Überdosierungen führen immer wieder zu vermeidbaren Todesfällen. Anlässlich des Overdose Awareness Day am 31. August haben wir mit Tibor Harrach über lebensrettendes Drug-Checking gesprochen.

Von Benedict Wermter

Bald ist es soweit: In Berlin geht Deutschlands erstes Drug- Checking- Projekt an den Start. Bei den Trägern Vista und Fixpunkt, die akzeptierende Drogenarbeit leisten, und der Schwulenberatung Berlin können Drogenkonsument_innen Substanzen testen lassen. Gefördert wird das Modellprojekt vom Berliner Senat, 150.000 Euro stehen im Doppelhaushalt 2018/2019 für Beratungsstellen und Laboranalysen bereit. So sollen verantwortungsbewusster Konsum ermöglicht und Überdosierungen vermieden werden.

Koordiniert wird das mit Projekt vom Berliner Grünenpolitiker und Aktivisten Tibor Harrach, der sich seit 2008 in der Drugchecking-Inititiative Berlin-Brandenburg engagiert. Harrach ist so etwas wie Deutschlands Drogenprofi, das Bücherregal in seinem Büro eine Enzyklopädie der Rauschmittel.

Drug-Checking soll einen risikobewussten Konsum ermöglichen

Wir treffen uns in der Drogen- und Suchtberatungsstelle Misfit in einem loftigen Büro mit Blick auf die Spree und die Oberbaumbrücke. In den anderen Räumen finden Gespräche und Meetings statt. Bei Misfit sollen ab dem Herbst 2019 Drogen entgegengenommen und zur Untersuchung ins Labor geschickt werden.

Im Gespräch erzählt Tibor Harrach, wie Drug-Checking in die Partyszene gebracht werden soll und warum die Analyse von Drogen für Konsument_innen so wichtig ist.

Herr Harrach, wie kann Drug-Checking Überdosierungen vorbeugen?

Wir nehmen Substanzen entgegen, die keinen Maßnahmen zur Qualitätssicherung unterworfen sind, und untersuchen sie. Dann wissen wir, was und wie viel davon drin ist. Mit diesem Wissen lassen sich Überdosierungen und Vergiftungen durch unerwartete und gefährliche Substanzen vermeiden.

Diese Rückmeldung geben wir Konsument_innen und ermöglichen so einen verantwortungsvollen und risikobewussten Konsum. Dazu müssen wir auch definieren, was die Normaldosis ist.

Ich habe aber festgestellt, dass die akzeptierende Drogenhilfe Probleme bei der Definition einer Normaldosis hat. Berater_innen haben hinsichtlich solcher pharmazeutischen Fragen manchmal Blockaden, die es aufzuheben gilt. Wenn wir aber Drug-Checking erfolgreich umsetzen wollen, dann müssen wir Konsument_innen eine ausreichende Orientierung bieten.

Sagen Sie also den Konsument_innen: „Du bist so und so groß, du nimmst jetzt maximal so viel Milligramm einer Substanz?“

Wir geben keine Konsumempfehlungen ab. Wenn Drogennutzer_innen zu uns in die Beratung kommen, führen wir zuerst eine Konsumreflektion durch. Das heißt, erst einmal arbeiten wir mit einem Fragebogen Konsummuster und Risikoverhalten ab. Mit diesen Daten lässt sich das Konsum- und Risikoverhalten analysieren.

Im Anschluss haben die Konsument_innen künftig die Möglichkeit, mehrere Proben abzugeben. Sie sagen uns, als was sie die Substanzen gekauft haben – also als Kokain, MDMA, Heroin und so weiter –, und wir verpacken die Drogen und geben den Klient_innen eine Karte mit einem Code. Dann schicken wir die Substanzen in ein professionelles Labor. Die anderen Träger unseres Projekts haben ihre eigenen Sprechstunden, aber wir arbeiten alle mit demselben Labor.

„Wir wollen einen Dosierungsrahmen aufzeigen, der vor einer Überdosierung schützt“

Nach ein paar Tagen kriegen wir das Ergebnis zurück, mit dem wir Wirkstoffe und Verunreinigungen identifizieren können. So können wir Konsument_innen warnen und ihnen einen Dosierungsrahmen aufzeigen, der vor einer Überdosierung schützt. Der Dosierungsrahmen ist der Bereich, in dem nach aktuellen Studien eine Substanz psychoaktiv wirkt und Schäden wahrscheinlich nicht auftreten. Wir berücksichtigen auch individuelle Faktoren wie Körpergewicht, Toleranz, Geschlecht und Gesundheitszustand.

