Ein Wiedersehen mit den Gendernauten
Vor 20 Jahren hat Monika Treut mit ihrer wegweisenden Kinodokumentation „Gendernauts“ die Pionier*innen der noch jungen Trans*-Bewegung in San Francisco porträtiert. Für „Genderation“ hat sie einige der Protagonist*innen noch einmal getroffen. Ihr neuer Film erzählt vom Älterwerden von trans* Personen, aber auch vom Aktivismus als Privileg.
Monika Treut muss weit durchs Land fahren, um ihre Freund*innen wiederzutreffen. Quer durch Kalifornien und nach Nevada geht ihre Reise über die Highways. Vor zwanzig Jahren wohnten sie bestenfalls ein paar Straßenblocks entfernt. In ihrem bahnbrechenden Dokumentarfilm „Gendernauts“ hatte die Hamburger Regisseurin 1999 zentrale Figuren der damals sich erst heranbildenden trans* Community in San Franciscos porträtiert.
Menschen, die sich in das herkömmliche binäre Geschlechtersystem nicht einordnen konnten und wollten, die ihre sexuelle Identität erkundeten und dafür auch neue, ungewohnte und progressive Wege probierten. Das war in den neunziger Jahren nirgends so gut möglich wie in der der US-amerikanischen Westküstenmetropole mit ihrer liberalen und queeren Tradition.
Pionier*innen für Trans*-Rechte haben den Weg für nachkommende Generationen geebnet
„San Francisco war das Zentrum der freundlichen Gender-Mixer“, sagt Monika Treut. „Es war, als wäre die Hippie-Zeit wieder auferstanden, nur statt mit halluzinogenen Drogen wurde vor allem mit dem Sexualhormon Testosteron experimentiert.“ Und Menschen wie Sandy Stone oder Susan Stryker haben diese Chancen und Möglichkeiten genutzt und zugleich den Weg für nachkommende Generationen geebnet, etwa durch die von ihnen mitbegründeten Transgender Studies.
In den zwei Jahrzehnten seit „Gendernauts“ hat sich viel verändert und manches zum Positiven entwickelt: Non-binäre und trans* Menschen sind in der Gesellschaft sichtbarer geworden und ihre Rechte können nicht mehr so einfach verweigert werden. Die Kämpfe, die Pionier*innen wie Sandy Stone und Susan Stryker austragen mussten, waren nicht vergeblich.
Queere Aktivist*innen werden weggentrifziert
Aber auch die Stadt erlebte eine Transformation. Die boomende IT- und Hightech-Industrie der Bay Area hat die Mieten und Immobilienpreise in astronomische Höhen schnellen lassen. Strykers Coming-out als trans* hatte ihre akademische Karriere zwar nicht zerstört, aber nachhaltig blockiert. Sie erhielt nie eine Festanstellung, sondern lediglich Gastprofessuren für Gender Studies.
Nur weil es ihrer Lebenspartnerin finanziell möglich war, noch rechtzeitig ein preisgünstiges Häuschen kaufen zu können, kann das Paar seinen Lebensabend halbwegs entspannt in San Francisco genießen. Trans* Mann Stafford hingegen musste ins benachbarte Oakland ausweichen und auch dort muss er rund um die Uhr in seinem Transportunternehmen arbeiten, um sich die rasant gestiegenen Lebenshaltungskosten leisten zu können.
Aktivistische Arbeit ist zu einem Privileg geworden
Früher konnte er als Model und Fotograf so viel verdienen, um über die Runden zu kommen und dennoch Zeit für die eigene Kunst und den Aktivismus zu haben. Zum Glück kann Stafford mittlerweile wenigsten über die sozialen Netzwerke weiterhin Kontakt zu den alten und neuen Mitstreiter*innen und Freund*innen halten. Politische und aktivistische Arbeit wie noch vor zehn, zwanzig Jahren ist zu einem Privileg geworden, das man sich leisten können muss.
Ob Susan Stryker, Stafford oder die IT-Expertin Sandy Stone – ihre Suche nach der geschlechtlichen Identität haben alle, wenn auch auf unterschiedliche Weise und mit manch kleinen Umwegen abgeschlossen. Die Fragen, denen sie sich heute stellen müssen, sind aber nicht weniger existenziell: Wie möchte ich im Alter leben? Wo kann ich mir ein Leben leisten und mit welchen Menschen, in welchen Strukturen möchte ich diesen Lebensabschnitt verbringen?
