„Das sind Menschen, die einen klaren Kopf bekommen wollen“
In der Praxis PATRIDA (griech. „Heimat“) wird die Echtstoffvergabe als Teil eines nachhaltigen Entwicklungsprozesses gesehen, der die Fähigkeit zur Selbsthilfe stärken soll. Wir sprachen mit dem Psychiater und Leiter der PATRIDA Diamorphin-Ambulanz Dr. Thomas Peschel über Konzepte, Vorbehalte und Erfolge der diamorphingestützten Behandlung.
Das Gespräch gehört zu einer dreiteiligen Interview-Reihe von Philine Edbauer (#MyBrainMyChoice) zum Thema Diamorphin.
Die diamorphingestützte Behandlung hat wie die Substitutionsbehandlung das Ziel der sozialen Stabilisierung. Was genau kann man sich darunter vorstellen?
Das Ziel ist die soziale Reintegration, also die Rehabilitation der Opiatabhängigen. Die erste Voraussetzung dafür, an Resozialisierung überhaupt denken zu können, ist die Schadensbegrenzung. Diese beginnt mit der Entkriminalisierung: der Moment, in dem ein*e Patient*in durch die Tür kommt und Diamorphin bekommt. Diese Person kauft in der Regel kein Heroin mehr auf der Straße und hat kein Problem mehr mit Illegalität. Damit ist der Tag nicht mehr nur auf die Beschaffung ausgerichtet. Aber Menschen, die zu uns kommen, bringen oft ein Bündel an Problemen: von Obdachlosigkeit über körperliche Erkrankungen, Infektionskrankheiten oder desolate Zähne bis zu Schulden, offenen Verfahren und sogenanntem Beikonsum, also Abhängigkeiten von anderen Substanzen. All das muss angegangen werden. Wesentlich ist zudem eine Wohnung oder zumindest ein Rückzugsort, was in Berlin nicht so einfach ist.
Dr. Thomas Peschel, Leiter der Diamorphin-AmbulanzWir unterstützen die Patient*innen bei der Selbstfürsorge, was einige nie gelernt haben. Es ist eine Langzeitbehandlung über Jahre.
Wer aus dem Kreislauf der Versorgung herauskommt, findet Raum zum Nachdenken – das ist nicht immer angenehm und muss begleitet werden. Es dauert Monate oder auch Jahre, bis jemand wieder Perspektiven entwickelt: Was mache ich mit meinem Leben und mit meinem Tag? Die Aufgabe ist, wieder ein eigenes Gefühl dafür zu entwickeln, was einem wichtig ist. Wir unterstützen die Patient*innen bei der Selbstfürsorge, was einige nie gelernt haben. Es ist eine Langzeitbehandlung über Jahre, manchmal für das restliche Leben. Der Weg zur Abstinenz ist unter den Patient*innen eher die Ausnahme.
Was bedeuten die Konzepte Gesundheit und Lebensqualität in der Praxis? Sie tauchen häufig zur Erklärung der Diamorphin-Behandlung auf, aber ihre genaue Definition ist schwierig.
Was man unter diesen Begriffen versteht, ist von individuellen Umständen abhängig. Eine allgemeinere Definition für Lebensqualität kann sein, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und freie Entscheidungen zu treffen. Aber davon sind die meisten unserer Patient*innen weit entfernt. Die Patient*innen haben beim Heranwachsen gelernt, das zu tun, was andere für richtig halten, also sich an deren Definition von Lebensqualität ausgerichtet.
Als gesund gilt meist nur, wer abstinent ist – das glauben auch viele Patient*innen. Wir müssen sie davon überzeugen, dass es notwendig sein kann, über längere Zeit oder dauerhaft Diamorphin oder die anderen Substitute zu nehmen, um die Lebensqualität zu steigern. Unsere Patient*innen haben die abstinenzorientierten Wege nicht geschafft. Im Regelfall sind die Menschen, die zu uns kommen, seit 20 Jahren abhängig. Es kann auch gelingen, das Mittel auszuschleichen, aber das ist nach so langer Zeit dann oft ein ein Prozess von Monaten oder Jahren.
