„Suchtkranke Menschen dürfen nicht noch zusätzlich bestraft werden“
#MyBrainMyChoice ist eine zivilgesellschaftliche Initiative zur Entkriminalisierung von Drogen konsumierenden Menschen. Im Interview erläutert Philine Edbauer einige der insgesamt 13 Forderungen für eine bessere und sozialere Drogenpolitik.
Philine, eine ganze Reihe an Fachverbänden und Organisationen hat in den letzten Jahren eine grundlegende Reformierung der deutschen Drogen- und Suchtpolitik angemahnt. Eure Kampagne #MyBrainMyChoice widmet sich gezielt der Entkriminalisierung von Menschen, die Drogen konsumieren. Weshalb ist dieser Fokus für euch so wichtig?
Die aktuellen Gesetze fokussieren darauf, den Konsum von Drogen zu bestrafen, aber schaffen es nicht, die Risiken beim Drogengebrauch, etwa bei Jugendlichen, zu reduzieren. Im Gegenteil: Die Strafverfolgung richtet im Leben oft großen Schaden an. Die insgesamt 13 Forderungen unserer Kampagne richten sich deshalb an die Politik im Land und im Bund, denn dort sind die Hebel, mit denen man etwas verändern kann.
Unsere Kampagne verstehen wir darüber hinaus aber auch als ein gesellschaftliches Projekt. Denn jene Menschen, die selbst oder in ihrem Umfeld nichts mit Drogen zu tun haben, bekommen oft gar nicht mit, welche Folgen die Kriminalisierung konkret hat und welche einschneidenden Auswirkungen sie auf ein Leben haben kann, sogar schon in sehr jungem Alter.
Kannst du einige dieser Folgen konkreter benennen?
Uns irritiert am meisten, dass Jugendschutz in erster Linie für Eltern gemacht wird, die sich Sorgen machen, beziehungsweise sich an Jugendlichen orientiert, die ohnehin nicht zu illegalisierten Drogen greifen würden – oder lediglich ein-, zweimal.
Jugendschutz muss mit Jugendlichen zusammen gedacht werden
Damit aber werden Jugendliche, die aus welchen Gründen auch immer Drogen konsumieren, über Bord geworfen und ihnen wird signalisiert, dass sie weniger wert sind. Dass sie keinen Anspruch auf Hilfe haben. Dass sie nicht mit Erwachsenen darüber reden können, sondern sich verstecken müssen, weil ihnen sonst Sanktionen drohen. Wenn in ihrem Umfeld beim Drogenkonsum etwas schiefläuft, sind sie verunsichert, ob sie einen Notarzt rufen können oder ihnen dadurch ebenfalls Strafen drohen.
Wir finden, dass der Jugendschutz ganz anders und mit den Jugendlichen zusammen gedacht werden muss. Statt die Polizei auf sie zu hetzen, müsste hier mit einer anderen Haltung herangegangen und gefragt werden: Was braucht ihr, um euch und euren Freundeskreis zu schützen?
Wie umfassend sollte die Entkriminalisierung gedacht und umgesetzt werden? Alle dürfen alles in jeder Form konsumieren?
Es geht vor allem darum, eine neue Definition des Eigengenbrauchs zu finden. Der größte Teil des Drogengebrauchs ist unproblematisch und zudem gesellschaftlich unsichtbar. Denn die meisten Menschen konsumieren Drogen allein oder zusammen mit Freund*innen. Aus diesen Bereichen sollte die Polizei abgezogen werden.
Für die wenigen Fälle, wo es Schwierigkeiten gibt und etwa das Umfeld mithineingezogen wird, gibt es schon längst gesundheits- und sozialpolitische Lösungen sowie Projekte, die intervenieren oder präventiv helfen können. Auch da braucht es die Polizei nicht. Im Gegenteil: Aus der Suchthilfe wissen wir, dass Kriminalisierung negative Wirkungen auf den Behandlungserfolg hat oder Leute davon fernhält, sich frühzeitig Unterstützung zu holen beziehungsweise überhaupt anzuerkennen, dass man Hilfe braucht. Die Kriminalisierung hat hier also keinerlei positiven Effekt, mit dem man sie begründen könnte.
Ob der Drogenbesitz legal oder kriminell ist, entscheidet sich oft an wenigen Gramm.
