Politik

Bundestagswahl 2021: Wahlprüfsteine der Deutschen Aidshilfe

Von Axel Schock
Eine Kette aus Luftballons in den Farben des Regenbogens vor dem Reichstagsgebäude

Was haben wir von den Parteien nach der Bundestagswahl zu erwarten? Wie wollen sie der Diskriminierung von Menschen mit HIV entgegenwirken? Werden sie Drogenkonsument*innen weiter kriminalisieren oder Angebote der Schadensminimierung fördern? Wollen sie die Prostitution noch weiter regulieren oder die Rechte von Sexarbeiter*innen stärkeren?

Der Wahlausgang am 26. September entscheidet nicht nur über die Zusammensetzung des 20. Deutschen Bundestagswahl, es fallen damit auch wichtige Richtungsentscheidungen für die Prävention von HIV, Hepatitis und anderen sexuell übertragbaren Infektionen. Die Wahlergebnisse beeinflussen, ob Deutschland seine Erfolge in der Prävention halten und ausbauen kann. Bei der Bundestagswahl entscheiden wir alle auch darüber, ob Menschen, die HIV haben oder davon bedroht sind, die bestmögliche Unterstützung erhalten – in Deutschland und weltweit.

Die Deutsche Aidshilfe hat darum die Positionen der Parteien zu relevanten Politikbereichen in Wahlprüfsteinen abgefragt. Unser Fragebogen ging an alle Parteien, die voraussichtlich ins Parlament einziehen werden – mit Ausnahme der AfD. „Die Haltung und das Menschenbild der AfD widersprechen diametral unseren Grundsätzen und den Grundlagen unserer Arbeit“, begründet der DAH-Vorstand diese Entscheidung. „Eine Partei, die für Ausgrenzung und Abwertung vieler Menschen steht, gefährdet Grundrechte und schadet der Prävention und der Antidiskriminierungsarbeit.“

Unsere Grafiken geben einen Überblick über die Antworten. Die Haltung der Parteien zu den Fragen haben wir zudem kurz zusammengefasst. Ein Link führt jeweils zu den kompletten Antworten der Parteien zu den jeweiligen Wahlprüfsteinen.

HIV- und STI-Prävention brauchen Kontinuität und spezifische Angebote für verschiedene Zielgruppen. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass die Etats für Prävention von HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen in vollem Umfang erhalten und sachgerecht ausgebaut werden?

Bündnis 90/Die Grünen , Die Linke und die SPD setzen sich für eine sachgerechten Ausstattung bzw. Ausbau der Präventionsprogramme ein. Die FDP bleibt vage, will auf „Überzeugung statt Bevormundung“ setzen und das Präventionsgesetz reformieren. Die CDU/CSU wollen an der 2016 von der Bundesregierung beschlossenen „Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C sowie anderer sexuell übertragbarer Krankheiten“ festhalten und Präventions- und Versorgungsangebote auf verschiedene Altersgruppen und Lebensbereiche ausrichten.

Wie werden Sie der Diskriminierung von Menschen mit HIV entgegenwirken, insbesondere gesetzlich? Werden Sie die Kategorie HIV oder chronische Erkrankungen in die Merkmalsliste des AGG aufnehmen und ein HIV-Testverbot für Einstellungsuntersuchungen festschreiben?

Bündnis 90/Die Grünen möchten der Diskriminierung von Menschen mit HIV „entschieden entgegentreten“ und deshalb das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu einem echten Bundesantidiskriminierungsgesetz entwickeln. Die Linke setzt sich für die Erweiterung des AGG ein wie auch für ein HIV-Testverbot bei Einstellungsuntersuchungen.

Die FDP will immerhin prüfen, ob die Kategorien HIV oder chronische Erkrankungen in die Merkmalsliste des AGG aufgenommen werden sollen. Die SPD sieht Klärungsbedarf im allgemeinen Arbeitsrecht. Die CDU/CSU bleibt vage. Man werde sich dafür einsetzen, dass Menschen mit einer chronischen Krankheit wie HIV sich im alltäglichen Leben in allen Bereichen ganz selbstverständlich einbringen und teilhaben können.

Werden Sie geschlechtliche Selbstbestimmung ohne Gutachten oder (Zwangs-) Beratung sowie Zugang zu transitionsbezogener medizinischer Versorgung ohne Diskriminierung sicherstellen? Setzen Sie sich für eine Entschädigung von Personen ein, die Zwangsmaßnahmen durch das TSG ausgesetzt waren?

