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„Langfristig brauchen wir flächendeckend Drug-Checking-Angebote“

Von Holger Sweers
Hauptamtliche von SubCheck: Sebastian Franke und Patrick Krauße (Bild: SubCheck)

Drug-Checking ist endlich auch in Deutschland legal möglich – dank einer Lösung aus Thüringen. Wir haben mit Sebastian Franke vom Safer-Nightlife-Projekt Drogerie gesprochen.

Lieber Sebastian, erst einmal herzlichen Glückwunsch zur erfolgreichen Umsetzung eures Drug-Checkings-Projekts – das erste Mal seit 1996, als der erste Versuch von Eve & Rave Berlin eingestellt wurde.

Danke sehr, wir sind auch noch ganz geflasht.

Wie habt ihr das geschafft, was seit 25 Jahren unmöglich schien? Und was ist überhaupt das Drogerie-Projekt?

Die Drogerie gibt’s seit dem Jahr 2000. Startpunkt war eine Untersuchung, ob und inwieweit Drogen in der Thüringer Musikszene eine Rolle spielen. Spoiler-Alarm: Ja, tun sie, sogar eine größere Rolle als vorher gedacht. Seit 2000 arbeiten wir daher mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Umfeld der Musik- und Partyszene, die mit Drogen in Kontakt kommen könnten oder schon Erfahrungen haben.

Wer ist „wir“? Und wie groß ist das Projekt?

Die Drogerie besteht aus haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden vom Präventionszentrum der SiT Suchthilfe in Thüringen gGmbH (SiT). Wir arbeiten im Partysetting, und zwar nach dem Peer-to-Peer Ansatz. Unser wichtigstes Ziel ist, junge Leute für einen bewussten Umgang mit legalen wie illegalisierten Drogen zu sensibilisieren, Risiken so weit wie möglich zu minimieren und sie bei Problemen ans Hilfesystem zu vermitteln.

„Unser wichtigstes Ziel ist, junge Leute für einen bewussten Umgang mit legalen wie illegalisierten Drogen zu sensibilisieren“

Das Drug-Checking Pilotprojekt der SiT heißt SubCheck, es knüpft eng an die Arbeit der Drogerie an. SubCheck gibt es offiziell seit Mitte 2018 und besteht aus zwei Sozialarbeitern, nämlich meinem Kollegen Patrick Krauße und mir.

Wie arbeitet die Drogerie ganz praktisch?

Unser Markenzeichen ist sicher das Wohnmobil, mit dem die Peer-Mitarbeiter*innen zu verschiedensten Musikevents fahren und es dann dort als Info-Point und Chill-out-Area nutzen. Ganz wichtig: Im Mobil gibt es keinen Konsum, das ist ein Safe Space. Innen und davor kann man in ruhiger Atmosphäre Gespräche führen, sich entspannen oder sich einfach mal zurückziehen. Und nicht zuletzt können die Mitarbeiter*innen zum Beispiel bei Überdosierungen schnell und sicher reagieren.

Zurück zu SubCheck. Seit wann habt ihr versucht, euer Projekt zum Laufen zu bringen?

Seit 2017 etwa, da haben wir die ersten Konzepte zur Finanzierung geschrieben und erste Anträge auf Landesmittel gestellt. Im Koalitionsvertrag von 2014 hatten die Parteien damals festgehalten, ein Drug-Checking-Angebot umzusetzen. Und 2018 gab’s dann tatsächlich Geld vom Thüringer Gesundheitsministerium für ein Pilotprojekt.

Wie sah das geplante Projekt aus?

Zunächst hatten wir vor, mit Chemiker*innen der Friedrich-Schiller-Universität Jena ein stationäres Labor-Angebot zu entwickeln, bei dem User*innen ihre Substanzen testen lassen können. Dazu haben wir mit Leuten aus der Suchthilfe gesprochen, aus dem Innen-, Justiz und Gesundheitsministerium, aber auch mit konservativen Gegner*innen von Drug-Checking.

Gab es rechtliche Bedenken? Eine Bremse für Drug-Checking-Projekte war ja die Frage, ob Mitarbeiter*innen, die Substanzen zur Analyse entgegennehmen, diese Substanzen „besitzen“ – was nach Betäubungsmittelgesetz illegal ist.

Da hat uns das Gutachten[1] des Strafrechtsprofessors Cornelius Nestler Auftrieb gegeben, wonach Drug-Checking, so wie es auch in Berlin geplant ist, legal wäre. Nestler sagte: Bei Drug-Checking-Projekten fehlt der „Besitzwille“, weil die Substanzen ja analysiert und dann vernichtet werden.

Und warum ging es dann nicht 2018 schon los, auch in Berlin?

Ein Problem bleibt: Um die Instrumente fürs Drug-Checking gewissermaßen zu eichen, braucht man Referenzsubstanzen, und um diese zu bekommen, braucht man wiederum eine Sondererlaubnis des Bundesamts für Arzneimittel und Medizinprodukte, kurz BfArM, zur „Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr“. Diese Erlaubnis bekommt man aber nicht, wenn man nicht gerade eine Forschungseinrichtung oder Ähnliches ist.

Also hat das BfArM de facto alle Drug-Checking-Projekte blockiert?

Ja, de facto hat das BfArM bislang alle Anfragen bezüglich der Einrichtung von Drug-Checking Angeboten blockiert.

Wie seid ihr dann zur Thüringer Lösung gekommen?

Eher zufällig. Einer der Chemiker von der Uni Jena hatte zusammen mit Dr. Felix Blei studiert. Dieser Dr. Blei hat ein Verfahren zur Analyse von Psilocybin entwickelt, dem Inhaltsstoff bestimmter bewusstseinsverändernder Pilze, und dann weitergemacht mit einer Forschungsarbeit zur Bestimmung des MDMA-Gehalts von Substanzen.