Wollen Sie damit eher Partygäste oder zum Beispiel auch Heroinkonsument_innen erreichen?

Wir sind für alle Konsumt_innen illegaler Drogen da. Nur Cannabis können wir alleine schon aufgrund der hohen Zahl Konsumierender nicht untersuchen. Auch Cannabiskonsument_innen sollen aber wissen, wie viel THC in ihrer Substanz ist und ob das Cannabis verunreinigt ist. Das wird innerhalb des in Berlin geplanten Abgabemodells für Cannabis geregelt.

Ich rechne damit, dass unser Angebot für Gelegenheitskonsument_innen aus der Partyszene attraktiv ist, die nach ein paar Tagen ein Ergebnis erhalten können. Wer also am Dienstag seine Substanzen abgibt, weiß hoffentlich Freitag, was drin ist.

Für Heroinkonsument_innen ist unser Angebot nicht ganz einfach zu nutzen, weil sie oft nicht die Zeit haben zu warten, sondern wegen ihrer Abhängigkeit und fehlender Möglichkeiten zur Vorratshaltung den Stoff schnell nach dem Erwerb konsumieren müssen.

Schwankungen bei der Reinheit von Drogen können lebensgefährlich sein

Aber auch für Heroinkonsument_innen kann Drug-Checking interessant sein, wenn sie zum Beispiel mit einer Substanz schlecht zurechtgekommen sind. Da reichen uns schon Reste auf einer Folie, die wir ins Labor schicken und analysieren lassen können. So können wir auf Gründe für den schlechten Zustand des Konsumenten oder der Konsumentin schließen.

Ein Modell zum Substanzmonitoring in Drogenkonsumräumen gibt es schon, allerdings innerhalb einer wissenschaftlichen Studie. Für das erste Halbjahr 2019 wurden in Berlin Schwankungen im Gehalt von Heroin zwischen 12 und 79 Prozent festgestellt. Das ist lebensgefährlich für Konsument_innen, die den üblichen stark gestreckten Stoff erwarten und dann unerwartet die dreifach höhere Dosis konsumieren. Deswegen wollen wir unser Angebot so praktikabel wie möglich machen. Drug-Checking ist eine sinnvolle Ergänzung, die wir unbedingt brauchen.

Ich frage mich, ob Ihr Angebot für Clubgänger_innen praktikabel ist, die die Analyse vor dem Wochenende ja irgendwie in den Alltag einplanen müssen. Gibt es da keine Schnelltests?

Bisher kann man bei Schnelltests nur sagen: Dieser oder jener Wirkstoff ist drin oder nicht drin. Eine umfassende Analyse von Wirkstoffen, ihrem Gehalt und Verunreinigungen ist nur beim Drug-Checking möglich. Wer also sicherer konsumieren will, muss schon ein paar Tage vorausplanen.

Im Internet gibt es schon Pillenwarnungen, zum Beispiel bei ChEck IT, einem Angebot aus Österreich. Wo ist der Mehrwert des Drug-Checkings?

Es ist gut, dass es Pillenwarnungen gibt. Sie können jedoch nur einen ungefähren Überblick über die Marktlage geben. Pillen, die dieselben Farben und dasselbe Logo haben, können ganz unterschiedlich zusammengesetzt sein. Da gibt es auch regionale Unterschiede etwa zwischen Wien und Berlin.

Man muss schon eine Tablette oder einen Abrieb aus einer Charge überprüfen lassen, um zu wissen: da ist dieses und jenes drin. Allein ein Internetcheck zur Identifizierung einer Substanz ist also unsicher! Außerdem sind Pulver wie Kokain, Speed oder Ketamin Substanzen, die man nicht einfach wiedererkennen kann.

Wann kann das Drug-Checking denn losgehen?

Wir stehen in den Startlöchern! Das Projekt ist politisch gewollt und ein Rechtsgutachten ist positiv ausgefallen. Polizei und Staatsanwaltschaft akzeptieren unser Modell. In diesem Herbst wollen wir an den Start gehen. Verwaltungsvorgänge werden gerade zwischen Trägern, Behörden und Labor abschließend geklärt.

Es gab viele Knackpunkte auf dem Weg zum Drug-Checking, doch unser Hauptknackpunkt war: Machen sich Berater_innen strafbar, wenn sie eine Substanz entgegennehmen? Der Besitz von illegalen Substanzen ist nach Betäubungsmittelgesetz strafbar. Kann man aber von Besitz sprechen, wenn man eine Substanz entgegennimmt, um sie immer nur ins Labor zu bringen, wo sie analysiert und dabei vernichtet wird? Da sagt der Gutachter: Der Besitzwille fehlt. Dieser Argumentation folgen alle maßgeblichen Parteien.

