EMIS 2024

„Wenn wir Veränderungen erreichen wollen, müssen wir Daten liefern“

Von Axel Schock
Symbolfoto lächelndes Paar
EMIS 2024 richtet sich an Männer und trans Personen, die Sex mit Männern haben (Symbolfoto; Bildnachweis: christian buehner / photocase.de)

Wie leben und lieben queere Männer und trans Menschen in Europa? Wie steht es um ihre Lust, ihren Sex, ihren Frust? Diesen Fragen geht die heute startende Onlinebefragung EMIS 2024 nach.

Mehr als 130.000 Menschen aus 50 europäischen Ländern hatten sich an der letzten EMIS-Befragung im Jahr 2017 beteiligt. Ein immenser Datenschatz wurde damals für die Wissenschaft gewonnen, der es ermöglichte, ein genaues Bild vom Sexualverhalten, der Gesundheit und den Bedürfnissen von Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), zu bekommen.

Doch seither ist viel passiert. So hat etwa die Corona-Pandemie Spuren hinterlassen, in vielen Ländern hat sich die gesellschaftliche Situation für LGBTIQ* verändert und immer mehr Menschen nutzen die HIV-Prophylaxe PrEP. Es ist also Zeit für eine neue Ausgabe der EMIS-Studie (European Men-who-have-sex-with-men and Trans People Internet Survey). Federführend sind die Deutsche Aidshilfe (DAH), das Robert-Koch-Institut (RKI) und die Maastricht University (Niederlande).

Welche Erkenntnisse diese europaweit einzigartige Onlinebefragung liefern soll, erläutern Tamás Bereczky und Axel J. Schmidt von der Deutschen Aidshilfe im Interview.

Im Vordergrund stehen die Bedürfnisse der Befragten

Welche Ziele verfolgt EMIS 2024? Was soll mit dieser Studie erreicht werden?

Tamás Bereczky: Es geht ganz zentral darum, die Prävention von HIV und Geschlechtskrankheiten für Männer und trans Personen, die Sex mit Männern haben, zu verbessern. Im Vordergrund stehen dabei die Bedürfnisse der Befragten.

Wozu dient das gewonnene Datenmaterial?

Axel J. Schmidt: Anhand der Daten können wir zum Beispiel ermitteln, wie gut die Menschen bereits informiert sind, etwa über die PrEP oder über Schutz durch Therapie. Wir möchten aber auch erfahren, wie zufrieden sie mit sich selbst sind, mit ihrer Sexualität. Ob sie beispielsweise Diskriminierung und Ausgrenzung erleben.

Tamás Bereczky: Mit den Erkenntnissen, die wir in der Auswertung gewinnen, können beispielsweise Nichtregierungsorganisationen wie die Deutsche Aidshilfe ihre Präventionsprogramme zielgerichteter gestalten oder von der Politik Veränderungen bei bestimmten Gesundheitsangeboten einfordern.

Welche Bedarfslücken konnten durch die Vorgängerstudien EMIS-2010 und -2017 ermittelt werden?

Axel J. Schmidt: Wir haben beispielsweise festgestellt, dass schwule Männer europaweit zu einem großen Teil nicht gegen Hepatitis B geimpft waren und auch kein Impfangebot erhielten, obwohl sie eine wichtige Zielgruppe darstellen. In vielen Ländern sind inzwischen die Regelungen angepasst worden. In Deutschland ist eine Hepatitis-B-Impfung für MSM empfohlen und wird von den Krankenkassen übernommen. Zudem zeigten die Daten, dass es mehr Bewusstsein für die Risiken einer Hepatitis-B-Infektion und entsprechender Informations- und Impfkampagnen bedarf.

Auf Basis von EMIS können europaübergreifend gesundheitspolitische Ziele gesetzt und Entscheidungen getroffen werden

Wie viele Länder beteiligen sich an der Studie?