Bündnis 90/Die Grünen, die SPD und Die Linke wollen, dass die Gesundheitsversorgung von trans Personen eine Regelleistung der gesetzlichen Krankenkasse wird. Beide Parteien unterstützen in vollem Umfang die Forderungen nach einem Selbstbestimmungsgesetz sowie nach Aufarbeitung und Entschädigung für fremdbestimmte Operationen an trans* und inter* Personen. Zum Selbstbestimmungsgesetz schweigen sich CDU/CSU aus, eine Entschädigung planen die Unionsparteien nicht. Dafür verspricht sie „die strukturellen, organisatorischen und regionalen Zugangsbarrieren für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen“ zum medizinischen Versorgungssystems abzubauen. Die FDP antwortete ausweichend und möchte lediglich Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes um das Merkmal „sexuelle Identität“ ergänzen.

Werden Sie sich dafür einsetzen, Inhaftierte in die Gesetzliche Krankenversicherung aufzunehmen (Änderung SGB V)? Was werden Sie tun, um die Behandlungen von Infektions- und Suchterkrankungen entsprechend den Standards in Freiheit zu garantieren (z.B. HIV-/HCV-Behandlung, Impfungen, Substitution)?

Bündnis 90/Die Grünen wollen eine dem GKV-Leistungskatalog ebenbürtige Versorgung (inklusive Substitution) über Steuermittel finanzieren. Die Linke pocht ebenfalls auf Gleichbehandlung, sagt aber nicht, wie sie realsiert werden soll. Sie fordert außerdem Maßnahmen der Schadensminimierung für Drogen konsumierende Menschen in Haft wie Spritzentauschautomaten, Konsumräume, Safer-Use-Hilfen. Die FDP bleibt vage und will sich für eine gute medizinische Versorgung auch von Inhaftierten – inklusive der Behandlung von Infektions- und Suchterkrankungen – einsetzen. Ähnlich knapp antwortet die SPD. Sie will, dass für Inhaftierte die Versorgungsstandards von gesetzlich Versicherten gelten. Man verweist jedoch, wie CDU/CSU, auf die Hoheit der Bundesländer bei Fragen der Gesundheitsvorsorge in Justizvollzugsanstalten.

Strafrechtliche Verfolgung von Drogenkonsument*innen schadet deren Gesundheit. Wie werden Sie dem entgegenwirken und Schadensminimierung ausweiten (z.B. Druckchecking, Substitution)? Wie werden Sie Hilfsangebote sicherstellen, z.B. für Migrant*innen oder bei sexualisiertem Substanzkonsum/Chemsex?

Anders als die CDU/CSU wollen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke den Substanzkonsum entkriminalisieren. Die CDU/CSU sieht unmittelbare und massentaugliche Sanktionen sowie Beratungs- und Therapieangebote als probate Mittel. Bündnis 90/Die Grünen tritt außerdem für einen Ausbau der Substitutionsbehandlung ein. Die CDU/CDU, die FDP und Die Linke setzen sich für eine kontrollierte Abgabe von Cannabis und für die Einrichtung von Drug Checking-Angeboten ein. Die Linke fordert darüber hinaus flächendeckenden Zugang zu Drogenkonsumräumen und die Take-Home-Vergabe von Naloxon. Die SPD bleibt eine Antwort zur Entkriminalisierung schuldig, in der Drogenpolitik will man einen „konsequenten Harm-Reduction-Ansatz“ verfolgen. Drug-Checking-Modellen steht man aufgeschlossen entgegen, sie dürften allerdings „nicht als Ermutigung wahrgenommen werden“.

Wie werden Sie dafür Sorge tragen, dass Menschen flächendeckend einen Zugang zu anonymen und niedrigschwelligen (Schnell-) Testangeboten haben, auch in ländlichen Regionen? Werden Sie Einsendetests fördern?

Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke halten alle Test-Angebote für sinnvoll und unterstützenswert. Die FDP setzt auf frei verkäufliche HIV-Selbsttests, und erwähnt Teststellen nicht explizit. Außerdem will man prüfen, ob der Zugang zu Einsendetests verbessert werden kann. CDU/CSU antworten uneindeutig und bezeichnen HIV-Selbsttests als „Meilenstein beim Kampf gegen AIDS“. Die SPD lobt frei verkäufliche Selbsttests als niedrigschwellige und anonyme Testmöglichkeit, schweigt sich zu Einsendetests und anderen Testangeboten jedoch aus.

