„20 Jahre lang wollte niemand diesen Film produzieren“
Den Golden Globe, die Goldene Kamera und den Critics’ Choice Movie Award hat er schon bekommen, mit etwas Glück darf Matthew McConaughey für seine Rolle des aidskranken Medikamentenschmugglers Ron Woodroof in „Dallas Buyers Club“ sogar noch einen Oscar in Empfang nehmen. Axel Schock hat sich mit dem Schauspieler unterhalten.
Kein Bericht über „Dallas Buyers Club“, bei dem nicht erwähnt würde, dass Sie sich für die Rolle 20 Kilo runtergehungert haben. Muss man sich derart extrem dem realen Vorbild annähern, um es verkörpern zu können?
Um eines klar zu stellen: Wir sprechen hier nicht von einer exzentrisch abgedrehten Idee, weil man das irgendwie cool findet. Es war eine Herausforderung, aber ich wusste, wofür ich es tat. Ich hab‘s für Ron getan. Meine Familie hat mich dabei unterstützt, und sie wussten, dass dich nicht blöd bin. Ich hatte zuvor einen Arzt konsultiert. Für mich waren diese Wochen des Hungerns durchaus auch eine spirituelle Erfahrung.
Mein Motto lautet immer „Spiele die Rolle nicht, lebe sie“. In Rons Fall wäre es mir ohne den Gewichtsverlust ganz sicher schwerer gefallen, mich in ihn hineinzufühlen.
Was meinen Sie mit „spirituelle Erfahrung“?
Eben genau dieses andere Körpergefühl. Je schwächer der Körper vom Hals abwärts wird, je weniger Energie einem zur Verfügung steht, desto klarer und agiler wird der Kopf. Und auch die Sinne werden schärfer. Ich benötigte drei Stunden weniger Schlaf, ich schrieb so viel wie nie zuvor in meinem Leben und ich nutzte die Zeit, um mich so intensiv in Ron hineinzuarbeiten, wie es mir möglich war. Ich war regelrecht besoffen von ihm.
Für Ron Woodroof kam die Aidsdiagnose einem Todesurteil gleich. Die Ärzte gaben ihm noch 30 Tage. Andere hätten sich vielleicht zurückgezogen. Woher nahm er seine unglaubliche Energie?
Ich habe Ähnliches bei einem guten Freund erlebt, der an Krebs erkrankt ist. Ein solches Schicksal kann in einem Menschen unerwartete Kräfte freisetzen. Je schwächer der Körper wird, umso gieriger und unersättlicher werden der Kopf und das Bewusstsein, und damit umso lebendiger der Mensch.
Hat die Auseinandersetzung mit Ron Woodroof Ihr eigenes Verständnis von Sterben und Tod verändert?
Nicht unbedingt. Aber es gab bestimmte Momente, die mich nachhaltig verstört haben, als mir ihre Tragweite bewusst wurde. Zum Beispiel, wenn nach der Aidsdiagnose die Ärztin Ron mitteilt, dass sie ihm nun nicht mehr weiter helfen und ihm nur noch tröstende Umarmungen in einer Selbsthilfegruppe anbieten kann. Auf so knallharte Weise mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert zu werden, muss man erst einmal verkraften – und es fiel mir keineswegs leicht, mich in diese Situation hineinzuversetzen.
Hollywood hat sich seit je schwer damit getan, das Thema Aids aufzugreifen. Abgesehen von „Philadelphia“ gab es kaum Projekte der großen Studios, sondern nur Independentfilme mit entsprechend kleinem Budget.
Auch dieser Film war preiswerter, als man denkt, und er war alles andere als leicht zu finanzieren. Es grenzt an ein Wunder, dass in nur 25 Drehtagen und mit diesem Etat ein Film realisiert werden konnte, der nicht nur eine wichtige Message hat, sondern auch unterhaltsam ist. Ein Film mit packenden Charakteren und einer derart spannenden Geschichte, dass man sie einfach gesehen haben muss – obwohl es sich um ein Aidsdrama handelt. Denn seien wir ehrlich: Das Label „Aidsdrama“ treibt die Massen nicht unbedingt von allein in die Kinos.