Wir vertreten die Auffassung, dass nicht die Heroinabhängigkeit das Problem ist, sondern dass sie die Folge von einem psychischen Problem ist, einer Entwicklungstraumatisierung beispielsweise. Eine Substanz, die Wärme, Geborgenheit und Sicherheit vermittelt, kann traumatisierten Menschen helfen. Man muss sich also um die Traumatisierung kümmern und dafür erst den Boden bereiten.
Wenn Sie sagen, Sucht sei keine eigenständige Krankheit, arbeiten Sie nicht mit der Definition des Internationalen Klassifikationssystems?
Das Internationale Klassifikationssystem für psychische Krankheiten ist deskriptiv und stellt keine Zusammenhänge über Gründe her. Nur ein Trauma darf ich bei bestimmten Symptomen wie innerer Leere oder Flashbacks diagnostizieren, wenn aus der Analyse klar wird, dass ein entsprechendes Ereignis zu einer bestimmten Zeit aufgetreten sein ist. Bei Sucht werden dagegen nur Symptome als Kriterien für die Diagnose beschrieben.
Zu diesen Kriterien gehört unter anderem: Ich vernachlässige meine sozialen Interessen, ich will immer mehr, habe eine Toleranzentwicklung, möchte es nicht nehmen, kann aber nicht aufhören, habe sonst Entzugserscheinungen, wenn ich die Einnahme stoppe. Wenn jemand zu uns in die Behandlung kommt, dann ist aber keine Toleranzentwicklung mehr gegeben, sondern es gibt eine Dosis, die den Patient*innen reicht. Obwohl sie mehr haben können, nehmen sie nicht mehr. Das einzige Kriterium, das noch zutrifft, sind körperliche Entzugserscheinungen – aber das trifft auch für Antidepressiva und Neuroleptika zu. Nur da heißt es laut Pharmaindustrie dann „Absetz-Syndrom“.
Dr. Thomas Peschel, Leiter der Diamorphin-AmbulanzWir vertreten die Auffassung, dass nicht die Heroinabhängigkeit das Problem ist, sondern dass sie die Folge von einem psychischen Problem ist.
Grundsätzlich mag ich den Begriff „Sucht“ nicht, sondern spreche lieber von „Abhängigkeit“. Das Wort „Sucht“ ist immer negativ konnotiert. Im Aufnahmegespräch frage ich immer die Patient*innen: „Wieso sind Sie denn heroinabhängig?“ Dann kommt oft die Antwort: „Weil ich süchtig bin.“ Also frage ich, welche Erfahrungen man mitbringt oder wieso man diese Substanz braucht. Denn kein Mensch möchte abhängig sein. Unsere Patient*innen wollen diese Problem loswerden.
Würden Sie also argumentieren, dass die Sprache ein wichtiger Hebel für einen angemessenen Umgang mit den Menschen ist?
Ja, ich glaube schon. Das ist ein Anfang, denn aus meiner Perspektive stelle ich ein Medikament zur Verfügung. Ein Psychopharmakon, das im Regelfall gut gegen Entwicklungstraumatisierung hilft. Für mich ist das ganz offensichtlich, aber für die Patient*innen nicht. Sie glauben an eine Willensschwäche, sie seien süchtig nach einer Substanz, die man mit genug Anstrengung weglassen könne. Auch wenn man wiederholt damit gescheitert ist, abstinent zu werden.
Wenn mich im Aufnahmegespräch nachfrage, wie es mit Heroin statt ohne läuft, sprechen die Patient*innen vom Zurechtzukommen und keine Depressionen, sondern Antrieb zu haben. Meine Antwort darauf ist: „Ich glaube nicht, dass Sie süchtig sind. Sie nehmen es wie ein Medikament, weil sie es brauchen. Aber die schlechte Botschaft ist, Sie sind psychisch krank.“
Es wäre viel gewonnen, wenn man von dem gängigen Suchtbegriff wegkommen würde und Patient*innen nicht nur auf ein Problem reduziert, für das Abstinenz die einzige richtige Lösung sei. Sagt man stattdessen, jemand braucht eine Dauermedikation, ist man nicht so eindimensional auf den Aspekt der Sucht fokussiert.