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens bietet Chancen, birgt für Menschen mit stigmatisierten Erkrankungen aber besondere Risiken. Wie werden Sie Sicherheit, Datenschutz, informationelle Selbstbestimmung und barrierearme Zugänge zu Datenspeicherungssystemen bzw. Alternativen sicherstellen?

CDU/CSU antworten ausweichend und scheinen mit der bereits eingeführten Telematikinfrastruktur zufrieden zu sein. Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und die SPD hingegen möchten für mehr Datensicherheit und informelle Selbstbestimmung bei der elektronischen Patientenakte sorgen. Beide Parteien wie auch die FDP wollen einen barrierefreien Zugang sicherstellen. Die FDP sieht in den gesammelten Gesundheitsdaten ein enormes Potential. Sie sollen daher – mit Einwilligung der Patient*innen – für die Forschung genutzt werden können. Die SPD wollen die Digitalisierung als einen Baustein für eine flächendeckende Gesundheitsversorgung nutzen. Dazu gehören für die Partei auch Weiterbildungsangebote, um Diskrimierungen und Stigmatisierungen zu vermeiden.

Es gibt Bestrebungen, Sexarbeit noch stärker zu regulieren oder in die Illegalität zu drängen. Was werden Sie tun, um Rechte von Sexarbeiter*innen und soziale Absicherung zu stärken? Wie werden Sie Zugänge zu Prävention, Hilfs- und Beratungsangeboten und gesundheitlicher Versorgung sich erstellen?

Die Linke fordert u.a. für Sexarbeiter*innen Anspruch auf Sozialleistungen und sozialversicherte Beschäftigung, auf Umschulung sowie freien Zugang zu gesundheitlicher Versorgung. Während CDU/CSU das bestehende Prostituiertenschutzgesetz loben, will es Bündnis 90/Die Grünen evaluieren und Orte der legalen Prostitution stärker kontrollieren. Zudem sollen Berufsaussteiger*innen unterstützt werden. Die SPD mit der aktuellen gesetzlichen Regelung ebenfalls zufrieden, fordert aber, dass die Schutzvorschriften „endlich in allen Bundesländern und Kommunen umgesetzt und überwacht“ werden. Um die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter*innen zu verbessern, verspricht die FDP einen Maßnahmenkatalog zu erarbeiten und so u.a. den Zugang zu Prävention, Hilfs- und Beratungsangeboten gesundheitlichen Versorgung zu gewährleisten. CDU/CSU möchten Präventions- und Bildungsprogramme gegen Menschenhandel realisieren. Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU, FDP und Die Linke heben hervor, gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel vorgehen zu wollen.

9. Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Aufenthaltspapiere

Will Ihre Partei die für den Zugang zu Gesundheitsversorgung notwendigen öffentlichen Stellen von der Übermittlungspflicht nach § 87 Aufenthaltsgesetz ausnehmen, damit Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus gemäß ihrem gesetzlichen Anspruch ohne Angst vor Abschiebung zum Arzt gehen können? (Wir übernehmen diese Frage und die dazugehörigen Antworten den Wahlprüfsteinen von Ärzte der Welt)

Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke setzen sichfür einen Zugang zu gesundheitlicher Versorgung auch für Menschen ohne Krankenversicherungsschutz oder Wohnungslose und unabhängig vom Aufenthaltsstatus ein. Die CDU/CSU antwortet ausweichend und verweist auf das bestehende Asylbewerberleistungsgesetz.

Die FDP will prüfen, ob – neben Beschäftigen im Gesundheitswesen, die einer Schweigepflicht. unterliegen – z.B. auch Ausgabestellen anonymer Krankenscheine von einer Übermittlungspflicht personenbezogener Daten befreit werden können. Die Antwort der SPD steht noch aus.

.

Die vollständigen Antworten der Parteien stehen hier als PDF zur Verfügung:

Zu internationalen Fragen hat das Aktionsbündnis gegen Aids (AgA), in dem die DAH Mitglied ist, eigene Wahlprüfsteine erhoben. Sie sind online abrufbar.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

57 + = 64