Der Clou: Die Thüringer Lösung sieht keine „Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr“ vor

Mit einem EXIST-Gründerstipendium für sein Projekt „miraculix“ hat er schließlich im März 2021 mit seinen beiden Kolleg*innen Roxana Preuß und Frank Junger eine eigene Firma für die Entwicklung und den Vertrieb solcher Tests gegründet und arbeitet seitdem im Rahmen eines Kooperationsvorhabens mit uns zusammen. LSD-Tests gibt’s auch schon, und auch zur Analyse von THC oder CBD auf synthetische Cannabinoide arbeitet Dr. Blei gerade an einem Verfahren zur Quantifizierung.

Und warum kann das BfArM das Projekt nicht wieder blockieren?

Unser Konzept sieht keine „Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr“ vor. Die reine Analyse von verdächtigen Substanzen stellt keinen erlaubnispflichtigen Tatbestand nach dem Betäubungsmittelgesetz dar. Die in der Extraktionsflüssigkeit gelöste Substanz wird chemisch aufgespalten und so als Droge unbrauchbar gemacht. Die aufgelöste Substanz ist also kein Betäubungsmittel. Die Vorbereitung der Probe wird durch unsere Chemiker*innen angeleitet und durch die Klient*innen eigenhändig durchgeführt.

Wie läuft so ein Drug-Checking-Einsatz konkret ab?

Als Erstes reden wir mit den Veranstalter*innen von Musikevents. Nur wenn die einverstanden sind, kommen wir mit unserem Drogerie-Wohnmobil und bieten dann vor Ort unseren Safe Space mit Beratung an. Das wird vorher aber nicht angekündigt. Trotz Landesauftrag wollen wir nicht riskieren, dass Partygänger*innen vielleicht mit Substanzen auf Tasche kontrolliert werden. Es geht ja uns allen darum, die Klient*innen zu schützen und sie nicht noch zusätzlichen Gefahren auszusetzen.

Okay, wenn ihr das Angebot nicht bewerbt, wie erfahren die Leute davon?

Zum Beispiel, wenn Leute in einem Gespräch sagen, sie wüsste gerne, was und wie viel davon tatsächlich in ihren Substanzen ist. Dann erwähnen wir unser Drug-Checking-Angebot. Und die Leute kommen wirklich oft auf das Thema zu sprechen, weil es sie beschäftigt.

Gut, jetzt kann es also zum eigentlichen Testen kommen. Wie läuft das?

Dann wird das Wohnmobil zum Labor. Die Person, die ihre Substanz testen lassen will, bekommt eine Schutzbrille, einen Laborkittel und Laborhandschuhe. Dann wird das Vorgehen erklärt, die Person wiegt mit der Feinwaage die benötigte Menge Substanz ab und gibt sie schließlich selbst in die chemische Lösung.

Drug-Checking ohne Kontakt mit psychoaktiven Substanzen

Nun kann jemand vom Labor von Dr. Blei die Probe an sich nehmen und nach allen Regeln der Kunst analysieren. Die Labormitarbeiter*innen haben keinen Kontakt mit einer psychoaktiven Substanz, außerdem werden die Reste der Proben vernichtet. Wenn die Analysen fertig sind, teilen wir den Leuten mit, was gefunden wurde – oder auch, dass nichts gefunden wurde.

Was bewirkt so eine Analyse?

Zusammen mit der Beratung vorher und hinterher kann so ein Drug-Checking eine Menge bewirken. Neulich hatten wir zum Beispiel eine sehr hoch dosierte Ecstasypille. Die Person hat dann gesagt, sie würde auf jeden Fall nur einen kleinen Teil der Pille konsumieren, falls überhaupt. In einer anderen Probe, die eigentlich harmloses Cannabidiol enthalten sollte, haben wir synthetische Cannabinoide entdeckt – hier hat der User lieber auf den Konsum verzichtet.

Wie ist das Feedback der Leute?

Phänomenal, auch von den Veranstalter*innen. Hier wird klar: Niemand will sich bewusst schädigen, die Leute haben allergrößtes Interesse daran, ihre Risiken so gering wie möglich zu halten.

Wenn in einer Probe hohe Konzentrationen eines Wirkstoffs gefunden werden oder gefährliche andere Inhaltsstoffe, bleibt das dann im Beratungsgespräch oder was macht ihr mit den Infos?

Geplant ist, dass wir unsere Ergebnisse im Rahmen unserer „Pillenwarnungen“ auf der Drogerie-Webseite veröffentlichen. Bei der Ecstasy-Pille mit dem hohen MDMA-Gehalt haben wir das schon getan. Außerdem führen wir eine Statistik, die Aufschlüsse über Konsumverhalten, häufig konsumierte Substanzen und auch über Probleme mit dem Konsum geben kann.

„Die Leute haben allergrößtes Interesse daran, ihre Risiken so gering wie möglich zu halten“

Aber unser vorrangiges Ziel ist es, Brücken zum Hilfesystem zu bauen, um Freizeitdrogenkonsumierende niedrigschwellig zu erreichen, sie professionell zu beraten und zu begleiten. So kommen unsere Adressat*innen in die Lage, ihr Konsumverhalten zu reflektieren.

Wie lange läuft euer Projekt und wie sind die Aussichten?

Das Pilotprojekt ist bis Ende 2021 befristet, aber bald laufen die Haushaltsverhandlungen für 2022, und ich hoffe sehr, dass wir das Projekt fortsetzen können. Der politische Diskurs ist da – und wir sind bereit.

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