Die diamorphingestützte Behandlung ist den anderen Substitutionsarten rechtlich nicht gleichgestellt. Wäre es besser, wenn sie es wäre?
Auf jeden Fall. Die Schweizer Kolleg*innen können nach eigener Einschätzung entscheiden, welche Behandlung die beste ist. In Deutschland gibt es zur Substitution ungleich höhere Schwellen. Ein*e Patient*in muss mindestens 23 Jahre alt, fünf Jahre intravenös abhängig und schwer psychisch krank sein, also viele Folgen der Illegalität aufweisen, um überhaupt in die Behandlung kommen zu können. Man muss außerdem zuvor mit einem anderen Substitutionsmittel mindestens ein halbes Jahr lang behandelt worden sein. Manche merken aber schon nach kurzer Zeit, dass die Substitutionsmittel nicht das richtige für sie sind.
Es wäre viel sinnvoller, Personen, die auf den intravenösen Gebrauch von Heroin nicht verzichten können, frühzeitig eine diamorphingestützte Behandlung anzubieten [das anders als die anderen Substitutionsmittel in der Regel gespritzt wird, Anm. d. Red.]. Wenn die soziale Stabilisierung und eine gewisse Resozialisierung stattgefunden haben, brauchen viele nicht mehr unbedingt die Spritze, sondern kommen mit anderen Substituten klar.
In Deutschland gibt es zu wenige Diamorphin verschreibende Ärzt*innen, um allen mit Bedarf die Diamorphin-Behandlung zugänglich machen zu können. Die Behandlung stößt auf Vorbehalte.
Es gibt Kolleg*innen, die sich die Praxis ansehen und fragen: „Herr Peschel, wie gelingt Ihnen die Quadratur des Kreises?“ Aus solchen Besuchen ist zum Beispiel eine weitere Diamorphin-Ambulanz in Berlin entstanden. Aufklärung und Information sind wichtig, um zu zeigen, wie die Behandlung geht, und ihre Stigmatisierung zu überwinden.
Dr. Thomas Peschel, Leiter der Diamorphin-AmbulanzUnsere Patient*innen sind zum Teil schwerkranke Menschen, die jahrelang einfach nicht richtig gesehen und behandelt worden sind.
Auch Kolleg*innen aus der Substitutionsbehandlung fehlt es noch an Wissen. Die meisten Patient*innen, die für die diamorphingestützte Behandlung geeignet sein könnten, sind gar nicht in Behandlung, weil sie rausgeworfen oder nicht ernst angekommen wurden. Das heißt, wir haben diese Ärzt*innen nicht auf dem Schirm. Weil es wiederum in Deutschland nur so wenige Patient*innen [1,5 % Anteil Diamorphin unter den Substitutionsmitteln, Anm. d. Red.] und so wenige Ambulanzen [deutschlandweit 14, Anm. d. Red.] gibt, fehlt die Erfahrung dafür, wer für die Behandlung geeignet sein könnte. Dabei hat die Heroinstudie [2008, Anm. d. Red.] eindeutig gezeigt, dass ein Teil der opiatabhängigen Menschen deutlich mehr von Diamorphin als von anderen Substituten profitiert. Das Spritzen an sich ist extrem stigmatisiert. Tatsächlich ist das Spritzen von Diamorphin für die Gefäße kein Problem, anders als bei illegalem Heroin.
Ein Punkt unseres Leitbildes hier ist es, das Wissen an Kolleg*innen weiterzugeben und auch über Pressetermine in die Öffentlichkeit zu tragen. Auch um klarzustellen: Unsere Patient*innen sind zum Teil schwerkranke Menschen, die jahrelang einfach nicht richtig gesehen und behandelt worden sind. Es wäre gut, wenn sich die Irrtümer über die diamorphingestützte Behandlung aufklären würden, damit man diesen Menschen endlich gerecht wird.
Im deutschen Fernsehen sieht man in letzter Zeit häufiger Straßenbilder aus den USA und Kanada. Die Kameras schwenken auf Menschen in elendigen Lebenssituationen. Wie ergeht es Ihnen, wenn Sie diese Bilder sehen?
