Abschied

„Die Brücke ist die Solidarität“

Von Gastbeitrag
Beate Jagla
Foto: Aidshilfe NRW

Seit 1987 hat sie in der Aidshilfe auf vielen Ebenen mitgemischt, sie geprägt und sich immer wieder mit klugen Beiträgen zu Wort gemeldet. Nun verabschiedet sich Beate Jagla aus dem Arbeitsleben. Wir haben sie gefragt, was von den über 30 Jahren in der Aidshilfe bleibt.

Was hat dich an Aidshilfe so lange fasziniert?

Auch wenn der Spruch „Das Private ist politisch“ fast so alt ist wie ich selbst, ist er immer noch richtig.

Von Haus aus bin ich Psychologin. Gelernt habe ich also, wie Menschen sich individuell weiterentwickeln können. Diese individuellen Entwicklungsmöglichkeiten sind oft durch die Lebenssituation begrenzt. In der Aidshilfe geht es nicht nur darum, Individuen Wissen und Knowhow bereitzustellen, damit Menschen für sich den richtigen Weg finden können. Es geht darüber hinaus um die Veränderungen der Verhältnisse. Damit geht notwendigerweise einher, sich politisch einzumischen. Auch wenn der Spruch „Das Private ist politisch“ fast so alt ist wie ich selbst, ist er immer noch richtig. Es ist eben kein Zufall, dass nur in einem Gefängnis in der Republik Spritzen vergeben werden. Und es ist auch kein Zufall, dass die Aidshilfe Aachen mit Buttersäure, Hundekot, Steinen und Schüssen angegriffen wird. Aber es gibt auch sehr menschliche Gründe, die mich überzeugt haben zu bleiben. Ich hatte von Anfang an wunderbare Kolleg*innen um mich, im Team, in der Geschäftsführung, im Vorstand, später auch im Öffentlichen Gesundheitsdienst und beim Land Nordrhein-Westfalen. Besser hätte ich es nirgends treffen können. Das war mit immer klar.

Was hat dich geärgert oder frustriert?

Wirklich geärgert hat mich das In-Kraft-Treten des Prostituiertenschutzgesetzes 2017. Ich habe grundsätzlich eine sehr positive Haltung gegenüber der Politik. In Nordrhein-Westfalen habe ich viele Politiker*innen erlebt, die bereit waren zuzuhören, zu lernen und das Mögliche möglich zu machen. Bei der Diskussion um das Prostituiertenschutzgesetz haben bundesweit alle kompetenten Menschen und Institutionen – Sexarbeiter*innen selbst, Prostituiertenberatungsstellen, Aidshilfen, der Öffentliche Gesundheitsdienst – all ihre Fachlichkeit mit großem Engagement in Gespräche, Stellungnahmen und Anhörungen eingebracht. Aus meiner Sicht ist es nach wie vor ein Skandal, wie die Bundespolitik diesen geballten fachlichen Rat ignoriert hat. Ich bin sehr gespannt, ob das bei der Evaluation des Gesetzes anders laufen wird.

Worüber hast du dich besonders gefreut?

Grundsätzlich ist es oft schwer, die Erfolge von Prävention nachzuweisen.

So lästig Mpox sind, hat der Verlauf des Ausbruchs gezeigt, wie schnell ein solcher Ausbruch bewältigt werden kann, wenn das in der HIV-Prävention gewachsene Netzwerk aus (in unserem Fall) Landesregierung, Universitätskliniken, niedergelassene Ärzt*innenschaft, Aidshilfe und Öffentlicher Gesundheitsdienst dafür aktiviert werden kann. Das ist in meinem Bundesland wirklich super gelaufen. Jede Struktur hat ihre Aufgabe übernommen, damit die Impfungen baldmöglichst anlaufen können und die Informationen die richtigen Menschen erreichen. Grundsätzlich ist es oft schwer, die Erfolge von Prävention nachzuweisen. Hier kann man es wirklich an den Zahlen ablesen.

Was macht dich traurig?

Traurig macht mich, dass wir in all den Jahren so viele Menschen verlieren mussten. Menschen, die die Struktur aufgebaut haben, in der ich arbeiten durfte. Menschen, die zu sich selbst standen und ihren Platz in der Gesellschaft einforderten. Menschen, die mutig waren und oft ziemlich viel riskiert haben. Meine erste Beerdigung in der Aidshilfe war die von Jörg Vathke 1992. Es folgte eine gefühlt unendliche Reihe von Beerdigungen schwuler Männer, drogengebrauchender Menschen und von Frauen mit HIV. Beerdigungen kann ich heute nur noch schwer aushalten.

Was hat dich sehr überrascht?