Sie haben mit dem Verein Eve&Rave vor dreißig Jahren schon einmal Drug-Checking durchgeführt. Warum haben Sie diese Argumentation nicht schon damals durchgesetzt?

Wir haben damals mit der Gerichtsmedizin der Charité Drug-Checking gemacht. Allerdings gegen den Willen des Senats, der die Polizei losgeschickt hat. Die Charité und Eve&Rave sind durchsucht worden, Verfahren wurden eingeleitet. Die Richter sind aber schon damals nicht den Anträgen der Staatsanwaltschaft gefolgt, sondern die Verfahren wurden eingestellt.

Drug-Checking führt nicht zu mehr Konsum – im Gegenteil

Über Jahrzehnte wurde trotzdem behauptet, Drug-Checking sei illegal. Das war das Narrativ zur Verhinderung dieser Maßnahme. Jetzt haben wir einen anderen politischen Willen und jetzt klappt es.

Kritiker_innen aber zweifeln das Projekt an. Drogenkonsum werde verherrlicht, sagen sie. Was entgegnen Sie?

Es gibt unterschiedliche Formen von Kritik. Ein immer wiederkehrender Punkt ist, dass Drug-Checking Drogenkonsum befördere. Dem entgegne ich, dass im Ausland schon wissenschaftlich begleitete Modelle laufen. Alle Untersuchungen zeigen: Drug-Checking führt nicht zu mehr Konsum, sondern im Gegenteil: Je mehr Konsument_innen teilnehmen, desto kritischer werden sie im Umgang mit ihren Substanzen und desto weniger konsumieren sie am Ende.

Können wir davon ausgehen, dass das Verbot von Drogen und die Strafverfolgung von Nutzer_innen langsam ein Ende nehmen?

In vielen Ländern scheint eher das Gegenteil der Fall zu sein, insbesondere in den USA, in Asien oder Lateinamerika, wo es noch einen ausgesprochenen „Krieg gegen Drogen“ gibt. In Europa ist Portugal das einzige Land, das so weit gegangen ist, Drogengebrauch weitgehend zu entkriminalisieren. In den Niederlanden werden die Coffee Shops zwar geduldet, deren Versorgung mit Ware ist aber nach wie vor rechtlich nicht abgesichert.

„Es bewegt sich was in der Politik und der öffentlichen Wahrnehmung“

Bei Cannabis sind wir am weitesten, der medizinische Nutzen ist belegt, und zum Beispiel Kanada, Uruguay oder jetzt auch Luxemburg regulieren die Substanz auch für den Freizeitkonsum von Erwachsenen. Da bewegt sich was in der Politik und der öffentlichen Wahrnehmung – auch in Deutschland. Hier haben wir  medizinisches Heroin, das in speziellen Kliniken an eine kleine Zahl von Schwerstabhängigen im Rahmen der Substitutionsbehandlung abgegeben wird.

Das sind aber alles nur Tippelschrittchen. Denn für alle anderen Substanzen haben wir weltweit keine umgesetzten Regulierungsmodelle. Das ist ein Problem für Konsument_innen, die mit Ausnahme von Portugal kriminalisiert sind und Stoffe konsumieren müssen, die hinsichtlich ihrer pharmazeutischen Qualität höchst unsicher sind. Und natürlich ist unsere Drogenpolitik ein Riesenproblem für die Anbau- und Transitländer, die von Gewalt zwischen kriminellen Drogenkartellen und staatlichen Institutionen geplagt sind – wobei regelmäßig auch völlig Unbeteiligte betroffen sind.

Konsumieren Sie eigentlich selbst?

Darauf möchte ich nicht antworten, denn dann würde mir die Gegenseite vorwerfen: „Ach, du machst das nur, weil du selber konsumierst.“ Mein Engagement kommt daher, dass ich Pharmazie studiert habe und in den 1990ern in der Technoszene unterwegs war. Damals wurden neue Substanzen konsumiert und ich bin zu Eve&Rave gestoßen. Wir haben uns Gedanken gemacht, was das für Substanzen sind und wie wir ihnen begegnen. Und so bin ich all die Jahre dabeigeblieben.

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Benedict Wermter

Benedict Wermter ist freier Autor und Rechercheur aus dem Ruhrgebiet und schreibt gerne Reportagen. Für das Magazin der Deutschen Aidshilfe beschäftigt er sich unter anderem mit der Drogenpolitik hierzulande.

(Foto: Paulina Hildesheim)

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