Eigenbedarfsmengen kann man theoretisch an festen Grenzwerten festmachen. Wir orientieren uns jedoch an den Empfehlungen des globalen Dachverbands drogenpolitischer Organisationen, des International Drug Policy Consortium. Zu diesen gehört, auch andere Faktoren mitzuberücksichtigen, die einen Hinweis darauf geben können, ob die Drogenmenge tatsächlich nicht nur für den persönlichen Gebrauch hergestellt oder erworben wurde. Die Beweislast muss bei der Staatsanwaltschaft liegen, dass die vorgefundene Drogenmenge beispielsweise nicht nur der Nutzung im Freundeskreis dient, sondern in größerem Umfang in den Handel gebracht wurde. Denn Drogen zu teilen, ist ja eine gängige Praxis.
Für Drogenkonsument*innen muss auch möglich sein, sich einen persönlichen Vorrat anzulegen. Denn das kann eine Strategie des Selbstschutzes bei der oft schwankenden Qualität der Drogen sein. Wenn die Qualität gut ist, holt man sich davon lieber gleich mehr und reduziert auf diesem Weg vermeidbare gesundheitliche Schäden. Oder der Drogenvorrat dient nicht vordergründig dem Rauscherlebnis, sondern eine abhängige Person möchte damit leidvolle Entzugserscheinungen vermeiden. Es muss also mit der notwendigen Gesetzesänderung verhindert werden, dass suchtkranke Menschen noch zusätzlich bestraft werden.
Mit der Entkriminalisierung ist der – im weitesten Sinne – problematische Drogenkonsum nicht automatisch aus der Welt geschafft. Welche flankierenden Maßnahmen jenseits juristischer Veränderungen sind hier euer Ansicht nach notwendig?
Eine unserer 13 Forderungen ist die flächendeckende Etablierung von Drogenhilfe. In den Städten funktioniert das mehr oder weniger gut; das Stadt-Land-Gefälle – gerade bei der Substitutionsbehandlung – ist jedoch eklatant. Aber auch Basisangebote der Drogenhilfe mit ihrem großen Spektrum an Möglichkeiten – von Abstinenz bis Diamorphinbehandlung – müssen gesichert sein. Diese gesundheitlichen Möglichkeiten wahrnehmen zu können, steht allen Menschen zu, ist aber nicht Realität. Diese Lücken müssen auf Landes- wie Bundesebene geschlossen werden.
Das Stigma muss aufgehoben werden
Ich glaube, dass es manche Länderregierungen und insbesondere auch die neue Bunderegierung bereits besser wissen und tätig werden. Wir wollen aber darauf hinwirken, dass auch das gesellschaftliche Stigma und die Selbststigmatisierung der Konsumierenden aufgehoben werden – wonach Menschen, die illegale Drogen nehmen, der Gesellschaft nur auf der Tasche lägen und ihr Recht auf medizinische Versorgung verloren hätten.
Welche Hilfsangebote jenseits der medizinischen Versorgung müssen verstärkt oder gar erst aufgebaut werden?
Da wäre zum Beispiel das Thema Drug-Checking, das erfreulicherweise auch auf der Agenda der Bundesregierung steht. Wir wollen hier gerne mithelfen, das Thema in die breite Gesellschaft zu tragen. Wichtig ist, dass Drug-Checking nicht nur in Großstädten und im Party-Kontext diskutiert und umgesetzt wird, sondern Konsumierenden aller Substanzen gleichwertig zugänglich ist. Dazu gehört beispielsweise auch die Möglichkeit, den Wirkstoffgehalt des Heroins kontrollieren lassen zu können.
Wir sehen Drug-Checking nicht nur als Safer-Use-Maßnahme, sondern auch als wertschätzende Geste gegenüber den drogenabhängigen Menschen, denen man sonst gerne unterstellt, ohnehin kein Interesse an ihrer Gesundheit zu haben. Dazu steht im krassen Widerspruch, dass man ihnen gleichzeitig die Möglichkeiten der Gesundheitsversorgung oder der Schadensminderung einschränkt oder sogar entzieht.
Die kontrollierte Abgabe von Cannabis war Wahlkampfthema und die Bundesregierung wird diese Forderung nun wohl tatsächlich auch umsetzen. Wie ordnet ihr diese Entwicklung ein?
Derzeit erhält Cannabis in der Tat die ganze Aufmerksamkeit und die Legalisierung von Cannabis, also die Entkriminalisierung und eine legale Regulierung des Cannabismarktes, steht auf der politischen Agenda. Das ist ein hart erkämpfter, dringend nötiger politischer Schritt auf dem Weg zur Beendigung des Drogenverbots und ich freue mich sehr darüber. Auch weil in dieser Diskussion wahrgenommen wurde, dass Kriminalisierung negativ wirkt und es andere, wissenschaftlich bestätigte Möglichkeiten gibt, mit dem Konsum umzugehen.
