikaner im Alter von 54 Jahren in Palm Springs, Kalifornien, an den Folgen von Blutkrebs gestorben. An jener Krankheit, die seine HIV-Heilung erst ermöglicht hatte.

Denn es war ein Geniestreich des Hämatologen Gero Hütter von der Berliner Charité, der HIV aus dem Körper des Krebspatienten verschwinden ließ.

Brown lebte damals in Berlin. Als er 2006, zehn Jahre nach seiner HIV-Diagnose, an Leukämie erkrankte, konnte eine Chemotherapie den Krebs nur kurzzeitig in Schach halten. Der Patient erhielt daher eine Stammzelltransplantation – ein lebensgefährlicher Eingriff, der nur durchgeführt wird, wenn andere Therapien nicht ausreichen.

Dr. Hütters historische Idee: Er suchte gezielt nach einem Spender mit Immunzellen, denen HIV nichts anhaben konnte. Etwa ein Prozent der Menschen in Europa hat diese genetische Veränderung, die HIV den Zugang zum Körper versperrt: Auf der Oberfläche ihrer Immunzellen fehlt der CCR5-Rezeptor, eine Art Andockstelle, die das Virus nutzt, um einzudringen.

Einen passenden Spender für Timothy Ray Brown zu finden, der zudem diese Genveränderung hatte, war fast unmöglich, doch es gelang. Und der riskante Eingriff hatte tatsächlich den gewünschten Effekt: Der Blutkrebs war gestoppt und das HI-Virus ein Jahr nach der Stammzelltransplantation nicht mehr nachweisbar.

Timothy Ray Brown: Wichtige Impulse für die HIV-Forschung

Timothy Browns Heilung ist ein spezieller Fall, nicht einfach wiederholbar. Trotzdem machte er Hoffnung, zeigt er doch, dass HIV prinzipiell durchaus wieder aus dem Körper entfernt werden kann. Dass Heilung möglich ist.

Für den US-Immunologen Anthony Fauci war der „Berliner Patient“ ein Antrieb, wieder höhere Ziele ins Visier zu nehmen als die üblichen Wirkstoffe, die die Vermehrung von HIV zwar sehr wirksam blockieren, aber nicht zur Heilung führen. Fortan ging es in der Forschung darum, ähnliche Effekte wie bei Brown mit schonenderen Mitteln zu erreichen, etwa durch gentherapeutische Eingriffe.

Auch Brown hoffte, dass sein Fall auch anderen zugute kommen könnte:

„Ich wollte nicht der einzige Mensch auf der Welt sein, der von HIV geheilt wird. Ich wollte, dass andere HIV-positive Patient_innen meinem Club beitreten. Ich möchte mein Leben der Unterstützung der Forschung widmen, um ein Heilmittel oder eine Heilung für HIV zu finden!“

„Ich wollte nicht der einzige Mensch auf der Welt sein, der von HIV geheilt wird“

Dafür hat Brown viel getan, stellte unzählige Blut- und Gewebeproben zur Verfügung – und wurde zugleich ein beliebter HIV-Aktivist. Zuletzt setzte er sich auch für die medikamentöse HIV-Prophylaxe PrEP ein und outete sich als Nutzer dieser Schutzmethode: Er wollte sich nicht noch einmal mit HIV infizieren.

Zuvor musste er allerdings einen Rückschlag einstecken: Nach vielen Jahren in Berlin war er 2011 wieder in die USA gezogen. Weil der Blutkrebs zurückgekehrt war, musste er sich erneut einer Knochenmarktransplantation unterziehen, die weniger gut glückte als die erste und ihn für längere Zeit zum Pflegefall machte.

Doch schon bald fühlte er sich wieder stark genug, seinen Teil zum Kampf gegen HIV beizutragen.

Als junger Mann war er bereits in seiner Heimatstadt Seattle bei den Aids-Aktivisten von ACT UP aktiv gewesen, nun sprach er auf Aids-Kongressen und bei Community-Veranstaltungen. Unterstützt vom Fred-Hutchinson-Krebsforschungszentrum gründet er die „Timothy Ray Brown Foundation“, die sich weltweit für die Heilung von Aids einsetzt.

Timothy Ray Brown hat HIV tatsächlich besiegt, das Virus ist nicht mehr zurückgekehrt. Der Krebs schon.

