Sie hat es geschafft: Gestern Abend saß Nadja Benaissa bei „Stern TV“ und sprach über ihre HIV-Infektion. Sie berichtete von ihrer Verhaftung, von ihrem Outing als HIV-Positive durch die Medien und von den Folgen für ihr Leben. Die No-Angels-Sängerin wirkte bei aller Nervosität selbstbewusst und reflektiert. Zu den Vorwürfen, sie habe einen ehemaligen Partner mit HIV infiziert, äußerte sie sich mit Verweis auf das laufende Strafverfahren allerdings nicht.

„Ich möchte auf jeden Fall weiter arbeiten und wieder in die Öffentlichkeit!“

Das Outing sei zwar gegen ihren Willen geschehen, erklärt Nadja Benaissa im Interview mit Günther Jauch, aber sie wolle jetzt ganz offen mit ihrer Infektion umgehen: „Ich möchte mich dem Ganzen stellen, anderen Mut machen und zur Aufklärung beitragen.“ Und: „Ich möchte auf jeden Fall weiter arbeiten und wieder in die Öffentlichkeit“.

Hinter Nadja Benaissa liegen schwere Zeiten. Schon länger kursierten im Internet Gerüchte darüber, dass sie HIV-positiv sei. Bei Günther Jauch bestätigt die Sängerin, es habe auch Erpressungsversuche gegeben. Menschen aus ihrem privaten Umfeld hätten damit gedroht, die Infektion öffentlich zu machen. „Viele Menschen haben das als Druckmittel und als Waffe benutzt.“

Im April dieses Jahres schließlich das Ende mit Schrecken: Nadja Benaissa wird kurz vor einem Auftritt in einer Diskothek verhaftet, weil ein Mann behauptete, sie habe ungeschützten Sex mit ihm gehabt. Die Staatsanwaltschaft macht die Verhaftung öffentlich.

Die Medien stürzen sich gierig auf den Fall: „AIDS-Drama um No Angel-Star“ schlagzeilt die BILD, die den Fall besonders skrupellos ausschlachtet. Die Intimsphäre der Sängerin wird zum Spielball des Boulevards. Ihre neunjährige Tochter habe durch den Medienrummel von ihrer Infektion erfahren, sagt Nadja Benaissa bei Jauch. „Traumatisierend“ sei das für das Kind gewesen, „sie wird noch viel Unterstützung brauchen, um das Ganze verarbeiten zu können.“

„Positiv sein heißt nicht krank sein. Ich habe eine ganz normale Lebenserwartung.“

Mit ihrem souveränen Coming-out via TV hat Nadja Benaissa nun die Fäden wieder mit in der Hand. Und sie nutzt die Chance zur Nachhilfe für alle, die ihr „AIDS-Dramen“ angedichtet haben: „Ich möchte diese Krankheit nicht bagatellisieren, aber ich komme damit sehr gut zurecht. Ich bin vollkommen gesund. (…) HIV-positiv sein heißt nicht krank sein. Wenn die Krankheit ausbricht, heißt sie Aids.“

Dank einer gut funktionierenden Therapie werde die Krankheit bei ihr aber höchstwahrscheinlich gar nicht ausbrechen, fährt Benaissa fort. „Ich habe eine ganz normale Lebenserwartung.“

Was denn dran sei an den Gerüchten, dass man sie schon vor längerer Zeit aufgrund ihrer Infektion aus der Band habe drängen wollen, will Günther Jauch wissen. Auch hier ein klares Statement: Manager und Band hätten sie von Anfang an unterstützt. „Gerade aus so schweren Krisen kristallisieren sich oft positive Dinge heraus“, erklärt Nadja Benaissa schließlich am Ende des Gesprächs. „Ich habe gesehen, wie viele Menschen – meine Freunde, meine Familie, meine Kollegen – mich wirklich lieben.“

Ob das nun die ganze Wahrheit ist – man wünscht es ihr. Auf jeden Fall hat Nadja Benaissa offenbar gute Berater, die sie beim öffentlichen Umgang mit der Geschichte unterstützen. Das ist auch an ihren Aussagen zum laufenden Strafverfahren gegen sie zu spüren. Dazu darf und will sie eigentlich nichts sagen. Souverän pariert sie Jauchs Versuche, doch etwas aus ihr heraus zu kitzeln, und erklärt freundlich: „Ich kooperiere mit den Behörden und helfe bei der Aufklärung.“

Nadja Benaissa hat es geschafft, die Geschichte zum Guten zu wenden.

Die Medien werden die Geschichte von Nadja Benaissa nun abermals verwerten. Sie werden den „gefallenen Engel“ nun als mutige Frau darstellen, die zu sich steht und ihr „Bekenntnis im TV“ ablegt. So funktioniert der Boulevard: Er nimmt immer die Geschichte, die er kriegen kann – und trägt so manchmal sogar zur Lösung von Problemen bei, die er selbst verursacht hat. Bei der Berichterstattung vom Prozess kann sich dann alles schon wieder völlig anders anhören.

Sicherlich, die Medien haben Nadja Benaissa keine andere Chance gelassen als die Offensive – sie saß gestern nicht freiwillig im Fernsehstudio. Und doch darf man die „Stern TV“-Sendung als eine Art Happy End sehen. Günther Jauch befragte seinen Gast sachlich und unaufgeregt, fast warmherzig. Und Nadja Benaissa hat es geschafft, ihre Geschichte zum Guten zu wenden.

Man sollte ihr nun nicht die Erwartung zumuten, in der Öffentlichkeit als HIV-Infizierte vom Dienst zu fungieren. Und doch hat die jetzt offen Positive gestern für das öffentliche Bild vom Leben mit HIV viel bewirkt.

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Holger Wicht

Holger Wicht, Journalist und Moderator, ist seit 2011 Pressesprecher der Deutschen Aidshilfe

1 Kommentar

  1. Herzlichen Dank an Nadja Benaissa für diesen Auftritt bei Stern TV. Wieviel er bewirkt hat, ist sicher gar nicht zu ermessen. In wieviele isolierte Wohnungen dieser Republik das mutige Statement getragen wurde:
    „Ich möchte diese Krankheit nicht bagatellisieren, aber ich komme damit sehr gut zurecht. Ich bin vollkommen gesund. (…) HIV-positiv sein heißt nicht krank sein. Wenn die Krankheit ausbricht, heißt sie Aids.“
    So kurz und klar kann frau diese Dinge auf den Punkt bringen. Ich bin sicher: für Viele, die noch immer versteckt mit HIV leben, war das ermutigend.

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