35 Millionen Menschen leben weltweit mit HIV und den damit verbundenen Stigmatisierungen, Demütigungen und Problemen. Ein Band versammelt nun Lebensgeschichten und Erfahrungen aus Osteuropa, Asien, Afrika und Lateinamerika im Kampf gegen die Krankheit und um das Menschenrecht auf Gesundheit. Von Axel Schock

Brot für die Welt
Der evangelische Entwicklungsdienst unterstützt auch HIV-Projekte

Sie würde sterben, so wie schon zuvor ihre beiden Kinder. Als bei Nokhwezi Hobyi Aids ausgebrochen war, wurde sie noch eine Weile von ihrer Mutter gepflegt, und als es nicht mehr ging, in ein Hospiz gebracht.

Dass sie mit HIV infiziert ist, hatte Nokhwezi Hobyi erst nach dem Tod ihrer kleinen Tochter erfahren. Das Hospiz war für die Südafrikanerin allerdings nicht die letzte Station ihres Lebens, sondern vielmehr die erste für ein neues. Der Neffe einer Krankenschwester machte sie auf die Organisation „Treatment Action Campaign“ (TAC) aufmerksam und durch diese erfuhr sie, dass es durchaus ein Leben mit der HIV-Infektion geben kann. Nokhwezi Hobyi, immer noch schwer krank, wurde Mitglied bei TAC, ließ sich schulen und verbreitete ihr neu erworbenes Wissen über die anti-retroviralen Behandlungsmöglichkeiten in Kliniken und Gemeinden.

Dass genaue Kenntnisse über die Medikation wichtig sind, dafür ist Nokhwezi Hobyi das beste Beispiel. Als sie mit ihrer Behandlung begann, hatte ihr niemand gesagt, dass sie die Medikamente lebenslang würde nehmen müssen. Die Folge: Sie setzte sie zeitweilig ab, entwickelte Resistenzen und erkrankte lebensbedrohlich. Heute ist bei Nokhwezi Hobyi die Virusmenge so weit gesunken, dass HIV in ihrem Blut nicht mehr nachweisbar ist, und aus der ehrenamtlich bei TAC engagierten Frau ist eine Fulltime-Aktivistin geworden, die sich in mehreren Aids-Organisationen für Menschen mit HIV einsetzt.

Positive Geschichten aus aller Welt

Astrid Berner-Rodoreda und Renate Of, die beiden Herausgeberinnen und Hauptautorinnen von „HIV-positiv … und wie damit leben?“, erzählen in ihrem Buch viele Lebensgeschichten wie jene von Nokhwezi Hobyi. Geschichten von Menschen aus aller Welt, die eines miteinander verbindet: Sie alle haben HIV oder sind an  Aids erkrankt, aber sie haben sich ihrem Schicksal nicht ergeben.

TAC-Aktivisten
Aktivisten der südafrikanischen „Treatment Action Campaign“ (Foto: TAC)

Weil sie sich nicht weiter demütigen und ausgrenzen lassen wollen, kämpfen sie nun für ihre Rechte. Ihre Schicksale stehen zugleich beispielhaft für internationale Projekte im Zusammenhang von HIV und Aids, die vom evangelischen Entwicklungsdienst „Brot für die Welt“ unterstützt werden.

Während hierzulande vor allem Männer eine HIV-Infektion haben, machen global Frauen 52 Prozent der HIV-Positiven aus, in Afrika liegt der Anteil sogar noch um 5 Prozentpunkte höher.

Die beiden „Brot für die Welt“-Mitarbeiterinnen Berner-Rodoreda und Of beleuchten in ihrem Buch anhand ihrer Interviews und Porträts die verschiedenen kulturellen und sozialen Ursachen, die zu der erhöhten Infektionsgefahr für Frauen führen. Diese reichen von Polygamie, Witwenvererbung und Brautpreis bis hin zu fehlendem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Dies gilt, wie die Herausgeberinnen schreiben, insbesondere für afrikanische Frauen, doch auch auf anderen Kontinenten finden sie vergleichbare Schicksale.

