Eine schrecklich schöne Kindheit
Für den siebenjährigen Adrian steht der Berufswunsch fest: Abenteurer will er werden. Einer, der Drachen und Dämonen bekämpft, und in seiner Fantasie gelingt ihm das auch schon ganz gut.
Genau genommen ist sein Leben bereits etwas abenteuerhaft: mit Lagerfeuerpartys am Flussufer, mit Feuerwerkskrachern nicht nur an Silvester, sondern mitten im Jahr, und mit viel verschwörerischer Heimlichkeit im Zusammenleben mit seiner Mutter Helga. Sie zeigt ihm, welche besondere Flasche einen Zaubertrank nur für Erwachsene enthält und deshalb für Kinder tabu ist, und erklärt die hektische Aufräumaktion mit einer unangekündigten Kontrolle der Putzbehörde.
Ein einziges großes Abenteuer
Es ist Helgas Weg, ihren Sohn von dem Opiumaufguss fernzuhalten und den Besuch des Sozialarbeiters vom Jugendamt zu überspielen. Denn im Gegensatz zu Adrian wissen die Behörden um Helgas Heroinabhängigkeit. Dies alles ermöglicht Adrian, „die beste aller Welten“ zu erleben, in der es nicht so spießig und langweilig zugeht, wie bei seinen Schulkamerad_innen, sondern ausgelassen und unkonventionell.
Aus der Perspektive Adrians ist dieser Film konsequent erzählt, ist seine Kindheit tatsächlich ein einziges großes Abenteuer, auch wenn er – anders als die Zuschauer_innen – manches noch nicht so recht zuordnen kann und zu deuten vermag.
Zum Beispiel warum die Wohnzimmerfenster meist mit Decken verdunkelt sind. Warum sich Helga mit ihren Freund_innen in ein Zimmer zurückzieht und die Tür abschließt. Und warum manche von ihnen erst ganz aufgedreht und wild feiern, dann immer lethargischer, manchmal aber auch unbändig und aggressiv werden. Wie der Mann, den alle nur den „Griechen“ nennen und der Adrian einmal mit Gewalt dazu zwingt, Wodka zu trinken.
In solchen Situationen gerät Helga an ihre Grenzen. So wie der Junge in seinen Abenteuerfantasien Dämonen aus frühzeitlichen Sagenwelten in Schach hält, versucht Helga, ihren inneren Dämon und ihre Sucht zu bändigen und zu besiegen und zugleich die Brüche zwischen Euphorie, Depression und Alltag zu überspielen.
Hin- und hergerissen zwischen der Sucht und der Liebe zum Sohn
Immer schwerer fällt es ihr, ihre Heroinabhängigkeit und die Folgen zu kaschieren, das prekäre Leben mit ihren Drogenfreund_innen in einem anderen, einem romantisch-abenteuerlichen Licht erscheinen zu lassen. Helga ist hin- und hergerissen zwischen der Liebe zu ihrem Sohn, dem sie die beste aller Mütter zu sein versucht, und ihrer Sucht, die bereits ihre ganze Energie kostet.
Was „Die beste aller Welten“ in künstlerischer wie erzählerischer Hinsicht so besonders macht, ist nicht allein, wie wahrhaftig, spannend, empathisch und mit Blick für das feine Detail diese Geschichte entwickelt wird: Der 26-jährige Regisseur Adrian Goiginger verfällt nie in die Fahrwasser stereotyper, klischeehafter „Drogengeschichten“ und vordergründiger Elendsschilderungen.
Er vermeidet gleichermaßen, beschönigend oder Betroffenheit heischend zu werden, selbst wenn sich die Ereignisse dramatisch überschlagen. Als Helgas Drogendealer in ihrer Wohnung durch eine Überdosis stirbt, weiß sie, dass ihr nur eine Möglichkeit bleibt, ihren Jungen nicht endgültig zu verlieren: Sie muss den Entzug schaffen.
Nach einer wahren Geschichte
„Die beste aller Welten“, angesiedelt am Stadtrand Salzburgs Ende der Achtzigerjahre, hat ein Happy End, und doch lesen wir als Letztes im Abspann die Nachricht von Helgas Tod. Denn Adrian Goiginger erzählt in seinem mittlerweile mehrfach ausgezeichneten Langfilmdebüt seine eigene Geschichte und die seiner Mutter.
„Meine Mutter ermöglichte mir eine liebevolle Kindheit“
Sie starb im Alter von 39 Jahren infolge einer Krebserkrankung. Das Schreiben der Grabrede war für ihn, wie er in einem Interview erzählte, der Auslöser, einen Film über ihren Kampf gegen die Sucht und ihre grenzenlose Liebe für ihn zu machen. „Meiner Mutter ist es gelungen, trotz ihrer Abhängigkeit und ganz auf sich allein gestellt, mir eine solche liebevolle Kindheit zu ermöglichen. Das ist eine unglaubliche Leistung.“
Diese Nähe zwischen Mutter und Sohn ist auch in dem Spiel der Darsteller_innen Verena Altenberger und Jeremy Miliker zu spüren. Überhaupt ist es Adrian Goiginger in bemerkenswerter Weise gelungen, dieses Wechselbad der Gefühle, den eng umzirkelten Kosmos dieser Kleinfamilie und des Freundeskreises der Mutter eindrucksvoll realistisch auf die Leinwand zu bringen und dabei stets die Wärme und Liebe von Helga genauso wie ihre Verzweiflung sicht- und spürbar zu machen.
„Die beste aller Welten“. Deutschland / Österreich 2017. Regie Adrian Goiginger. Mit Verena Altenberger, Jeremy Miliker, Lukas Miko, Michael Pink. 113 Minuten. Kinostart: 28. September
Weitere Infos: www.diebesteallerwelten.at
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