Ich kann es nicht fassen, dass man die Menschen mit der Kriminalisierung und Stigmatisierung so allein lässt. Ich finde es schade, weil man den Menschen ja helfen könnte. Wir haben das Wissen dazu. Amerika und Kanada sind sehr abstinenzgeprägt. Da ist die Substitution kaum ausgebaut und Substitute wie Methadon oder Polamidon im Angebot, aber nichts zum Spritzen. Dieses Mantra, man dürfe nichts verschreiben, was abhängig macht, gerade Opioide nicht, sollte man nicht aufrechterhalten. Die Verbreitung vonFentanyl ist ein Ergebnis davon, dass diese Nachfrage illegal bedient wird.
Es ist bekannt, dass die Heroinkrise in den USA und Kanada hausgemacht ist. Es gab eine Verschreibungspraktik, bei der bei jedem Befinden ein starkes Opioid verschrieben wurde, sodass man Menschen in eine Abhängigkeit gebracht hat. Daher gab es viele Opiatabhängige, von denen einige auch psychisch davon profitiert haben, so dass man das nicht einfach entgiften konnte, als der Zugang über die Ärzt*innen von heute auf morgen gekappt wurde. Es gab keine Substitutionsplätze und die Menschen mussten sich die Mittel anders besorgen. Es wurde etwa zu Heroin oder Fentanyl auf dem illegalen Markt gegriffen. , Dies hat für unsäglich viel Leid und Tote gesorgt – bis heute reagiert man nicht vernünftig darauf.
Dass Ärzt*innen von heute auf morgen die Rechtssicherheit bei der Verschreibung genommen wurde und ihnen plötzlich Haftstrafen drohten, haben Sie als wesentliches Problem beschrieben. Im Gegenzug könnte man fragen: Warum haben sie es denn davor falsch gemacht und zu viel Opioide verschrieben?
Es war eine erschreckend erfolgreiche Marketing-Strategie der Pharmaindustrie. Das Opioid wurde unter der falschen Angabe beworben, dass es nicht abhängig mache. Daraufhin haben viele das leichtfertig verschrieben und dann wurden die Patient*innen abhängig. Später hat man erkannt, was schiefgelaufen war. Aber als diese Verschreibungspraxis dann verboten wurde, hat man die Patient*innen mit der Abhängigkeit im Regen stehen lassen. Die Substanzen an sich sind nicht schlecht und werden weiterhin medizinisch eingesetzt, etwa Fentanyl oder Oxycodon gegen starke Schmerzen oder bei Tumoren. .
In Deutschland gab es bei der diamorphingestützten Behandlung auch nicht immer Rechtssicherheit. Wie ist die Situation heute?
2017 hat sich die Betäubungsmittelverordnung insofern verändert, dass sie strafrechtlich abgeschichtet wurde. Früher hat man gesagt, als Substitutionsärzt*in stehe man mit einem Bein im Gefängnis. Das ist jetzt nicht mehr der Fall, sondern es ist jetzt berufsrechtlich geregelt. Wie bei anderen Behandlungen auch, gilt jetzt, dass ich meine Arbeit neben der Einhaltung gewisser Standards vernünftig machen muss.
Man hatte sich Sorgen gemacht, dass die Substitute den Markt überschwemmen würden. Aber eine Opioid-Epidemie wie in den USA kann hier so nicht passieren. Wir verschreiben ja eher zu wenig. Die Verschreibung von Betäubungsmitteln ist für die Ärzt*innen sehr streng reglementiert. Man ist sehr vorsichtig, sodass einige Schmerzpatient*innen zu schlecht eingestellt sind.
Ärzt*innen könnten sich Sorgen machen, dass sie ausgenutzt werden, wenn Patient*innen offen ihre Wünsche äußern und erwarten, dass diese erfüllt werden.
