Erinnern und Gedenken

„…173, 174, Onkel Drücke“

Von Gastbeitrag
Ein Stolperstein im Straßenpflaster, mit dem Text
Mehr als 50.000 Männer wurden im Nationalsozialismus wegen ihrer Homosexualität nach Paragraf 175 verfolgt. Einer von ihnen war Reinhard Drücke aus Unna, der mit Glück das KZ überlebte, aber im Nachkriegsdeutschland als „175er“ verschmäht blieb. Seit heute erinnert auf Anregung der örtlichen Aidshilfe ein Stolperstein an sein Schicksal, über das Manuel Izdebski berichtet.

Drücke geriet 1941 im Alter von 29 Jahren in die Fänge der Nazis. In Duisburg wurde ihm wegen elf Vergehen nach Paragraf 175 der Prozess gemacht. Nach Verbüßung seiner siebenmonatigen Gefängnisstrafe nahm ihn die Kriminalpolizei in Vorbeugehaft und verschleppte ihn zunächst ins KZ Sachsenhausen, von wo aus er nach einigen Wochen ins Lager nach Groß-Rosen in Niederschlesien überstellt wurde. Dort wurde der gelernte Baumeister als Techniker in der Bauverwaltung eingesetzt. Möglicherweise rettete ihm diese Tätigkeit das Leben. Bedingt durch den Kriegsverlauf kam Drücke Anfang 1945 zunächst nach Hersbruck, einem Außenlager des KZ Flossenbürg, und dann nach Dachau. Dort befreite ihn die 7. US-Armee am 29. April 1945. Er überlebte die berüchtigten Todesmärsche der Gefangenen und eine Infektion mit dem gefährlichen Typhus-Erreger.

Die Gerüchteküche brodelt

Im Nachkriegsdeutschland lebte Reinhard Drücke wieder in seinem Elternhaus in Unna, das er nach dem Tod des Vaters 1949 zusammen mit dem familieneigenen Bauunternehmen geerbt hatte. Im Jahr zuvor heiratete er, doch die Ehe stand unter keinem guten Stern. Als die Gerüchteküche in Unna wegen seiner Homosexualität immer lauter wurde, erfolgte die Scheidung. In der Nachbarschaft zerriss man sich die Mäuler, diskriminierte ihn als „175er“ und rief ihm in Anspielung auf den berüchtigten Paragrafen hinterher: „…173, 174, Onkel Drücke!“. Auch beruflich ging es für Reinhard Drücke in seinen letzten Lebensjahren bergab. Seine Firma erhielt trotz des Bau-Booms in der jungen Bundesrepublik nicht mehr genug Aufträge und geriet finanziell in Schieflage. Schließlich musste er das Unternehmen verkaufen. Er starb am 31. August 1970 im Alter von 58 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung.

Ein gut gehütetes Familiengeheimnis

Zur Verlegung des Stolpersteins am heutigen Tag waren Nichten und Neffen von Reinhard Drücke nach Unna angereist. Sie erfuhren erst durch die Forschungsarbeit für den Gedenkstein vom Schicksal ihres Onkels als KZ-Häftling. Seine Verfolgung blieb über Jahrzehnte ein gut gehütetes Familiengeheimnis. Schließlich galt der von den Nationalsozialisten verschärfte Paragraf 175 noch bis 1969 in der Bundesrepublik. Für ein kleines Rahmenprogramm sorgten Schülerinnen und Schüler der Oberstufe des Ernst-Barlach-Gymnasiums in Unna. Die Bildungseinrichtung engagiert sich gerade im Projekt „Schule der Vielfalt – Schule gegen Homophobie“, das vom nordrhein-westfälischen Schulministerium gefördert wird.

Mit dem Gedenkstein für Reinhard Drücke wurde erstmals im Kreis Unna einem Opfer der Schwulenverfolgung im Nationalsozialismus gedacht. Die Aidshilfe im Landkreis hatte auf das Schicksal des früheren Rosa-Winkel-Häftlings aufmerksam gemacht und bei der Stadtverwaltung eine Stolpersteinverlegung angeregt.

Das Erinnerungsprojekt des Kölner Aktionskünstlers Gunter Demnig umfasst inzwischen mehr als 64.000 solcher Stolpersteine und bildet weltweit das größte dezentrale Mahnmal.

Weitere Informrtionen:

Dokumentation Reinhard Drücke

 

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