26 Jahre lang war er als Geschäftsführer ein zentraler Motor der Aidshilfe Köln. Zum Jahresende geht Michael Schuhmacher nun in den Ruhestand und übergibt die Aufgaben an den bisherigen stellvertretenden Geschäftsführer der Aidshilfe NRW, Oliver Schubert. Was dieser Stabwechsel für die beiden ganz persönlich bedeutet und wie sie den Übergabeprozess gestalten, schildern sie im Interview.

Michael, dein Arbeitsverhältnis endet offiziell zum Jahresende, deinen letzten Arbeitstag hast du bereits im November. Überwiegt derzeit die Vorfreude auf den Ruhestand oder eher die Wehmut angesichts des baldigen Abschieds?

Michael: Das verändert sich immer wieder ein wenig. Mein innerer Countdown läuft ja genau genommen schon ein Jahr, nämlich seit im Oktober 2019 feststand, wer meine Position übernehmen wird. Ich hatte dadurch genügend Zeit, manches in Ruhe zum Abschluss zu bringen und es meinem Nachfolger damit auch etwas einfacher zu machen. Ich habe auch schon vor einem halben Jahr private Sachen aus dem Büro geräumt, um nicht an meinem letzten Arbeitstag mit einer Kiste dazustehen. Dennoch war der Abschied noch eher abstrakt und hat mich noch nicht so berührt.

Was hat sich nun verändert?

Michael: Seit Anfang Oktober arbeitet Oliver bereits in der Aidshilfe und es geht um die konkrete Übergabe. Langsam spüre ich nun auch: Hier geht etwas zu Ende. Ich weiß jetzt schon, dass ich das tägliche Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen, gerade aus dem Leitungsteam, vermissen werde.

„Aids- und Selbsthilfe halte ich keineswegs für ein Auslaufmodell“

Zugleich aber freue ich mich darauf, wieder mehr selbstbestimmte Zeit für private Dinge zu haben, mich um Freunde kümmern oder lesen zu können. Das war in den letzten Jahren immer weniger möglich. Deshalb nehme ich auch die Möglichkeit wahr, mit 63 in Rente zu gehen. Denn ich wollte nicht irgendwann auf allen Vieren aus dem Büro kriechen, sondern die neu gewonnen Zeit auch produktiv für mich nutzen können.

Als du, Michael, vor 35 Jahren die Bonner Aidshilfe mitbegründest hast, wirst du nicht geahnt haben, dass du dein gesamtes Berufsleben in diesem Feld verbringen wirst – zunächst in Bonn, dann in der Deutschen Aidshilfe und schließlich als Geschäftsführer Aidshilfe Köln. War für dich, Oliver, der jetzige Jobwechsel eine ganz bewusste Entscheidung?

Oliver: Ich habe eben mal schnell nachgerechnet. Mittlerweile bin ich auch schon 17 Jahre dabei. Ich hatte zunächst im Gesundheitsamt der Stadt Köln gearbeitet und im Rahmen eines Praktikums die Aidshilfe Bonn kennengelernt, bin dort eingestiegen und habe Aidshilfe gewissermaßen von der Pieke auf gelernt.

Mit dem Wechsel nach nunmehr zehn Jahren im Landesverband NRW habe ich mich sehr bewusst für diesen Arbeitgeber und dieses Thema entschieden. Denn entgegen so mancher Unkenrufe, wie sie auf verbandlicher lokaler wie bundesweiter Ebene zu hören sind, halte ich die Aids- und Selbsthilfe keineswegs für ein Auslaufmodell. Im Gegenteil: Ich bin der Überzeugung, dass da noch genügend Arbeit auf uns wartet.

Kannst du da ein paar Punkte nennen?

Oliver: Ich denke da an den ganzen Komplex rund um Safer Sex 3.0. Doch es ist auch wichtig, dass wir nach wie vor in allen Bereichen eine aktive Minderheitenpolitik betreiben und uns für Menschen einsetzen, die das alleine vielleicht nicht so gut hinbekommen.

Dafür braucht es eine Stellvertreterorganisation wie die Aidshilfe, und dafür brenne ich tatsächlich nach wie vor. Aidshilfe kann da noch viel bieten und davon möchte ich ein Teil sein.

„Ich habe diese Arbeit immer sehr gerne gemacht. Aber man muss dafür brennen“

Michael: Auch wenn ich an manchen Abenden völlig erschöpft aus dem Büro herausgekrochen bin: Ich habe diese Arbeit immer sehr gerne gemacht. Aber man muss dafür brennen, wie Oliver schon sagte.