Axel J. Schmidt: Die neue EMIS-Studie deckt erneut den gesamten europäischen Raum ab, inklusive Türkei, Russland, Ukraine und Moldawien. Die Staaten des Südkaukasus hatten bei der letzten Erhebung gefehlt, jetzt sind sie dabei. Insgesamt sind 50 Staaten – von Norwegen bis Israel und von Portugal bis Kasachstan – an der Studie beteiligt.

Tamás Bereczky: Dem Europäischen Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC), mit dem wir bei der Studie eng zusammenarbeiten, ist ebenfalls sehr daran gelegen, nicht nur länderspezifische Daten zu erheben, sondern tatsächlich ganz Europa abzubilden. Auf der Basis können dann auch europaübergreifend gesundheitspolitische Ziele gesetzt und Entscheidungen getroffen werden, die diese Communitys betreffen. Denn die nationalen Grenzen sind in diesem Zusammenhang unwichtig. Bedingungen für mögliche Erkrankungen, Infektionen und auch die Herausforderungen reisen mit. Deshalb ist es wichtig, Europa bei diesen Fragen immer auch als eine Einheit zu betrachten.

Inwieweit sind auch trans Personen bei dieser Befragung angesprochen?

Axel J. Schmidt: Auch bei den vorangegangenen Studien 2010 und 2017 war unser Standpunkt, dass trans Männer selbstverständlich Männer sind und, wenn sie Sex mit Männern haben, auch in diese Erhebung einbezogen sein müssen. Inzwischen hat sich der Diskurs entscheidend weiterentwickelt, daher haben wir den Fragebogen an vielen Stellen noch einmal mehr sprachlich angepasst. 2010 hatten sich auch viele trans Frauen beteiligt. Auch diese sind uns wichtig. Nicht unbedingt jene, die vielleicht in einer heterosexuellen Paarbeziehung leben, sondern insbesondere jene, die sich in der Szene bewegen oder auf Dating-Portalen aktiv sind. Wir haben für die Neuauflage der Studie den Fragebogen unter diesem Aspekt neugestaltet und durchgehend geschlechtsneutrale Formulierungen verwendet.

Wir müssen die Forderungen mit wissenschaftlich belastbarer Evidenz untermauern

Weshalb ist es wichtig, dass sich möglichst viele schwule und bisexuelle Männer sowie trans Personen an der Befragung beteiligen?

Tamás Bereczky: Wir haben gerade während und nach der Pandemie gemerkt, dass sich die Lage für diese Communitys zum Teil wesentlich verschlechtert hat, doch die Gesundheit dieser Gruppen hat nicht unbedingt Priorität. Wenn wir hier also eine Veränderung erreichen wollen, dann müssen wir dazu Daten liefern können. Es reicht eben nicht, nur zu jammern und zu fordern, sondern wir müssen diese Forderungen mit wissenschaftlich belastbarer Evidenz untermauen. Und die EMIS-Studie liefert diese Evidenz. Wir können dann anhand dieser Zahlen belegen, welche Dinge nicht so gut laufen, oder sehen, wo es vielleicht doch besser läuft als vermutet und unsere Sorgen unbegründet sind. Um belastbare Zahlen und eine größtmögliche Repräsentativität zu erzielen, benötigen wir eine große Beteilung an dieser Studie. Deshalb haben wir den Slogan gewählt „Deine Stimme, unsere Stärke“. Damit wollen wir zeigen: Deine Stimme und deine Meinung zählen. 

Wie lange wird der Fragebogen online sein und ausgefüllt werden können?
Axel J. Schmidt: EMIS wird so lange online sein, bis auch kleinere Länder eine ausreichende Zahl von Antworten haben; der Fragebogen wird bis mindestens Ende April 2024 geschaltet sein.

Und wann werden die ersten Ergebnisse der Auswertung vorliegen?

Axel J. Schmidt: Ich gehe davon aus, dass wir Ende dieses Jahres erste Ergebnisse präsentieren können. Der europäische Bericht ist für 2025 geplant.

Vielen Dank für das Gespräch!

Der Fragebogen zur EMIS-Studie ist ab sofort hier online.

Weitere Informationen: www.emis-project.eu

Zusammenfassung der Ergebnisse von EMIS-2017 auf magazin.hiv:

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