Solidarität nicht an Konsumpräferenzen festmachen!
Cannabis ist allerdings auch die bekannteste und gebräuchlichste der illegalisierten Drogen. Jene Substanzen, die weniger beliebt und verbreitet sind, haben damit auch weniger Fürsprecher*innen. Bei der Anerkennung der schädlichen Folgen einer Kriminalisierung darf allerdings niemand zurückgelassen werden. Es reicht nicht, dass Cannabis nun von einer illegalen zu einer legalen Droge umdeklariert wird und man damit die Abgrenzung zu anderen, weiterhin illegalisierten Substanzen herausstellt. Es geht uns darum, generelle Solidarität aufzubauen und diese nicht an bestimmten Konsumpräferenzen festzumachen, sondern grundsätzlich das Problem der Verbotspolitik und Strafverfolgung zu thematisieren.
Könnte die Legalisierung von Cannabis nicht auch ein Türöffner sein, um – wie von eurer Kampagne gefordert – auch andere Substanzen zu entkriminalisieren?
Ja, das könnte passieren. Zumindest wird nun auf breiterer Ebene registriert, dass in der Drogenpolitik bisher etwas Grundlegendes falsch gemacht wurde und es auch anders geht. Aber man kann nicht automatisch erwarten, dass diejenigen, die sich jetzt für Cannabis eingesetzt haben, sich danach für die Entkriminalisierung der anderen Substanzen engagieren. Schon allein, weil der persönliche Bezug fehlt.
Jetzt, da das Thema Cannabis so gut wie erledigt ist, ist das Fenster offen, um die generelle Entkriminalisierung von Drogen voranzutreiben. Und wir haben endlich einen Drogenbeauftragten, bei dem man nicht jede Aussage erst einmal sachlich richtigstellen muss. Das gibt uns genügend Freiräume, die Entkriminalisierung auf die politische Agenda zu bringen. Das Ziel unserer Kampagne ist, und das kann ich auch offen sagen, die Drogenpolitik zum Wahlkampfthema der nächsten Bundestagswahl zu machen.
Was treibt dich persönlich an, dass du dich für das Thema Entkriminalisierung engagierst?
Ich komme nicht, wie man vielleicht denken könnte, aus der Drogenhilfe, sondern aus dem Bereich Menschenrechte und Gerechtigkeit. Ich bin eigentlich eher zufällig zu diesem Thema gestoßen, das mit so vielen anderen eng verschränkt ist: Sozial- und Innenpolitik, Armutsbekämpfung, Kinderarmut, Jugendschutz und Rassismus.
Drogenkonsum ist überall bekannt, aber zugleich unsichtbar
Mich treibt an, dass der Drogenkonsum für die meisten Menschen außerhalb ihrer ausgewählten Peers unsichtbar ist. Die meisten Menschen haben mit der Strafverfolgung sehr wenig zu tun, da sie null Berührungspunkte haben und sich keine Sorgen machen müssen, dass sie auf der Straße angehalten werden oder eine Hausdurchsuchung erleben. Auch der illegale Markt läuft für die meisten Leute sehr gut. Deshalb ist die Solidarität mit denen gering, die dabei in die Mühlen der Strafverfolgung geraten. Das Irritierende ist, dass so viele Leute aus den verschiedensten Schichten und Milieus es eigentlich besser wissen müssten. Denn der Drogenkonsum ist überall bekannt, aber zugleich auch unsichtbar.
Es gibt aber vielleicht auch einen persönlichen Aspekt. Ich gehöre zu denjenigen, die ihre keineswegs schöne Kindheit überlebt haben. Ich hatte glücklicherweise meine eigene Bewältigungsstrategie gefunden – eine, die nicht stigmatisiert und kriminalisiert ist. Aber es gibt Menschen, die eine ähnliche Biografie haben und nicht das Glück, die Freunde und die Perspektiven hatten wie ich und die sich zur Bewältigung – völlig zu Recht – betäuben. Und sie werden zusätzlich noch bestraft, weil sie Substanzen nehmen, die für sie wie Medizin wirken. Das ist so ungerecht und so falsch – und zugleich wird den Menschen das Gefühl gegeben, selbst schuld zu sein und den Anspruch auf Hilfe verwirkt zu haben.
Mehr als meine Vergangenheit aber motiviert mich, dass wir mit #MyBrainMyChoice eine Initiative aufgebaut haben, mit der wir nicht nur solidarisch sein, sondern politisch und gesellschaftlich etwas verändern können.
Vielen Dank für das Gespräch!
Website zur Kampagne: mybrainmychoice.de
Website zu den 13 Forderungen: entkriminalisierung.info
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