Die Freiheit riecht nach Pferd und Frühlingsknospen
Für Kübra riecht Freiheit nach Pferdemist und den frischen Blüten des Frühlings. Das erinnere sie an ihre Heimat, sagt die kurdischstämmige junge Frau. Mit 14 Jahren war sie erstmals kriminell auffällig geworden. Nun ist sie 20 und hat eine lange Zeit ihres Lebens im Knast verbracht, unter anderem wegen Diebstahls, Drogendelikten und Gewalttaten. Zuletzt war sie wegen schwerer Körperverletzung verurteilt worden: Sie hatte in der Gefängniszelle eine Mitinsassin auf grausame Weise gequält und verletzt.
Was sie im Gefängnis mit am meisten vermisse, sei der eigene Geruch. Deshalb verbrauche sie so viel Parfüm. „Um etwas Eigenes zu haben“, sagt Kübra. Von Kopf bis Fuß sprüht sie sich damit ein und vergisst auch nicht, der Anstaltsbettwäsche ihre persönliche Duftnote zu geben.
Für die fast doppelt so alte Salema bedeutet Freiheit vor allem Angst. Die Angst, wieder draußen und auf sich allein gestellt zu sein. Drinnen, in der Justizvollzugsanstalt Lichtenberg, wird das Leben für sie geregelt. Sogar die Drogen hat sie im Griff. Nie zu viel in der Zelle, immer nur soviel, wie für einen Schuss nötig ist.
Mit 15 zum ersten Mal Heroin
Wenn sie der Filmemacherin Diana Näcke von ihrem Leben erzählt – davon, wie sie ihre Eltern während des äthiopischen Bürgerkriegs verlor, als Zwölfjährige von einem wesentlich älteren Mann geschwängert wurde und das Kind zur Adoption freigeben musste, davon, wie sie sich mit 15 zum ersten Mal Heroin spritzte, um auf diese Weise ihrer Geliebten nahe sein zu können, und wie ihre Freundin bald darauf durch eine Überdosis starb –, dann tut sie dies nur scheinbar gefasst. Als sei dies alles ganz unausweichlich passiert, vom Schicksal vorherbestimmt.
Doch so stark, wie Salema gerne sein möchte, ist sie nicht. Als sie beim Gespräch einen Nervenzusammenbruch erleidet, kann sie sich erst langsam wieder beruhigen, nachdem sie sich vor laufender Kamera einen Schuss gesetzt hat.
„Vielleicht hat sie Glück und sie stirbt schnell. Dann ist ihr Leidensweg nicht so groß. Sie wird sowieso sterben“, sagt Kübra. Und das Schlimme ist: Zu diesem Zeitpunkt hat man als Zuschauer die beiden Frauen bereits so intensiv kennengelernt, dass man Kübra diese Takt- und Gefühllosigkeit nicht einmal mehr vorwerfen mag.
Diana Näcke ist ihren Protagonistinnen geradezu beängstigend nahe gekommen, jedoch ohne dass sie das Vertrauen der beiden für sensationsheischenden Voyeurismus missbraucht hätte. Und erfreulicherweise verzichtet die Filmemacherin auf Pathos ebenso wie auf pädagogischen Fingerzeig und moralische Wertungen. Stattdessen lässt sie Salema und Kübra für sich und von sich sprechen: von Schuld und Reue, von der Suche nach Respekt und der Angst vor dem Versagen, von Kindheitserfahrungen, die manches erklären, aber nicht alles rechtfertigen.
Gekreuzt haben sich Salemas und Kübras Lebenswege im Knast, und dort sind sie Freundinnen geworden, ein bisschen zumindest. Drei Jahre hat Diana Näcke die beiden für ihren Film immer wieder besucht und schließlich auch nach ihrer Entlassung bei den ersten Schritten hinaus in die Freiheit mit der Kamera begleitet. Kübras erste Autofahrt ging direkt zum Dealer. Als die Dokumentation 2011 auf der Berlinale gezeigt wurde, war Kübra nicht dabei. Sie saß erneut hinter den Gittern der JVA Lichtenberg.
Deren Leiter Matthias Blümel wünscht sich, er könnte den Laden einfach mal ein paar Tage dicht machen. Doch auch wenn er sich die Freiheit nimmt, das „absurde System“ des Strafvollzugs grundsätzlich in Frage zu stellen, bleibt er Ausführender der vom Gesetzgeber erlassenen Verwaltungsvorschriften. Ein Mann mit Macht. Nichts geht ohne ihn, sagt Salema und bezeichnet ihn freundlich als einen „Hippie“.
Blümel hat dafür gesorgt, dass in der Halle seiner Anstalt ein Spritzenautomat steht, um HIV- und Hepatitisinfektionen unter den Gefangenen zu verhindern. Der Drogenkonsum wird zwar nicht toleriert, aber die Gefängnisleitung verschließt vor den tatsächlichen Verhältnissen nicht die Augen. „Die JVA Lichtenberg ist der größte Frauenknast Berlins, in dem vor allem drogenabhängige Frauen ihre Strafen verbüßen müssen“, sagt Näcke im Interview mit dem Filmmagazin „Sissy“. „Das heißt, diese Frauen finden aufgrund des enormen Suchtdrucks immer wieder Wege, Drogen illegal in den Knast zu schmuggeln.“ Und so zeigt Näcke die Sucht ihrer beiden Protagonistinnen und den Drogenalltag im Knast genauso alltäglich, wie es der Realität entspricht.
Diana Näcke „Meine Freiheit, deine Freiheit“. Mit Kübra Baytok, Salema Wad’deres, Matthias Blümel, Sandra Buermann, Johanna Blümel. D 2011, 84 Minuten. Die Dokumentation ist auf DVD bei Salzgeber Medien erschienen.
Links zum Film:
Offizielle Internetseite zu „Meine Freiheit, deine Freiheit“
Trailer zum Film
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