Das entspricht nicht meiner Erfahrung. Ich würde nicht unterstellen, dass jemand versucht, einen auszunutzen. Und ich muss ja auch nicht alles mitmachen. Vielmehr sind das Menschen, die zurechtkommen und einen klaren Kopf bekommen wollen. Diejenigen, die sich „zudröhnen“ wollen, tun einem leid, weil sie ihr Leben nur sediert ertragen – dann muss man nach und nach ihre Probleme abschichten, bis die Menschen wieder etwas wacher werden, weniger seelische Schmerzen haben und weniger Schmerzmittel brauchen.
„Das Gegenteil von Sucht ist nicht Abstinenz, sondern Gemeinschaft.“ Auf Ihrer Website haben Sie dieses Zitat von Johann Hari hervorgehoben. Wie setzen Sie das in Ihrer Praxis um?
Es geht darum, worunter die Patient*innen im Regelfall leiden. Die Psychiatrie nennt das oft Persönlichkeitsstörungen, aber es sind oft Beziehungsstörungen. Wem schwerwiegende Gewalt angetan wurde, der ist misstrauisch. Es sind nicht alle Patient*innen schwer traumatisiert worden, aber für einen Großteil trifft es zu.
Wer über die Peergroup abhängig wurde, ist spätestens mit Eintritt in das Behandlungssystem als Heroinabhängige*r stigmatisiert worden. Oder man hat die Erfahrung von Scheitern und Rückfällen gemacht, man betrachtet es als Willensschwäche und macht Erfahrungen mit einem Hilfesystem, dessen Erwartung nicht erfüllt werden können.
Dr. Thomas Peschel, Leiter der Diamorphin-AmbulanzIch würde nicht unterstellen, dass ein*e Patient*in versucht, einen auszunutzen. Vielmehr sind das Menschen, die zurechtkommen und einen klaren Kopf bekommen wollen.
Wenn ich an den Rand der Gesellschaft gedrängt werde, ist das für die Seele nicht so gut. Wenn ich aber in der Gemeinschaft sein kann, wenn man Schönes erleben kann, wieder als ganzer Mensch und nicht nur auf die Abhängigkeit reduziert gesehen werde, dann geht es mir ein Stückchen besser. Insofern versuchen wir in unserer Einrichtung, Patient*innen einen Raum zu geben, wo ihre Würde geachtet wird.
Arbeiten Sie mit den Angehörigen der Patient*innen?
Das ist das Effektivste. Die Angehörigen sind ja die wichtigsten Menschen im Leben der Patient*innen – auch wenn sie ein negatives Suchtbild haben, womit sie zusätzlich unter Druck setzen. Deswegen sind die Aufklärungsgespräche so wichtig. Da erkläre ich die Zusammenhänge. Sie haben zum Beispiel Angst, beklaut zu werden. Das passiert natürlich nicht, wenn jemand hier in Behandlung ist. Und Eltern denken oft von sich selbst, sie hätten etwas falsch gemacht. Diese Vorwürfe kann man entlasten und die Beziehungen so herstellen, wie sie eigentlich sein müssten. Die Aufklärung von Angehörigen ist das erste, was ich damals von meinem Oberarzt als Arzt gelernt habe. Er hat gesagt, Sie müssen die Angehörigen immer mitbehandeln, denn sie sind von der Erkrankung mitbetroffen. Sie leiden ja mit.
Wenn Traumatisierungen in der Kindheit bei vielen eine große Rolle spielen, wie kann man dann Eltern mitnehmen, die vielleicht Teil des Problems sind?
Den Patient*innen erkläre ich, wenn man die Eltern zu einem Gespräch einlädt, sei es ja schon ein gutes Zeichen, wenn sie kommen. Sie brauchen sich keine Sorgen machen, dass es hier Schuldzuweisungen gibt, auch wenn ich als Psychiater dabei bin und analysiere. Ich kenne keinen Menschen, der jemand anderem wirklich absichtlich schaden will. Manchmal sind die Lebensumstände so, dass man sich nicht um seine Kinder kümmern kann, weil alle arbeiten oder man es selbst nicht gelernt hat, man war selbst traumatisiert und das Trauma dann weitergegeben, weil man keinen anderen Umgang damit kennt. Mit der Haltung ist es dann relativ unproblematisch, Gespräche über die Krankheit der Patient*innen und die Behandlung zu führen.
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