„Mit großer Trauer gebe ich bekannt, dass Timothy heute Nachmittag um 15.10 Uhr, umgeben von mir und Freunden, nach einem fünfmonatigen Kampf gegen Leukämie verstorben ist,“ teilte sein Lebenspartner Tim Hoeffgen am 29. September 2020 über Browns Facebook-Seite mit.

Sie ist mittlerweile zu einem Kondolenzbuch geworden. Viele hundert Menschen aus aller Welt haben ihr Mitgefühl, ihre Trauer, aber auch ihren Dank zum Ausdruck gebracht. Die Einträge zeigen, wie viel Zuversicht und Hoffnung Timothy Ray Brown vielen Menschen gegeben hat, aber auch, wie viele er bei unzähligen Auftritten und Begegnungen persönlich inspiriert hat, etwa den HIV-Aktivisten Florian Winkler-Ohm aus Berlin, bekannt durch seinen Blog flosithiv.com und als Mitglied im Community-Gremium PositHIVe Gesichter der Deutschen Aidshilfe.

Mutig und nahbar in der Öffentlichkeit

„Timothys größtes Verdienst ist für mich, dass er sich neben seinen Ruhm als ‚Berliner Patient‘ einen ganz eigenen Status als Aktivist erarbeitet hat. Er hatte den Mut, sich in die Öffentlichkeit zu begeben und für Menschen mit HIV einzutreten“, sagt Florian Winkler-Ohm.

„Er hatte den Mut, sich in die Öffentlichkeit zu begeben und für Menschen mit HIV einzutreten“

Er hatte Brown bei einem Community-Talk der Deutschen Aidshilfe im Rahmen der Welt-AIDS-Konferenz 2018 in Amsterdam kennengelernt:

„Dieses Zusammentreffen war eine beeindruckende Begegnung. Für mich war er damals eine richtige Kultfigur, und ich erlebte ihn dort dann als ganz menschliche Person, überaus herzlich, offen und nahbar.“

„Als ich Timothy damals in Amsterdam sah, habe ich vor Freude geweint“, erinnert sich Lillian Petry aus Saarbrücken, die bei diesem Treffen ebenfalls dabei war. „Ich wusste, dass er sehr krank gewesen war, und nun stand er da und lächelte uns an. Er hatte eine lange Reise auf sich genommen, um bei diesem Kongress dabei zu sein, und war doch so voller Energie. Das hat mich überwältigt.“

Lillian Petry ist HIV-Aktivistin arbeitet im Haus Afrika e.V. in Saarbrücken, einem Zentrum für Migrant_innen. Im Jahr 2000 war sie selbst schwer erkrankt, nachdem sie aus Uganda nach Deutschland gekommen war. In ihrer Heimat hat sie viele Menschen an Aids und Tuberkulose sterben sehen.

„An eine Heilung haben wir nicht einmal im Traum gedacht“, erinnert sie sich. „Nun von seinem Tod zu erfahren und diese letzten Bilder von ihm als schwer krankem Mann zu sehen, das hat mich sehr bewegt und traurig gemacht.“

Sein Vermächtnis ehren

Auch die Wissenschaft zeigte sich gestern gegenüber Brown und Hütter dankbar: „Sie haben uns die Tür zu neuen Konzepten geöffnet, mit denen die Heilung von HIV möglich ist“, erklärte Adeeba Kamarulzaman, Präsidentin der International Aids Society (IAS).

„Timothy war ein Verfechter und Fürsprecher dafür, dass eine HIV-Heilung auf der politischen und wissenschaftlichen Tagesordnung bleibt“, erklärte ihre designierte Nachfolgerin Sharon Lewin.

Lewin formulierte noch einmal sehr exakt das Forschungsziel, das durch Brown denkbar geworden ist: HIV zu heilen oder im Körper zumindest drastisch zu reduzieren und das Immunsystem zur Kontrolle des Virus zu befähigen.

„Es ist die Hoffnung der wissenschaftlichen Gemeinschaft, dass wir sein Vermächtnis eines Tages mit einer sicheren, kostengünstigen und allgemein zugänglichen Strategie ehren können“, sagte Lewin.

Es wäre ganz sicher ein Denkmal nach seinem Geschmack.

Weitere Beiträge zu Timothy Ray Brown und der Forschung zur HIV-Heilung (Auswahl):

„Meine HIV-Heilung hat alles verändert“

“I Am the Berlin Patient: A Personal Reflection” (2015) – Timothy Ray Brown über seine Krankheits- und Heilungsgeschichte (in englischer Sprache)

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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