Ins gesellschaftliche Abseits gedrängt

Die bangladeschische Gynäkologin Jahan Khurshid zum Beispiel musste alle Hebel in Bewegung setzen, um für den Not-Kaiserschnitt an einer HIV-Positiven Chirurgen, Anästhesisten und OP-Schwestern zu finden, die den Eingriff vornehmen wollten. Dank ihrer beispiellosen Aktion können in ihrem Krankenhaus heute HIV-Positive auf eine vorurteilsfreie Behandlung hoffen.

Junge Vietnamesinnen wie An Thi Suong wiederum wurden als Zwangsprostituierte ins Ausland verkauft und Frauen wie die Costa Ricanerin Rosibel Zúniga aufgrund ihrer HIV-Infektion ins gesellschaftliche Abseits gedrängt. „Ich bin ja nicht nur eine HIV-positive Frau. Ich habe auch einen HIV-positiven Sohn. Und ich bin die Ehefrau eines HIV-positiven Mannes, der mich infiziert hat“, sagt die 34-jährige Zúniga. „Mein Mann hat die Arbeit verloren, weil er so oft fehlte. Und ich kündigte meine Stelle, um ihn zu pflegen. Es gab Zeiten, da litten wir Hunger. Ich hatte nicht einmal das Geld, um mit dem Bus ins Krankenhaus zur Kontrolle zu fahren.“

Frauen wie Rosibel Zúnigoa leiden nicht nur unter der Stigmatisierung, sie fallen durch ihre Erkrankung auch in Armut. Dennoch hat sie den Mut und die Energie aufgebracht, an die Öffentlichkeit zu gehen. Mit Unterstützung der Lutherischen Kirche Costa Ricas gründete sie eine Selbsthilfeorganisation für HIV-positive Frauen.

Das Buch bietet in besonderem Maße Einblicke in kulturell bedingte Probleme für die HIV-Prävention, wie sie in westeuropäischen Ländern kaum bekannt sind: In Costa Rica und in Simbabwe gibt es beispielsweise Männerprojekte, um gegen die vorherrschende Machokultur und männlichen Rollenbilder anzuarbeiten. Denn die ungleiche Stellung von Mann und Frau, sexuelle Gewalt und festgezurrte Vorstellungen von Männlichkeit und Manneskraft bedingen in vielen Kulturen die Ausbreitung von HIV.

Heiler in der HIV-Prävention

In vielen afrikanischen Gesellschafen sind Heiler eine wichtige Anlaufstelle bei Familienstreitigkeiten wie auch in der Gesundheitsversorgung. Atanga Mattew und dessen Vater Tantah, beide traditionelle Heiler in Kamerun, wurden von einer „Brot für die Welt“-Partnerorganisation geschult.

Sie versuchen nun dieses Wissen an andere Heiler weiterzugeben, um die Ausbreitung von HIV zu verhindern: Rasierklingen, mit denen Schnitte vorgenommen werden, sollen nur einmal verwendet, Salben nur mit Wattestäbchen auf offene Wunden aufgetragen werden. Vielleicht noch wichtiger und schwieriger ist hingegen die Aufgabe, andere Heiler zu überzeugen, dass sie nicht alle Krankheiten heilen können, sondern Menschen mit Anzeichen von Diabetes und Aids zur Behandlung in eine Klinik schicken.

Deutlich wird auch in dieser globalen Rundschau, wie unterschiedlich die Kirchen ihre Verantwortung für die Prävention als auch für die Versorgung der Menschen mit HIV und Aids wahrnehmen.