Das muss aus dem Herzen kommen, um immer wieder die Energie aus sich selbst heraufholen und die Menschen mitnehmen zu können. Es reicht nicht, einfach nur einen Job machen zu wollen. Natürlich könnte jeder mit einem Studium der Betriebswirtschaft Geschäftsführer werden. Aber ich denke es ist wichtig, dass Leute diesen Job machen, die – auch aus eigener Erfahrung – wissen, für welche Menschen sie diese Arbeit tun.

Das braucht es auch, um immer wieder ein Projekt initiieren und umsetzen zu können. Oder auch Geldgeber in der Politik überzeugen zu können, dass die Arbeit, die wir hier machen, weiterhin wichtig ist.

Du hast nun ein Vierteljahrhundert die Aidshilfe Köln mit aufgebaut. Gibt es da in der persönlichen Rückschau ganz besondere Meilensteine?

Michael: Ich glaube, man muss sich die Illusion nehmen, dass die Geschäftsführung eine Aidshilfe in eine bestimmte Richtung steuern kann, ohne alle mitzunehmen. Im Team der Kölner Aidshilfe arbeiten über 35 Menschen im Team, dazu kommen 200 Ehrenamtliche und nicht zu vergessen der Vorstand.

Ich kann Oliver nur bestätigen: Man muss zunächst mit sich selbst im Klaren sein, was man in einer Aidshilfe möchte. Das hat auch immer sehr viel mit dem persönlichen Hintergrund zu tun. Ich kam damals aus der Schwulenbewegung und wusste, dass wir angesichts der Bedrohung durch diesen neuen Virus aus der Community heraus etwas anbieten müssen.

So kam es zur Gründung der Bonner Aidshilfe. Wir haben über die vielen Jahre Aidshilfe zu einem Gesundheitsunternehmen aufgebaut, das ungeheuerlich viel leisten kann.

„Aidshilfe hat immer noch Potential“

Ich habe nie diese Haltung geteilt, dass Aids ein Auslaufmodell ist. Das, was wir durch HIV und Aids über und mit jenen Gruppen gelernt haben, für die wir vornehmlich Prävention machen, lässt sich gut auf viele andere Themen anwenden. Aidshilfe hat immer noch Potential.

Mit dem Leitungswechsel geht nun auch ein Generationswechsel einher. Bedeutet dies auch eine Veränderung der Schwerpunkte?

Oliver: Diese Frage hat man mir schon mehrfach gestellt – auf freundschaftlicher, beruflicher wie verbandlicher Ebene, und das hat mich doch überrascht. Natürlich wird sich hier manches verändern, schlicht weil mit mir eine andere Person ins Team kommt. Ob das wirklich etwas mit einem Generationswechsel zu tun hat, ist allerdings die Frage. Michael und ich sind uns in den Inhalten ziemlich ähnlich.

Michael: Da der Vorstand der Aidshilfe Köln ja schon vor einem Jahr die personelle Entscheidung mit dem Geschäftsführerwechsel getroffen hat, konnten wir uns im Laufe des Sommers immer wieder treffen und austauschen. Dabei haben wir festgestellt, dass wir in grundlegenden Fragen doch sehr ähnliche Haltungen und Herangehensweisen haben. Diese Kontinuität ist für mich natürlich sehr beruhigend.

Ich bin aber auch sicher, dass Oliver – eben auch weil er jünger ist – ganz anders mit unseren Communitys verbunden ist und vielleicht auch andere Formen des Kommunizierens mitbringt. Nach so vielen Jahren kann es einer Einrichtung wie der unsrigen nur guttun, wenn sich jemand die Abläufe und Strukturen mit einem anderen, frischen Blick anschaut oder mit einer anderen Art vielleicht auch für etwas Verwirrung sorgt. Das kann ja sehr produktiv sein und dem Haus ganz sicher helfen.

Oliver: Die Aidshilfe Köln wird im Herbst 2021 in neue Räume in der Pipinstraße umziehen, dadurch wird sich ohnehin viel verändern. Wir werden nicht nur endlich komplett barrierefrei, sondern wollen auch die Digitalisierung vorantreiben. Doch abgesehen davon, sehe ich zukünftig einige neue thematische Schwerpunkte in unserer Arbeit.

Eine zentrale Aufgabe der Aidshilfe wird natürlich weiterhin sein, für Menschen mit HIV da zu sein und auch die partizipativen Prozesse am Laufen zu halten. Darüber hinaus gibt es aber Themen wie Scham, psychische Gesundheit, Sexualität oder Substanzkonsum, die in unserer Arbeit zwar immer schon eine Rolle spielten, aber inzwischen einen ganz neuen Stellenwert bekommen haben.

