LITERATUR

Bilder einer Epidemie

Von Axel Schock
HIV und Aids haben das Leben schwuler Männer wahrscheinlich nachhaltiger verändert und geprägt, als es vielen bewusst ist. Der Bildband „Positive Pictures“ lässt die wichtigsten Kämpfe, Ereignisse und ihre Protagonisten aus drei Jahrzehnten Aids-Geschichte Revue passieren. Von Axel Schock

Ausschnitt aus dem Buchcover
Ausschnitt aus dem Buchcover

Wer diesen Band ganz unbedarft in der Buchhandlung durchblättern sollte, könnte vielleicht ins Grübeln kommen. Was verbindet wohl US-Präsident Barack Obama und die Porno-Ikone ChiChi LaRue mit Olympia-Turmspringer Greg Louganis, der Hollywood-Legende Rock Hudson und der ehemaligen Gesundheitsministerin Rita Süssmuth?

Sie alle werden in dem großformatigen Band „Positive Pictures“ einträchtig nebeneinander in ganzseitigen Glamourfotos präsentiert.

 Zeitzeugen und Akteure

Sie sind, neben Hunderten weiteren, Teil einer ganz besonderen Ahnengalerie: nämlich Zeitzeugen, Akteure und Verlierer in dem inzwischen mehr als dreißig Jahre dauernden Kampf gegen Aids.

DAH-Präventionsplakat von 1993, entworfen von Rinaldo Hopf
DAH-Präventionsplakat von 1993, entworfen von Rinaldo Hopf

Christian Lütjens und Paul Schulz, Redakteure des schwulen Monatsmagazins „Männer“, haben dieses besondere Coffeetable-Book zusammengestellt. Es ist die Geschichte von HIV und Aids aus schwuler Perspektive, eindrücklich erzählt anhand von rund 200 Abbildungen: Porträt- und Filmszenenfotos, dokumentarische Bilder, Zeitschriftencover und Safer-Sex-Plakate.

Im gleichen Maße wird auch die künstlerische Auseinandersetzung mit der Krankheit gewürdigt. „Kunst über Aids hat Aids sichtbarer gemacht“, schreibt Queer-Theory-Forscher Jonathan D. Katz in seinem Gastbeitrag. Bilder der Fotografen Robert Mapplethorpe und Nan Goldin, Arbeiten von Keith Haring sowie der Künstlergruppe General Idea sind zu Ikonen der Aidskultur geworden und haben sich selbst jenen ins Gedächtnis gebrannt, die sich mit Kunst eher weniger beschäftigen.

„Positive Pictures“ ist auch eine respektvolle Hommage an die an Aids verstorbenen Prominenten – von Queen-Sänger Freddie Mercury über Filmemacher Derek Jarman bis zu Brad Davis, Titelheld von Fassbinders „Querelle“.
„Hollywood spendet bei Aids-Benefizveranstaltungen Millionen, doch wenn bei einem Schauspieler auch nur das Gerücht geht, er habe HIV, erhält er keinerlei Unterstützung. Er bekommt einfach keinen Job mehr“, wird der 1992 41-jährig an den Folgen von Aids verstorbene Davis zitiert.  Ähnlich prägnante und graphisch markant präsentierte Zitate finden sich zu Dutzenden in dem Buch.

Das bietet neben der Erinnerung an die Verstorbenen auch eine Rückschau auf das, was schwule Männer im Zeichen der Krise geleistet haben und wie die Community auf die Herausforderung von HIV und Aids reagiert hat – bis hinein in die Gegenwart des „neuen Aids“, zu dem die erfolgreiche Kombi-Therapie ebenso gehört wie die Bareback-Welle in der Pornoindustrie.

Wir leben und lieben anders

Nichts habe das Leben schwuler Männer seit Stonewall so verändert wie HIV, schreiben Lütjens und Schulz in ihrem Vorwort. „Wir leben anders, lieben anders, haben anderen Sex. Wir gehen anders miteinander um und mit uns selbst. Wir interagieren anders mit Heterosexuellen und melden unsere Rechte schneller an.“

In den Übersichtstexten zu den jeweiligen Kapiteln durchschreiten die beiden Herausgeber die Jahrzehnte, streifen die wichtigsten Ereignisse  und Entwicklungen. Flankiert werden diese kompakten Schlaglichter durch Gastbeiträge u. a. von den DAH-Vorständen Carsten Schatz und Tino Henn wie auch vom Pornoproduzenten Jörg Andreas (Cazzo Film). Rosa von Praunheim erinnert sich im Interview an seine prägenden Erlebnisse in New York zu Beginn der Aidskrise, und ChiChi LaRue berichtet über Safer Sex in der Pornoindustrie.

Kunst und Aktion: Plakat der Aids-Aktivistengruppe ACT UP  (Foto: ACT UP)
Kunst und Aktion: Plakat der Aids-Aktivistengruppe ACT UP (Foto: ACT UP)

Den Fokus haben Lütjens und Schulz in ihren Textbeiträgen (jeweils in englisch und deutsch) und bei der Bildauswahl auf den primären Zielmarkt des Buches, Deutschland und die USA, gelegt. So erklärt sich, warum als Vorzeigemann einer neuen Generation von erfolgreichen, offen mit ihrer Infektion agierenden HIV-Positiven der hierzulande unbekannte Jack Mackenroth, Teilnehmer einer US-Castingshow für junge Modedesigner, auf mehreren Seiten präsentiert wird.

Wie HIV und Aids die Gay Community in anderen europäischen Ländern verändert hat, wird im Buch lediglich punktuell gestreift; Asien, Australien und Südamerika beispielweise sind komplett ausgeklammert.

Was die beiden Autoren dieses Buches innerhalb dieses Blickwinkels allerdings leisten, ist respektabel. Es gelingt ihnen nicht nur, das Wichtigste an Daten, Fakten und Personen zu 30 Jahren schwulem Leben mit HIV kompakt und spannend aufzubereiten, sondern auch die diversen politischen, medizinischen und gesellschaftlichen Diskurse in leicht verständlicher Form zu komprimieren.

Ideale Basislektüre

Das macht „Positive Pictures“ zu einer idealen Basislektüre für Neueinsteiger in das Thema und bietet anderen Lesern wiederum viele Momente des Wiederentdeckens und Erinnerns.

Christian Lütjens/ Paul Schulz: „Positive Pictures. A Gay History“. Engl./dt., 224 Seiten, Großformat, gebunden, 39,95 Euro

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