Vier Jahrzehnte Aids: 9 Filme zum Leben mit HIV/Aids

Von Axel Schock
Standfoto des Films

1981 wurde die Krankheit, die seit 1982 Aids heißt, Teil unserer Lebensrealität. 1983 wurde das Aids auslösende Virus entdeckt, das seit 1986 den Namen HIV trägt. Welche Auswirkungen HIV und Aids auf das Leben einzelner Menschen, auf ihre Communitys, die Gesellschaft und ganze Weltregionen hatten und haben, wurde seither in zahlreichen Werken festgehalten – in Büchern und Filmen, in der Kunst und Musik, mit digitalen Projekten und in anderen Formen.

Gut vier Jahrzehnte nach den ersten beschriebenen Fällen präsentiert die Redaktion von magazin.hiv in loser Folge ihre Empfehlungslisten mit Werken zur Aidsgeschichte – wie diese Auswahl von Spielfilmen, die das Leben mit HIV und Aids aus unterschiedlichsten Perspektiven beleuchten. In der Auswahl berücksichtigt haben wir Titel, die 2023 als DVD erhältlich oder über Videoplattformen zu sehen sind.


Holding the Man

Australien 2016, Regie: Neil Armfield

Sie sind eines der bekanntesten Liebespaare ihres Kontinents: Schauspielers Timothy Conigrave und sein Lebenspartner John Caleo. Sie trotzen allen familiären und gesellschaftlichen Widerständen im Australien der Endsiebziger und leben ihre Beziehung kampflustig und selbstbewusst. In seiner gleichnamigen Bestseller-Autobiografie, einem australischen Klassiker, erzählt Conigrave nicht nur eine zeitlos berührende, von Hochs und Tiefs bestimmte schwule Lovestory, sondern auch, wie sich diese Liebe Mitte der 1980er Jahre durch die HIV-Diagnose und die Aidserkrankung bewähren muss. Neil Armfields Verfilmung lehnt sich eng an die Buchvorlage an und überzeugt vor allem durch die emotionale Kraft des Zusammenspiels der beiden Hauptdarsteller.


Philadelphia

USA 1993, Regie: Jonathan Demme

„Philadelphia“ war 1993 die erste Hollywood-Produktion überhaupt, die sich HIV/Aids widmete. Wie kaum einem anderen Spielfilm zu diesem Thema gelang es dem Oscar-prämierten Drama die breite Öffentlichkeit zu erreichen. Dies gelang zum einen durch Topstars wie Denzel Washington, Tom Hanks und Antonio Banderas in den Hauptrollen, aber auch durch die starke Emotionalität des Films, mit der beim Publikum um Verständnis für Menschen mit Aids geworben wurde. Regisseur Jonathan Demme erzählt in „Philadelphia“ von dem in einer schwulen Partnerschaft lebenden Anwalt Andrew Beckett, der nach Bekanntwerden seiner Aidserkrankung von seiner Kanzlei gekündigt wird – und gegen seine Entlassung klagt. „Philadelphia“ setzte damit auch ein Zeichen gegen die Diskriminierung und Ausgrenzung von Menschen mit HIV und Aids.


Longtime Companion

USA 1989, Regie: Norman René

„Longtime Companion“ erzählt, publikumswirksam Humor und Emotionalität dosierend, von acht New Yorker Mittelklasse-Schwulen in den 1980er-Jahren. Sie sind weiß, wohlhabend, erfolgreich. 1981 verbringen sie den Sommer in einen Strandhaus auf Fire Island. Dort lesen sie zum ersten Mal in der „New York Times“ von der eigenartigen Krebserkrankung bei Homosexuellen, das später als Symptom von Aids eingeordnet werden würde. Im Laufe des Films findet sich die lebenslustige, hedonistische Clique immer häufiger an Krankenbetten. Norman Renés Drama war einer der ersten US-Kinoproduktionen, die sich dem Thema Aids widmete und zeigt die Hysterie, Panik und Ohnmacht in der Frühphase der Epidemie, aber auch die Solidarität innerhalb des Freundeskreises und dessen trotzigen Humors und Lebensmut.


1985

USA 2018, Regie: Yen Tan

Drei Jahre hat Adrian seine Familie nicht mehr gesehen, nun kehrt er zum Weihnachtsfest zurück in seine Heimatstadt in Texas – wissend, dass dies höchstwahrscheinlich sein letzter Besuch sein wird und die vielleicht letzte Gelegenheit, gegenüber seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder das Schweigen über sein Schwulsein und seine Aids-Erkrankung zu brechen. In seinem berührenden, unaufgeregt und atmosphärisch dicht erzählten Familiendrama „1985“ erkundet der US-Regisseur Yen Tan exemplarisch und feinfühlig die Ängste, die Sprachlosigkeit und die Ausnahmesituation zu Beginn der Aidskrise.


