BERLINALE

Berlinale: Toughe Huren, schwule Fußballer und queere Geschichte(n)

Von Axel Schock
(Foto: OnkiFlori, pixelio.de)
Rund drei Dutzend Filme sind für den Teddy Award nominiert (Foto: OnkiFlori, pixelio.de)

Eine Vorschau aufs Programm der Internationalen Filmfestspiele Berlin 2014. Von Axel Schock

Manchmal kommt ein Film tatsächlich genau zur richtigen Zeit. Der ungarische Berlinale-Beitrag „Viharsarok (A Land of Storms)“ über einen schwulen Fußballer erhält im Nachklang des Hitzelsperger-Coming-outs eine unverhoffte Aktualität.

Doch anders als der deutsche Ex-Bundesligaspieler steigt in Adam Csázis Drama der Held aus dem Profisport aus, ohne seinen Mannschaftskollegen die wahren Gründe zu verraten. Er zieht sich aufs Land zurück, doch sicher kann er sich auch hier nicht fühlen. Spätestens, als er sich dort in einen Mann verliebt, droht Gefahr von der rechtsradikal gesinnten Provinzbevölkerung.

Queeres Leben und Lieben

„Viharsarok (A Land of Storms)“: Eine ungarische Fußballer-Liebe (Foto: Berlinale)
„Viharsarok (A Land of Storms)“: Eine ungarische Fußballer-Liebe (Foto: Berlinale)

Schwules oder queeres Leben und Lieben ist traditionell ein wichtiges Thema auf der Berlinale. In diesem Jahr wird bereits zum 28. Mal der Teddy Award, der weltweit einmalige queere Filmpreis, vergeben. Rund drei Dutzend Filme, quer durch alle Festivalsektionen, sind für die Trophäe nominiert.

Mit dabei sind Teenager-Geschichten wie der brasilianische Film „The Way He Looks“, in dem sich der blinde Leonardo in einen Klassenkameraden verliebt, oder „Unfriend“, in dem das schwule Leben eines 15-jährigen Philippinos mit anrührender Selbstverständlichkeit von dessen Großmutter unterstützt wird. In „Praia do Futuro“, dem einzigen queeren Film im offiziellen Wettbewerb, finden nach einem tragischen Unfall ein brasilianischer Rettungsschwimmer und ein deutscher Tourist zusammen.

„Der Kreis“: Schwule Liebe in den 1950er Jahren (Foto: Contrast Film)
„Der Kreis“: Schwule Liebe in den 1950er Jahren (Foto: Contrast Film)

Doch nicht immer können diese Beziehungen so selbstverständlich und konfliktfrei auch gelebt werden. In „Love Is Strange“ von Ira Sachs („Keep The Lights On“) verliert der New Yorker Kirchenmusiker George seinen Job, als er nach vier Jahrzehnten seine Beziehung zu Ben auf dem Standesamt offiziell macht. Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche wiederum ist Hintergrund des irischen Krimidramas „Calvary“.

Eine ganz andere Form religiöser Unterdrückung macht der Festivalbeitrag „Papilio Buddha“ zum Thema: Hier setzen sich homosexuelle Hindus gegen das indische Kastensystem zur Wehr.

An die schwierige Lebenssituation schwuler Männer im 20. Jahrhundert erinnern gleich mehrere Dokumentar- und Spielfilme. Beide Genres vermischt die Schweizer Produktion „Der Kreis“. Sie erzählt die Geschichte der in den 1940er-Jahren gegründeten legendären Homosexuellen-Organisation und ihrer international verbreiteten Zeitschrift anhand zweier Mitglieder, Röbi Rapp und Ernst Ostertag. 1956 verlieben sich die beiden auf einem Schwulenball des Clubs, ein halbes Jahrhundert später lassen sie als erstes Schweizer Schwulenpaar ihre Lebensgemeinschaft offiziell auf dem Standesamt eintragen.

Gianni Amelio wiederum lässt in seinem etwas disparat und nicht sehr aufbauenden Dokumentarfilm „Felice chi è díverso (Happy to be different)“ Schwule und Transgender unterschiedlicher Generationen über ihre Lebensentwürfe, über Gewalt und Ausgrenzungserfahrungen berichten.

Dokumentarische Geschichtsschreibung

Ungemein viel Spaß hingegen macht die Dokumentation „The Dog“ über den abenteuerlichen Lebensweg von John Wojtowicz, der 1972 einen spektakulären Bankraub in Brooklyn beging, um mit der Beute seinem Lebensgefährten die Geschlechtsumwandlung finanzieren zu können. Durch Sidney Lumets Verfilmung „Hundstage“ (mit Al Pacino) wurde Wojtowicz kurzzeitig selbst auch zum Star. „The Dog“ aber gräbt sich weitaus tiefer in die Geschichte hinein und damit auch in die schwule Subkultur und die US-Homosexuellenbewegung der vergangenen 40 Jahre.