Etliche Regisseure und Produzenten haben versucht, Larry Kramers Aidsdrama „The Normal Heart“ auf die Leinwand zu bringen. Nach fast 25 Jahren wurde der Stoff nun wenigstens fürs Fernsehen verfilmt.
Glauben Sie nur nicht, dass es bei „Dallas Buyers Club“ wesentlich schneller gegangen wäre. Über 20 Jahre konnte der Film nicht realisiert werden. Die Produzenten schreckten reihenweise vor dem Stoff zurück, und die Finanzierung blieb bis zuletzt unsicher. Erst fünf Wochen vor Drehbeginn hatten wir das Geld tatsächlich zusammen, und alles musste dann sehr schnell gehen.
Und jetzt hat der Film nicht nur gute Kritiken, sondern sogar die Aussicht auf sechs Oscars.
Ist das nicht großartig? Sechs Nominierungen, darunter als bester Spielfilm, zwei für darstellerische Leistungen und einen für Frisuren und Make-up. Soll ich mal was verraten? Das Budget fürs Make-up betrug 250 Dollar!
Im Film erleben wir Ron Woodroof als homophoben Hetero-Macho, der sich nur schwer damit abfinden kann, dass er die „Schwulenkrankheit“ hat. Nun wurde in Interviews, so mit einem Arzt von Woodroof und seiner Ex-Frau, ein anderes Bild gezeichnet: Ron habe in punkto Schwule nie Berührungsängste gehabt und sei bisexuell gewesen.
Die Diskussionen, ob Ron nun hetero- oder bisexuell war, dauern immer noch an. Nach allem, was ich in der Vorbereitung auf diese Rolle in Erfahrung bringen konnte, war er hetero. Auch seine Tagebücher lassen keinen anderen Schluss zu. Ich habe sie gelesen, und wir formulierten aus einer Passage einen langen Monolog für den Film.
Also wo, wenn nicht an dem sicheren und geheimen Ort eines Tagebuchs hätte er seine Bisexualität enthüllen können?
Ich habe den echten Ron Woodroof nicht kennengelernt, ich war nicht dabei. Ich spiele eine Version dieses Menschen, wie ich ihn verstehe, und in dieser Version ist er heterosexuell.
Wie viel Freiheit nimmt sich der Film, um die Geschichte von Ron Woodroof zu erzählen?
Was dieser Typ im Film anstellt, hat er auch im wahren Leben gemacht. „Dallas Buyers Club“ basiert auf einer wahren Geschichte, ist aber keine Filmbiografie. Ich versuche als Darsteller auch nicht, den echten Ron zu imitieren. Craig Borten und Melisa Wallack haben – auf Basis stundenlanger Interviews, die mit ihm kurz vor seinem Tod 1992 geführt wurden – ein Drama geschrieben, ein eigenständiges, originäres Drehbuch.
Einen transsexuellen Rayon (im Film Ron Woodroofs Geschäftspartner, gespielt von Jared Leto, d. R.) hat es im wahren Leben nie gegeben. Rons Ärztin Dr. Eve Saks (dargestellt von Jennifer Garner, d. R.) ist in Wahrheit eine Fusion dreier verschiedener Mediziner. Um eine Geschichte wie diese fürs Kino erzählen zu können, muss man sie dramaturgisch verdichten. Rons Familie, die den Film vorab zu sehen bekam, ist über das Ergebnis sehr glücklich.
Gab es auch schon Feedback aus der HIV-Community?
Das geht gerade erst los. Die Reaktionen lassen sich in zwei Hauptgruppen unterteilen. Zum einen äußern sich viele Menschen, die damals selbst Freunde oder Angehörige durch Aids verloren hatten. Zum anderen sind es Jüngere, die völlig überrascht sind, wie schrecklich die Situation für Menschen mit Aids damals war.
Und man darf dabei nicht vergessen: Diese Zeit liegt noch gar nicht so lange zurück. Heute ist es wesentlich leichter, offen mit der HIV-Infektion zu leben. Es gibt Medikamente, und die Lebenserwartung ist deutlich gestiegen.
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