It’s My Party

USA 1996, Regie: Randal Kleiser

Fast zwei Jahrzehnte war Regisseur Randal Kleiser in Hollywood zuständig für massenkompatible Familienunterhaltung, er machte mit dem Musical „Grease“ (1978) Olivia Newton-John zum Weltstar und sorgte mit „Die blaue Lagune“ (1980) für feuchte Teenagerträume. 1995 aber verfilmte er mit „It’s My Party“ einen ganz persönlichen Stoff: die Geschichte seines Aids-kranken Lebensgefährten Harry Stein, der wenige Jahre zuvor nach einem Fest mit Freunden seinem Leben ein Ende gesetzt hatte. Betont unsentimental, erzählt Kleiser zwar von der späten Versöhnung eines – auch durch die Erkrankung – entfremdeten Paares, vom Abschied und vom Umgang mit der Krankheit. Zentral aber geht es auch um den selbstbestimmten Tod, einem auch innerhalb der HIV/Aids-Community lange tabuisiertem Thema.


Théo & Hugo

Frankreich 2016, Regie: Olivier Ducastel und Jacques Martineau

Am Anfang ist da der ultimative Rausch der Sinne: eine rund 20-minütige explizite Szene in einem schwulen Darkroom in Paris. Théo und Hugo, die sich beim Sex kennengelernt haben, ziehen beseelt und im Glückstaumel zusammen weiter. Doch die Stimmung kippt, als klar wird, dass Théo beim Vögeln das Kondom weggelassen hat – und Hugo HIV-positiv ist. Gewissermaßen in Echtzeit verfolgt der Film des Regieduos Olivier Ducastel und Jacques Martineau die beiden Männer durch die Nacht zu einem Krankenhaus, das die Postexpositionsprophylaxe (PEP) anbietet. Ein unglaublich schöner, radikal romantischer und wahrhaftiger Film über schwules Begehren, (Safer) Sex und die Verantwortung im Umgang mit HIV. 


Vakuum

Schweiz 2017, Regie: Christine Repond

Meredith und André haben guten Grund zum Feiern. Das Paar ist seit 35 Jahren verheiratet und es ist den beiden gelungen, über diese lange Zeit ihre Partnerschaft lebendig und harmonisch zu halten; selbst die Sinnlichkeit und das Sexleben sind dabei nicht auf der Strecke geblieben. Doch dann erhält Meredith durch Zufall ihre HIV-Diagnose. Der Schweizer Film „Vakuum“ erzählt eindringlich und stimmig, wie durch diese Nachricht ihr Leben und ihre Ehe erschüttert werden. Basierend auf einer authentischen Geschichte, zeigt die Filmemacherin Christine Repond ihre Hauptfigur in den ersten Wochen nach der Diagnose und die damit verbundenen psychischen Belastungen samt den emotionalen Widersprüchen.


Sorry Angel

Frankreich 2018, Regie: Christophe Honoré

Der Pariser Schriftsteller Jacques ist Mitte 30, teilt sich das Sorgerecht für seinen kleinen Sohn Louis mit dessen Mutter und versucht, sich das Leben nicht zu sehr von seiner Aidserkrankung diktieren zu lassen. Auf einer Lesung in der Bretagne lernt er den Nachwuchsfilmemacher Arthur kennen, der gerade beginnt, sich von den Fesseln der Provinz zu befreien. Doch Jacques zögert, sich auf die Beziehung mit dem deutlich jüngeren Mann einzulassen – auch weil er ahnt, dass ihnen dafür nicht mehr viel Zeit bleiben würde. Der Regisseur Christophe Honoré erzählt in seinem Spielfilm „Sorry Angel“ von einer verhinderten Liebesgeschichte und den Möglichkeiten schwulen Liebens im Frankreich der frühen 1990er-Jahre Frankreich.


The Living End

USA 1992, Regie: Gregg Araki

Sie haben beide nichts mehr zu verlieren. Luke, ein Punk ohne festen Wohnsitz, hangelt sich von Mann zu Mann und hatte ohnehin nie eine konkrete Lebensperspektive. Der Filmkritiker Jon vertraut seine dunklen Gedanken dem Diktiergerät an. Beide haben gerade ihr HIV-positives Testergebnis bekommen. Auf einer ziellosen Autofahrt versuchen sie ihr bisheriges Leben hinter sich lassen und ihrer aufgestauten Wut Herr zu werden. Gregg Arakis Debütfilm, ein Schlüsselwerk des New Queer Cinema, erinnert an eine schwule Indie-Film-Variante des Roadmovies „Thelma & Louise“, ist dabei aber auf albtraumhafte Weise betont politisch inkorrekt und sexuell exzessiv.

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