„The Test“ spielt im San Francisco des Jahre 1985 am Beginn der HIV-Epidemie (Foto: Berlinale)
„The Test“ spielt im San Francisco des Jahre 1985 am Beginn der HIV-Epidemie (Foto: Berlinale)

Von New York nach San Francisco. Dort, am Beginn der Aidskrise in den frühen 1980er-Jahren, ist der Spielfilm „The Test“ angesiedelt. Er ist überhaupt der einzige Festivalbeitrag, der sich ausführlich mit HIV und Aids auseinandersetzt. In warmen Farben und schönen Bildern schildert Regisseur Chris Mason, wie der junge Tänzer die ersten wichtigen Karriereschritte macht und sich in einen Kollegen verliebt.

Die Bedrohung, die das mysteriöse Virus darstellt, spielt erst in der zweiten Filmhälfte eine Rolle und stellt dann aber das eben erst gefundene Liebesglück komplett in Frage.

Nur ein einziger ausführlicher Film zum Thema HIV

Berührend und offenherzig ist der biografische Spielfilm „Yves Saint Laurent“ ausgefallen. Darstellerisch überaus überzeugend und nicht zuletzt opulent ausgestattet werden wichtige biografische Stationen des stilprägenden Modemachers nachgezeichnet.

Pierre Niney und Guillaume Gallienne in „Yves-Saint-Laurent“ (Foto: Universum Film)
Pierre Niney und Guillaume Gallienne in „Yves Saint Laurent“ (Foto: Universum Film)

Vor allem aber beleuchtet der Film die von schweren Krisen und bedingungsloser Loyalität gekennzeichnete Beziehung zwischen Yves Saint Laurent (großartig dargestellt von Pierre Niney) und seinem Lebens- und Geschäftspartner Pierre Bergé.

„Top Girl oder la deformation professionelle“ und „Ye (The Night)“ vom chinesischen Regisseur Zhou Hao beschäftigen sich gleichermaßen mit dem Thema Sexarbeit und könnten doch unterschiedlicher kaum ausfallen.

Tatjana Turanskyi schildert in ihrem unterkühlten und spröden Spielfilm Episoden einer gescheiterten Schauspielern und alleinerziehenden Mutter (Julia Hummer) in Berlin, die sich als Profi-Sexarbeiterin etabliert hat. Doch es fällt ihr zunehmend schwerer, die Distanz zwischen Beruf und Privatleben zu wahren. Zhou Hao entfaltet in „Ye“ eine rätselhafte, durchaus auch sexuell konnotierte Freundschaft zwischen einer Prostituieren und einem Stricher.

Vom Ende der Geschlechtergrenzen

Ganz und gar aufgehoben werden die Geschlechteridentitäten unter anderem in der Kurzfilmkompilation „Fucking Different XXY“, für die sich acht internationale Trans-Regisseure mit ihnen jeweils fremden Aspekten der Sexualität auseinandersetzen.

„Top Girl“: eine Sexarbeiterin in der Krise (Foto: Berlinale)
„Top Girl“: eine Sexarbeiterin in der Krise (Foto: Berlinale)

In dem australischen Jugendfilm „52 Tuesdays“ erlebt der Teenager Billie über ein Jahr hinweg, wie durch eine Geschlechtsanpassung seine Mutter nunmehr zum Vater wird, und in der philippinischen Produktion „Quick Change“ will eine Trans-Frau unbedingt eine Miss-Wahl gewinnen und bedient sich dazu nicht ganz legaler Mittel und Wege der Schönheitschirurgie.

Welchen dieser Filme die Teddy-Jury mit einem queeren Bären auszeichnen wird, kann man am 14. Februar live bei der Preisverleihung in der Komischen Oper miterleben. Im Rahmen der Gala wird dann auch erstmals der mit 10.000 Euro dotierte David Kato Vision & Voice Award vergeben.

Der Preis erinnert an den ugandischen Menschenrechtsaktivisten und Gründer der ugandischen LGBTI-Bewegung David Kato, der 2011 in seinem Haus in Kampala ermordet wurde. Mit dem Preis soll fortan jährlich eine Persönlichkeit geehrt werden, die sich in besonderem Maße für mutige Aktivitäten und herausragende Leistung im Kampf um die Rechte von Lesben, Schwulen, bi-, trans- und intersexuellen Menschen verdient gemacht hat.

Internetseite der Berlinale und des Teddy Award

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