„Wir werden uns weiterhin auch für jene stark machen, die außerhalb der Norm stehen“

Nicht nur wegen der zunehmenden rechten Kräfte in der Gesellschaft, sondern auch aufgrund des wachsenden Konservativismus, den ich wahrnehme. Wir werden uns gerade deshalb weiterhin auch für jene stark machen, die außerhalb der Norm stehen. Daher werden wir uns intensiver mit den Problemen von Diskriminierung beschäftigen müssen und dabei mehr als bisher die verschiedenen Identitäten berücksichtigen. Zum Beispiel müssen wir Frauen stärker und differenzierter in den Fokus rücken.

Die Nachfolge wurde mit einem sehr langen Vorlauf geregelt. Das ist sicherlich ungewöhnlich und vor allem sehr vorausschauend.

Michael: Ich habe immer mit Zielen gearbeitet: ‚Wo möchte ich hin und was sind die Schritte dorthin?‘ So war es auch in diesem Fall. Ich wusste, dass ich die Aidshilfe Ende 2020 verlassen möchte, und mir lag daran, den Übergang gut zu planen.

Wenn man wie ich 26 Jahre mit festen Zielen in der Aidshilfe gearbeitet hat, gibt es ja auch ein ganz persönliches Interesse, dass diese Arbeit fortgeführt und weiterentwickelt wird. Es ist eben nicht einfach so möglich, die Verantwortung für ein solches Haus mal schnell auf drei Seiten zusammenzuschreiben und dem Nachfolger auf den Schreibtisch zu legen. Das braucht Zeit, und für die wollte ich sorgen.

Wann stand für dich fest, dass du zum Jahresende 2020 in Rente gehen wirst?

Michael: Vor zwei Jahren. Es gab Leute, die befürchteten, dass mich danach vielleicht keiner mehr als Geschäftsführer ernst nehmen würde. Das Gegenteil ist eingetreten. Da meine Entscheidung und auch die Nachfolge so früh feststanden, konnte sich das ganze Haus mit viel Ruhe auf diesen Führungswechsel einstellen. Zugleich hatten Oliver und ich diesen langen Vorlauf dazu genutzt, um uns langsam aufeinander einzupendeln.

Wie sieht die Einarbeitungsphase, die ganz offiziell am 1. Oktober begonnen hat, nun praktisch aus?

Oliver: Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn durchaus auf vielen Feldern fachliche Kenntnisse sammeln können, dennoch habe ich mich beim Start hier in der Aidshilfe wie bei einem ersten Schultag gefühlt.

Für mich ging es zunächst erst einmal darum, den Laden besser kennenzulernen: die internen Abläufe, die Teams, die Büros und nicht zuletzt auch Arbeitsprojekte. Das ist deshalb auch so wichtig, damit ich diese später, wenn es um Vernetzung, Lobbyarbeit und Finanzierung geht, nach außen hin auch überzeugend vermitteln kann. Das braucht seine Zeit.

Im Moment durchlaufe ich eine klassische Einarbeitungsphase. Ich nehme an hausinternen Sitzungen, Fachveranstaltungen, Gremientreffen teil. Darüber hinaus setzen Michael und ich uns täglich zwei Stunden zusammen, in denen wir nach und nach eine feste Themenliste durchgehen. Aber weil wir ohnehin in einem Raum sitzen, tauschen wir uns genaugenommen den ganzen Tag miteinander aus.

Wir gehen aber auch noch zusammen auf Tournee (lacht). Ich muss natürlich auch Teile von Michaels Netzwerk und das der Aidshilfe Köln kennenlernen. Das betrifft Unterstützer_innen, Sponsor_innen, Menschen in der Community oder auch Verantwortliche in der Politik. Wie wichtig diese Vorstellungsrunden sind, sollte man nicht unterschätzen, denn diese Menschen sollen ja weiterhin der Aidshilfe gewogen bleiben.

„Ich habe mir vorgenommen, ein Jahr lang nicht mehr in die Aidshilfe zu gehen“

Michael: Mittlerweile hat Oliver auch schon Verantwortung für zwei Aufgabenbereiche ganz übernommen. Das entlastet nicht nur mich, sondern auch die Kolleginnen und Kollegen, die nicht mehr mit uns beiden kommunizieren müssen, sondern nun nur noch einen Ansprechpartner haben.

Und was passiert, wenn du an deinem letzten Arbeitstag die Tür der Aidshilfe hinter dir zugezogen hast?

Michael: Ich habe mir vorgenommen, ein Jahr lang nicht mehr in die Aidshilfe zu gehen. Ich denke, das ist wichtig, damit mein Nachfolger und das Team zusammenfinden können.

Ich werde mich aber ganz sicher mit einigen der Kolleginnen und Kollegen treffen, dann aber ganz privat und außerhalb der Aidshilfe. Und wenn Oliver nach meinem Ausscheiden Fragen haben sollte, hat er eine Telefonnummer, auf der er mich immer erreichen kann.

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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