Wirklich überrascht hat mich, und da bleiben wir beim Thema, Rüdiger Kriegel. Wir saßen von 1998 bis 2001 nur gut drei Jahre zusammen im Bundesvorstand. Als er 2015 starb, musste ich feststellen, dass er testamentarisch festgelegt hatte, dass ich auf seiner Beerdigung zu seinem Engagement in der Aidshilfe sprechen soll. Wir hatten uns 14 Jahre nicht gesehen oder gesprochen! Seine Freund*innen und Weggefährt*innen haben mich bei der Textentwicklung dann sehr unterstützt, sodass wir ihn würdig verabschieden konnten. Die Rede halten zu dürfen, empfand ich als eine große Ehre.

Was ist für dich Aidshilfe?

Aidshilfe ist für mich erst einmal eine gelungene Antwort auf eine massive gesundheitliche Bedrohung von Menschen. Auch die Arbeitsteilung zwischen staatlichen Institutionen und der Zivilgesellschaft ist richtig und erfolgreich. In der Corona-Pandemie hätte ich mir mehr davon gewünscht. Politik ist kein guter Sender von Präventionsbotschaften. Dieses Wissen, das in 40 Jahren HIV-Prävention erworben wurde, hat sich nicht so im gesamtgesellschaftlichen Gedächtnis verankert, wie ich mir das gewünscht hätte.

Aidshilfe als beispielhafter Ort des gesellschaftlichen Zusammenlebens

Aidshilfe ist für mich auch ein beispielhafter Ort des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Da ist zum einen die Vereinsdemokratie. Ich finde es wichtig, dass das Handeln der Vereine in ihrer Mitgliedschaft und natürlich auch in den Zielgruppen der Arbeit verankert ist. Mir ist bewusst, dass das nicht immer einfach ist. Vor allem in großen Vereinen ist das Risiko, das ehrenamtliche Vorstände tragen müssen, sehr hoch. Trotzdem scheint es mir für unsere Arbeit wichtig, Menschen davon überzeugen zu können mitzutun und mitzuentscheiden. Und dann ist da die Verwirklichung von Solidarität. Der Schulterschluss zwischen schwulen Männern und drogengebrauchenden Menschen in den 80er Jahren gehört zur DNA der Aidshilfe. Auch wenn es sicher gemeinsame Interessen gab, waren doch die Lebenswelten des schwulen „Mittelschichtlers“ und des kriminalisierten Drogengebrauchenden ziemlich weit voneinander entfernt. Trotzdem ist der Schulterschluss gelungen. Die Brücke ist die Solidarität. An der muss weiter gebaut werden. Für Frauen mit HIV war es schon nicht mehr ganz so einfach, ihren Platz in der Aidshilfe zu finden. Aber zumindest gab es schon Frauen in der Aidshilfe, auch wenn die in ihrer Mehrheit nicht positiv waren. Es gab also Anknüpfungspunkte für ein solidarisches Band. Für Menschen aus Ländern des mittleren und südlichen Afrika erscheint es mir heute noch schwerer, genug Platz zu finden. Schwarze Menschen in der Mitarbeiter*innenschaft und in Vorständen sind doch eher noch die Ausnahme. Ich würde Aidshilfe raten, Beteiligung hier aktiv zu fördern.

Was wünschst du uns?

Aidshilfe ist ein Ort des Zugangs zu Gesundheit und Gesellschaft für alle Gruppen geworden, die sich in dieser Organisation wohl fühlen. Gleichzeitig gefährden die Folgen der Corona-Pandemie, steigende Preise für Energie, Personalkosten und anderes die Stabilität der Vereine. Ich wünsche den Aidshilfen, dass Politiker*innen das gesundheits- und gesellschaftspolitische Potential der Aidshilfen, das weit über HIV hinausgeht, weiter wertschätzen und in ausreichendem Maße unterstützen.

Vielen Dank für alles, liebe Beate, und alles Gute für dich!

Beate Jagla startete 1987 in der Aidshilfe NRW mit einem Halbjahrespraktikum. Danach folgten Aufträge der Deutschen Aidshilfe und der Aidshilfe Bonn. Ihre Diplomarbeit schrieb sie in Kooperation mit der AIDS-Hilfe Freiburg. 1992 wurde sie Mitarbeiterin der Aidshilfe NRW für den Bereich Mitgliedsorganisationen. Die letzten zehn Jahre leitete sie die Geschäftsstelle der Arbeitsgemeinschaft AIDS-Prävention NRW. In diesem Gremium beraten Vertreter*innen der Kommunen, der Aidshilfen und anderer Freien Träger sowie des Landes Nordrhein-Westfalen über Strategien der HIV/STI-Prävention. 1998 bis 2001 war sie Mitglied des Vorstandes der Deutschen Aidshilfe.

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