Die Verantwortung der Kirchen

Die koptisch-orthodoxe Kirche in Kenia beispielsweise ermuntert Frauen zur Verwendung von Präservativen und setzt dabei auch auf die Anwendung des Kondoms für die Frau. Zugleich versucht man durch Straßentheater und öffentliche Veranstaltungen, die weitaus schwerer zu erreichenden Männer zu einem HIV-Test zu bewegen und ihnen den Kondomgebrauch nahezubringen.

Pfarrer JP Heath
Schwul und HIV-positiv: Der Pfarrer JP Heath (Foto: INERELA.org)

Noch wichtiger als die HIV-Prävention auf Markplätzen und in Schulen erscheint, dass in den von der Kirche mitfinanzierten Krankenhäusern in Nairobi und Maseno intensiv über die HIV-Behandlung und die Mutter-Kind-Übertragungen des Virus aufgeklärt wird.

Indem die Kirche keine Scheu zeige, die Dinge beim Namen zu nennen und den Patienten alles so ausführlich erkläre, wie es den Krankenschwestern zeitlich nie möglich wäre, leisteten die Kirchenmitarbeiter einen fundierten Beitrag dazu, die Menschen auf die Behandlung vorzubereiten.

Mit INERELA+ wurde gar ein afrikanisches Netzwerk eigens für Geistliche gegründet, die mit HIV leben oder direkt davon betroffen sind. „Das erste, was wir taten, war, über Stigma zu sprechen“, berichtet der anglikanische Pfarrer Johannes Petrus Heath. Die Kirche habe inzwischen weitgehend verstanden, dass HIV nicht mit dem Tod gleichzusetzen ist, sondern mit positivem Leben.

Für Heath war dies ein entscheidender Fortschritt. Als er 2008 seinen Partner Paul heiratete, hatte er damit allerdings ein weiteres Tabu berührt, und in in Hinblick darauf ist seine Kirche bislang noch zu keiner Änderung bereit: Er darf fortan weder Sakramente spenden, noch Messen abhalten oder Beichten abnehmen, sondern nur noch als Diakon arbeiten. „Zu dem Zeitpunkt, an dem ich für die Kirche vielleicht am wertvollsten bin, hat die Kirche Schwierigkeiten, mich als Pfarrer anzuerkennen“, stellt er resigniert fest.

Die Verantwortung der Kirchen

Und in Deutschland? Der Aids-Seelsorger Dr. Ernst-Friedrich Heider geht in einem von Astrid Berner-Rodoreda geführten Interview mit den Kirchen hart ins Gericht. Es sei skandalös, wie sie sich dem Thema HIV und Aids geradezu verweigerten. „Denn gerade die Kirchen haben hervorragende Möglichkeiten, Informationen und Prävention über HIV und Aids zu kommunizieren – weltweit und bei uns.“ Doch der Wissensstand über HIV werde eher geringer, wie er immer wieder in Konfirmanden-, Jugend-  wie auch Erwachsenengruppen feststellen müsse.

Den Grund sieht Heider in der Vielzahl der Tabuthemen, die von HIV berührt werden: Sexualität, Homosexualität, Tod und Sterben, Weltverantwortung, Verteilungs- und Gendergerechtigkeit – bis hin zu Patent- und Handelsrechten. Manchem Geistlichen sei da die Schaukastengestaltung am Gemeindehaus einfach wichtiger. Sein Fazit: „Eine wirkliche Lobby für das Thema und die HIV-positiven Menschen gibt es in der Kirche nicht.“

BuchcoverAstrid Berner-Rodoreda/ Renate Of: „HIV-positiv … und wie damit leben? Erfahrungen und Reflektionen über die Kraft der Solidarität“. Verlag Brandes & Apsel, 220 Seiten, broschiert, 19,90 Euro

 

 

 

 

Zurück

Reden wir über die Arzt-Patient-Kommunikation

Weiter

„Afrikaner in Deutschland brauchen eine starke politische Lobby“

Über

Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

8 + 2 =

Das könnte dich auch interessieren