Stafford sieht seine Zukunft in einem Trailer-Park draußen in der Wüste – anderthalb Autostunden entfernt vom nächsten gut sortierten Supermarkt: eine selbstgeschaffene Siedlung, in der sich eine neu zu schaffende Wahlfamilie gegenseitig unterstützt.
Der Schriftsteller Max Wolf Valerio („Testosteron Files“) kann durch ein Stipendium sein Unistudium wieder aufnehmen, muss aber dafür vorübergehend zurück zu seinen Eltern ziehen. Ob er es je wieder von dort wegschaffen wird, ist offen.
Von Veränderung bis Neuerfindung
Veränderungen und Bewegungen sind fest in die Biografien von Treuts Filmprotagonist*innen eingeschrieben. Sie scheinen diese Herausforderungen deshalb mit einer größeren Souveränität, mit stärkerem Selbstvertrauen und Zuversicht anzunehmen. Und sie engagieren sich mit ihrer queeren, widerständigen Kraft im Rahmen ihrer Möglichkeiten zunehmend auch für andere, marginalisierte Gruppen und gesellschaftliche Themen. Wie etwa Annie Sprinkle. Sie ist die einzige cis Person in der Runde und hat sich als Ex-Pornodarstellerin, Sexaktivistin und Unterstützerin der trans* Community im Laufe ihres Lebens immer wieder neu erfunden.
Ihre quirlige Ausstrahlung und ansteckende positiv gestimmte Lebenshaltung hat sie nie verloren. Gemeinsam mit ihrer Lebenspartnerin, der Kunstdozentin Beth Stephens, betreibt sie inzwischen lustvollen Klimaaktivismus: „Wir sind ökosexuell und die Erde ist unsere Liebhaberin.“
Sandy Stone, mit über 80 Jahren die älteste Protagonistin im Film, hat in ihrem bisherigen Leben bereits so viele, oft auch für sie selbst überraschende Transformationen, Neuerfindungen und Selbstdefinitionen gewagt, dass ihr eigentlich ein eigener Film gebührte. Dass sie heute in Santa Cruz einen alternativen Radiosender betreibt, ist in ihrer Biografie noch die kleinste Überraschung.
Allein schon wie die IT-Expertin und Medientheoretikerin ihre große Liebe in einem Computer-Fachchat kennenlernte, ist großes Kino. Und sie ist ein Beispiel dafür, wie aus Freund*innen und Ex-Partner*innen eine erweiterte, sich über mehrere Generationen erstreckende Wahlfamilie erwachsen kann.
Gesellschaftspolitische Errungenschaften sind fragil
Monika Treut darf sich ganz sicher nicht nur bei Sandy Stone zur erweiterten Wahlverwandtschaft zählen. Diese Nähe, das Grundvertrauen und jahrzehntelange Freundschaft wirken auch auf diesen Film. Die Lockerheit und Offenheit, mit der die Protagonist*innen über ihre Lebenserfahrungen sprechen und mit der sie Monika Treut und ihre Kamera am Alltag teilhaben lassen – das alles trägt dazu bei, dass diese Menschen auch den Zuschauer*innen ans Herz wachsen.
Alltägliche Aspekte des Älterwerdens von trans* Menschen
Insofern ist „Genderation“ nicht nur das Porträt der zentralen Figuren der US-amerikanischen Trans*-Bewegung. Der Film lässt wahrscheinlich erstmals in dieser Form auch an ganz alltäglichen Aspekten des Älterwerdens von trans* Menschen teilhaben.
Insbesondere aber wird deutlich, dass auch die erkämpften Rechte nie dauerhaft gesichert, sondern die gesellschaftspolitischen Errungenschaften äußerst fragil sind – wie mit dem rechtkonservativen Backlash insbesondere während der Trump-Ära schmerzhaft zu erleben war. Umso wichtiger, dass die Community geschlossen, generationsübergreifend und solidarisch weiterkämpft – und sich nicht in internen Identitätsdebatten verliert.
„Genderation“. Deutschland 2021. Buch und Regie Monika Treut. Mit Annie Sprinkle, Beth Stephens, Stafford, Sandy Stone, Susan Stryker, Max Wolf Valerio. 88 Minuten, O. m. dt. U. Kinostart: 21.10.2021
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